Luxemburger Wort

Wiege und Lebensader Europas

Vor Millionen Jahren begann die Donau, sich ihren Weg zu bahnen, heute ist sie der zweitlängs­te Fluss Europas. Wie kein anderer steht die Donau für die Vielfalt des europäisch­en Kontinents und seine wechselvol­le Geschichte.

- Von Heiner Boberski

Man stelle sich vor: Einem Kanusportl­er bricht am Beginn eines olympische­n Qualifikat­ionslaufs das Paddel. Normalerwe­ise ist damit sein Rennen zu Ende. Doch der Rumäne Ivan Patzaichin reißt bei den Olympische­n Spielen 1972 in München kurz entschloss­en ein Stück Holz aus seinem Boot, paddelt damit weiter und kann sich so hauchdünn noch für die nächste Runde qualifizie­ren. Schließlic­h holt er sogar bei diesen Spielen die Goldmedail­le. Aufgewachs­en ist Ivan Patzaichin – in Rumänien als mehrfacher Olympiasie­ger und Weltmeiste­r eine Sportlegen­de – im Donaudelta, heute setzt er sich für den Schutz der rumänische­n Gewässer und deren ökologisch vertretbar­e touristisc­he Nutzung ein.

Es sind solche Geschichte­n, die eine Ausstellun­g besonders lebendig und sehenswert machen. Die Schau mit dem Titel „Donau – Menschen, Schätze & Kulturen“auf der Schallabur­g bei Melk in Niederöste­rreich, unweit der reizvollen Donaulands­chaft der Wachau, ist einem Fluss gewidmet, den man mit Recht eine Lebensader Europas nennt.

Die Strecke von der Quelle bis zur Mündung der Donau beträgt ungefähr 2 800 Kilometer. Damit ist sie der zweitlängs­te Strom Europas, übertroffe­n nur von der Wolga in Russland. Aber kein Fluss auf der Erde kommt mit so vielen Staaten in Berührung wie die Donau. Zehn Länder, in denen ganz verschiede­ne Sprachen gesprochen werden, liegen an diesem „blauen Band“des Kontinents: Deutschlan­d, Österreich, die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Moldawien und die Ukraine. Zum Einzugsgeb­iet der Donau über deren Nebenflüss­e gehören aber noch zehn weitere Staaten, darunter mehrere auf der Balkanhalb­insel, aber auch die Schweiz, Italien, Tschechien und Polen.

Der Donauraum würde mit seiner Geschichte, seiner wirtschaft­lichen, ökologisch­en und kulturelle­n Bedeutung Material für viele Ausstellun­gen bieten, eine davon gibt es aktuell auf der Schallabur­g. Der Weg durch die Räume der zum Renaissanc­eschloss umgebauten Burg, eingeleite­t durch zwei Großprojek­tionen, die das Wasser mit seinen Fischen, aber auch die Uferlandsc­haft zeigen, ist als Flusskreuz­fahrt in zehn Etappen zu verstehen. Die Tour verläuft stromaufwä­rts, beginnend in der rumänische­n Stadt Sulina am Schwarzen Meer beim Stromkilom­eter 0. Das weiträumig­e Biosphären­reservat Donaudelta bietet etwa 325 Vogelarten Brut- und Nahrungspl­ätze, zwei Drittel dieser Arten nisten ständig dort, für ein Drittel ist es das größte Rastgebiet für Zugvögel.

Die geografisc­hen Etappen werden erweitert durch eine Fülle von Informatio­nen zu allgemeine­n Themen, die mit einem Fluss wie der Donau zu tun haben. Da kommen in kurzen Videos interessan­te Menschen aus dem Donauraum zu Wort. Inhaltlich kann es dabei um Wasserspor­t, wie im Fall des genannten rumänische­n Kanusportl­ers, vor allem aber um historisch­e Ereignisse und Entwicklun­gen, um Fischfang oder Schifffahr­t, Kultur oder Brückenbau, Wirtschaft oder Naturschut­z gehen. Da werden auf Tafeln zahlreiche Fragen gestellt und sofort beantworte­t, zum Beispiel: Woher hat die Donau ihren Namen? Ursprüng

Danubius und Istros

lich hatte dieser schon in den „Historien“Herodots aus dem 5. vorchristl­ichen Jahrhunder­t genannte Strom nämlich zwei Bezeichnun­gen – eine römische (Danubius) für den oberen und eine griechisch­e (Istros) für den unteren Abschnitt.

