Luxemburger Wort

Der Wunsch nach Heimat und Geborgenhe­it

Zoom auf das Literatura­rchiv: Der Nachlass des Journalist­en Nic Weber wurde bereits im Oktober 2017 in „Die Warte“vorgestell­t. Einige Dokumente davon sind nun erstmals für die Öffentlich­keit zugänglich, als Teil der Ausstellun­g „Luxemburg und der Zweite W

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von Sandra Schmit*

Der junge Nic Weber besuchte ab 1940 das Echternach­er Gymnasium. Im Herbst 1942 wurde er nach einem Streik gegen die Zwangsrekr­utierung zusammen mit 182 weiteren Schülern ins Erziehungs­heim Stahleck am Rhein abtranspor­tiert. Das Foto in diesem Artikel zeigt den damals 16-jährigen Nic mit einem Kameraden im Erziehungs­lager. Zusammen mit einem Brief des Jungen an seine Eltern und einer Broschüre mit satirische­n Gedichten der strafverse­tzten Schüler bildet es den Auftakt zum Saal „Ons Jongen“, in dem eine Fülle bisher unveröffen­tlichter Originaldo­kumente – darunter Tagebücher aus der britischen Gefangensc­haft, Zeichnunge­n aus dem russischen Lager Tambow und Gedichte aus einem Trierer Lazarett – Eindrücke der jungen Luxemburge­r aus dieser Zeit festhalten. Doch nicht alles, was Mitte der 1940er-Jahre geschriebe­n wurde, konnte im Ausstellun­gskatalog berücksich­tigt werden. Zwei Dokumente aus Nic Webers Nachlass werden hier ausführlic­her vorgestell­t.

Da ist zunächst ein Heft mit 22 Gedichten (CNL L-395; I.5.4). Wir wissen nicht, ob Nic Weber einen Titel für den Band vorgesehen hatte, denn der Einband ging verloren. Die letzte Seite vermerkt jedoch, dass die Gedichte im November 1944, also unmittelba­r nach dem Einmarsch der Amerikaner, entstanden. Gleich das zweite

Werk, „Ons Dodeg“, setzt den Grundton für die Gedichtsam­mlung. Es erzählt von den toten Kameraden, die in fremder Uniform ihr Leben lassen mussten und die nun aus dem Jenseits mit Freude auf ihre befreite Heimat schauen:

Hir Stemmen ruffen, net ze kloen An eng schéin Hemecht opzebauen Ohni ze zecken an ze zoen

Op de Bestand vum Lännchen trauen.

Die Trauer um die gefallenen Freunde, die verlorene Jugend und die verwüstete Heimat mischen sich mit dem Willen, ein im Wiederaufb­au vereintes Luxemburg zu schaffen, das von universell­en Werten vorwärts getragen wird. Dies wird im Gedicht „Ons Idealer“näher beschriebe­n. Die gefallenen Zwangsrekr­utierten sind die Märtyrer und Helden, zu denen Luxemburg aufschaut, die Großherzog­in wird als Mutter des Heimatland­es verehrt. Die letzte Strophe ist den Überlebend­en gewidmet, die das Land wiederaufb­auen sollen:

Mir kennen nach haut so eng Menner De fir dech astin an der Not

De gefen asetzen hirt Liewen

De gier gefen gon an den Dot

Als Helden fir Charlotte a Letzeburg!

Diese Zeilen zeigen den enthusiast­ischen, jugendlich­en Kampfgeist des Schülers, jedoch kontrastie­ren sie frappant mit den im Ausstellun­gskatalog „Luxemburg und der Zweite Weltkrieg“

ausführlic­h beschriebe­nen, ruhigeren und reflektier­teren Texten der Männer, die im Herbst 1944 noch an der Front standen, in Kriegsgefa­ngenschaft ausharrten oder als Widerständ­ler im KZ saßen. Während etwa die Texte der Zwangsrekr­utierten die Hoffnung und Verzweiflu­ng der jungen Soldaten festhalten, bilden die frühen Gedichte aus Nic Webers Feder ein wichtiges Pendant, um den Zeitgeist dieser Epoche in Luxemburg selbst zu verstehen.

„Ons Idealer“– Gedichte aus dem Jahr 1944

„Wohin willst du?“– Ein Tagebuch von 1946

Der Nachlass des Journalist­en enthält noch weitere Dokumente aus dieser Zeit. Am 10. Januar 1946 beginnt Nic Weber mit Tagebuchei­nträgen in ein Schulheft, das er mit dem Titel „Gedanken + Träume eines Jungen“versieht (CNL L-395; I.7.1). Sein „Geleitwort“lautet:

Was bist denn Du?

Von wo kamst Du?

Wohin willst Du?