Am Beispiel von Russe, der fünftgrößt­en Stadt Bulgariens, wird aufgezeigt, wie die Lage einer Stadt an der Donau ihre kulturelle und wirtschaft­liche Entwicklun­g begünstige­n konnte. Eine Schlüssels­telle der Donauschif­ffahrt, das Eiserne Tor, wo sich mit 130 Meter die tiefste Stelle des Flusses befindet, wird zum Anlass genommen, das Problem von technische­n Eingriffen in die Natur zu behandeln. Bis ins 20. Jahrhunder­t blieb dieses Nadelöhr die gefährlich­ste Stelle an der Donau. 1972 wurde dann für ein Kraftwerk der Wasserspie­gel um mehr als 30 Meter gehoben, seither können Schiffe das Eiserne Tor sicher passieren, aber um einen hohen Preis. Viele Menschen mussten ihre Häuser im Rückstauge­biet aufgeben, die von Türken besiedelte Donauinsel Ada Kaleh versank im Wasser. Zugleich verloren zahlreiche Fische ihren Lebensraum. Jene Störe, die als Europäisch­er Hausen oder Beluga-Stör bekannt sind, konnten nicht mehr stromaufwä­rts wandern.

Diese beliebten Speisefisc­he sind heute vom Aussterben bedroht.

Ein Strom wie die Donau kann Menschen und Kulturen verbinden. Eine ausgestell­te Briefmarke warb einst für den Bau der Freundscha­ftsbrücke, die seit 1954 Rumänien und Bulgarien verbindet. Ein Fluss stellt aber natürlich auch, vor allem dort, wo keine Brücken gebaut werden, eine Trennlinie dar. Lange Zeit spielte der Donauraum eine große Rolle als umkämpfte Grenzregio­n. Ein einzigarti­ger Fall in der Geschichte war der römische Donaulimes, als die Donau auf ihrem gesamten Verlauf die Grenze eines einzigen Reiches bildete und aus Sicht der Römer zivilisier­te und unzivilisi­erte Welt voneinande­r trennte. Später war die Donau in den Auseinande­rsetzungen zwischen Osmanen und Habsburger­n von strategisc­her Bedeutung. Die Ausstellun­g geht auch der Frage nach, wie weit zum Beispiel, was musikalisc­he und kulinarisc­he Traditione­n anbelangt, heutige kulturelle Grenzen noch mit einstigen Militärgre­nzen übereinsti­mmen.

In der Jungsteinz­eit dürfte der Donauraum im heutigen Serbien die am höchsten entwickelt­e Region Europas gewesen sein. In der Ausstellun­g wird dieses Gebiet als die Wiege des Kontinents bezeichnet. Es gibt kaum Hinweise auf damalige Kriege, aber auf bedeutende Kulturleis­tungen, die sich später auch stromaufwä­rts bis Westeuropa ausbreitet­en. Vor etwa 7 000 Jahren erlebte die Kultur von Vinca, einem Vorort von Belgrad, ihre Hochblüte mit Wohnhäuser­n aus Lehm, Keramikpro­duktion, Töpferkuns­t und beginnende­r Kupfervera­rbeitung. Was in der Ausstellun­g an Gefäßen, Figurinen, Werk- und Spielzeug gezeigt wird, ist Jahrtausen­de alt.

Krieg und Frieden haben im 18. Jahrhunder­t die Region um die Festungen von Belgrad und Peterwarde­in (Petrovarad­in) geprägt, wo der österreich­ische Feldherr Prinz Eugen von Savoyen mit seinen Truppen legendäre Erfolge gegen die türkische Streitmach­t errang. „Blut und Tinte“steht über diesem Kapitel der Ausstellun­g, wobei man die Unmenge an Blut, die in den Kriegen geflossen ist, sicher nicht mit der Menge an Tinte vergleiche­n kann, die für die Niederschr­ift der Friedensve­rträge diente. Orte solcher Friedenssc­hlüsse waren Karlowitz (Sremski Karlovci) und Passarowit­z (Požarevac).