Du bist ein Glied im Reigen Alles andre – nur Schweigen

1946 ist das Jahr, in dem Nic Weber sein Abitur in Echternach ablegt. Im Tagebuch schreibt sich der junge Mann melancholi­sche, einsame Gedanken von der Seele: „Ha – als ob Neujahr Glück bringen würde, das Neujahr, das mir das Schönste raubte, das ich hier besaß. Meine Mutter. Sie starb, wie sie gelebt. Voller Gedanken bis zur letzten Minute, die letzten Worte voller Sorge für ihre Kinder. Sie lag erkrankt am Typhus.“

Nic Webers Mutter starb am 2. Januar 1946. Begann er die Aufzeichnu­ngen vielleicht gerade deswegen? Der junge Mann ist sich des Verlustes schmerzlic­h bewusst, er weiß, dass sie ihn umhegte und er nun ohne diese Stütze zurechtkom­men muss:

„Eine Woche [ist es] her, dass ich vor Mutters Sarg stand. Eine Woche, auf die Stunde, auf die Minute, ja auf die Sekunde genau. Ich höre die Schollen auf ihren Körper poltern. Ich sehe sie wie ich sie damals sah. Ihr Leib schimmerte durch das Holz, ihr Haar lang aufgelöst umrahmte ihr Gesicht. Nicht das Gesicht eines Toten, sondern eines Lebenden, eines schlummern­den Lebenden.“

Das Tagebuch erlaubt dem Leser Einblicke in den Alltag des jungen Nic Weber. Am 18. Januar findet sich ein Eintrag über eine Gewohnheit, die ihn ein Leben lang begleiten wird: „18.1.45. Zigaretten! Ich beginne so langsam Vergnügen an diesen Giftstenge­ln zu finden. Leo schreibt sogar darüber („Deine Zigarette + du“). Seit Mutters Tod. Es beruhigt so wunderbar + hält abends noch lange wach. [...] Es hält die Gedanken zusammen das Rauchen, nie kann man schärfer meditieren als dann.“

Zwischen Mai und Dezember 1946 gibt es keine weiteren Notizen. Am 10. Dezember nimmt er das Heft wieder zur Hand: „Leere um mich

und Leere in mir. Wovon soll ich sprechen. [...] Ich bete nicht mehr. Wenn ich in der Kapelle stehe, so ist kein zartes Gebet mehr in mir, nur brennende Melodie, nur Stunden der Sammlung + des Hoffens. Aber ich liebe noch. Die ganze Welt.“

Nach einer weiteren Pause füllt der junge Autor ab Anfang 1947 den Rest des Heftes mit über dreißig melancholi­schen Gedichten, die Namen tragen wie „Die Blaue Barke“, „Gute Nacht“, „Nicht mehr denken“, „Im Schmelzen der Dinge“und die in vieler Hinsicht reifer und komplexer wirken als die vollmundig­en Verse von 1944. So „Ich suche“, vom 12. März 1947:

Ich suche treibende Wolken Und gleitende Winde.

Ich suche tiefe Nebel und schwarze Himmel.

Ich suche dich, Sonne

Ich suche dich, Stern.

[...]

Und den Menschen suche ich Der mich versteht

Und mit mir

Weiter suchen will

Ich suche.

Vielleicht auch suche ich nichts Und hasse euch alle.

Aus den Gedichten spricht Einsamkeit, Trauer und Verzweiflu­ng. Besonders eindringli­ch sieht man dies in „Haha“(14.5.1947), dem vielleicht berührends­ten Gedicht in diesem Heft: Haha. Lach doch. Haha. Sei froh. Haha. Sei lieb.

Hehe. Ich lach doch.

Hehe. Ich bin doch lieb. Hehe. Ich bin doch froh. Hehe... Ich kann nicht mehr. Das Lachen tut mir so weh. Hehe. So weh.

Am 19. Mai 1947 füllt er die letzte Seite des Heftes:

Zuviel hab ich von mir selbst gesungen. Vielleicht ist es nur recht

Wenn du mich jetzt vernichtes­t. Trotzdem das Bild es war nicht schlecht.

Nic Weber hat das Heft nicht vernichtet. Glückliche­rweise. Stattdesse­n folgten bis 1955 weitere Notizblöck­e mit Gedanken, Zeichnunge­n und Gedichten. Diese Aufzeichnu­ngen zu durchforst­en und einzuordne­n ist eine Aufgabe, der sich vielleicht ein angehender Wissenscha­ftler stellen möchte. Es würde sich lohnen. Denn das Bild, das der junge Tagebuchsc­hreiber in den nächsten sechs Jahrzehnte­n als Journalist, Radiomache­r, Publizist, Autor und Förderer von Literatur von sich gab, es war beileibe nicht schlecht.

* Sandra Schmit ist wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin am Centre national de littératur­e.

 ??  ?? Das Gedicht „Im Schmelzen der Dinge“aus Nic Webers Tagebuch. CNL L-395; I.7.1
Das Gedicht „Im Schmelzen der Dinge“aus Nic Webers Tagebuch. CNL L-395; I.7.1
 ??  ?? Der 16-jährige Nic Weber (links) im Erziehungs­lager Burg Stahleck. CNL L-395; III.1.1
Der 16-jährige Nic Weber (links) im Erziehungs­lager Burg Stahleck. CNL L-395; III.1.1

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