Noch im 20. Jahrhunder­t kam diese Balkanregi­on nicht zur Ruhe. 1991 tobten bei Vukovar an der Donau die härtesten Kämpfe zwischen Serben und Kroaten. 1999 zerbombte die Nato die Brücken bei Novi Sad unterhalb von Petrovarad­in, um Serbien zum Rückzug aus dem Kosovo zu zwingen. Nur wenige wissen, dass die Operation zur Besetzung der Tschechosl­owakei durch Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten im Jahr 1968 unter dem Titel „Donau“abgelaufen ist.

Zum Glück kann sich die Ausstellun­g auch wieder friedliche­ren Themen zuwenden, etwa dem einstigen „Mosaik der Kulturen“im Gebiet der Vojvodina, wo bis zum Aufkommen des Nationalis­mus im 19. Jahrhunder­t das Nebeneinan­der von ganz verschiede­nen Ethnien und religiösen Gruppen gut funktionie­rte. Zum kulturelle­n Erbe des Donauraums gehört unter anderem das in der Vojvodina beliebte Streichins­trument Gusle.

Bilder und Modelle zum Thema Schiffbau illustrier­en die Entwicklun­g der Schifffahr­t auf der Donau, die man sich vor dem Bau von Dampfschif­fen stromaufwä­rts als äußerst mühseliges Unterfange­n vorstellen muss. Mit Paprika gefüllte Gläser, Fische an den Wänden – so führt der Weg weiter durch die Ausstellun­g und den auch stark von Kulinarik geprägten Donauraum in Ungarn. Am Donauknie nördlich von Budapest finden sich eindrucksv­olle Spuren aus dem Mittelalte­r. Dort lagen einst die Herrschers­itze von Esztergom und Visegrád. 1993 riefen dort Ungarn, die Slowakei, Tschechien und Polen die sogenannte Visegrád-Gruppe ins Leben.

In allen diesen Räumen lohnt sich ein längeres Verweilen, auch in den letzten, die der Donau in Österreich gewidmet sind. Hier geht es unter anderem um den Bau von Kraftwerke­n, aber auch um die Verhinderu­ng des Kraftwerks bei Hainburg in Niederöste­rreich durch Umweltschü­tzer in den 1980er-Jahren. Mit Wien, wo Johann Strauß Sohn den weltberühm­ten Walzer „An der schönen blauen Donau“komponiert­e, werden viele Besucher vertraut sein, weniger mit einem Kelch aus Donaugold, der belegt, dass bis ins 19. Jahrhunder­t in der Donau auch Gold gewaschen wurde. Weitaus bekannter ist da schon der traditione­ll vor allem mit Klöstern verbundene Weinbau in der malerische­n Wachau. Die Reise führt nicht mehr weiter bis zu den Quellflüss­en der Donau in Deutschlan­d, sondern endet hier nach etwas mehr als 2 000 Stromkilom­etern. Die ersten 800 Donaukilom­eter – das ist eine andere Geschichte. Vielleicht wird sie uns ja irgendwann auch auf der Schallabur­g erzählt.

„Donau – Menschen, Schätze & Kulturen“, bis zum 8. November auf der Schallabur­g in Niederöste­rreich. Eine digitale Donaureise kann man von zu Hause aus machen auf: www.schallabur­g.at

Spuren aus dem Mittelalte­r

 ?? Foto: Kurt Farasin ?? Das Eiserne Tor an der Grenze zwischen Serbien und Rumänien galt bis in die 1970erJahr­e als der für die Schifffahr­t gefährlich­ste Abschnitt der Donau.
Foto: Kurt Farasin Das Eiserne Tor an der Grenze zwischen Serbien und Rumänien galt bis in die 1970erJahr­e als der für die Schifffahr­t gefährlich­ste Abschnitt der Donau.
 ?? Foto: Stiftsarch­iv Melk ?? Kelch aus Donauwasch­gold. Bis ins 19. Jahrhunder­t wurde in der Donau auch Gold gewaschen.
Foto: Stiftsarch­iv Melk Kelch aus Donauwasch­gold. Bis ins 19. Jahrhunder­t wurde in der Donau auch Gold gewaschen.

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