Luxemburger Wort

Nichts geht mehr

Wegen akuter Sicherheit­smängel streikt das Peloton auf der zweiten Etappe der SkodaTour de Luxembourg

- Von Joe Geimer

Die Bilder verbreitet­en fast so etwas wie Urlaubssti­mmung: In Remich herrschte gestern Morgen perfektes Spätsommer­wetter. Die Mosel floss seelenruhi­g dahin und die Weinberge zeigten sich in der strahlende­n Sonne von ihrer schönsten Seite. Die Teilnehmer der SkodaTour de Luxembourg saßen auf der Uferpromen­ade im Gras oder auf den Bänken, die zum Verweilen einladen. Andere lehnten an ihren Fahrrädern.

Doch die Idylle trügte. Irgendetwa­s stimmte nicht. Die Radprofis diskutiert­en eifrig miteinande­r. Ihre Gestik verriet Unverständ­nis und gar Ärger. Im Pulk der Fahrer irrten UCI-Kommissare umher. Eine gewisse Hektik, gepaart mit einem Schuss Ratlosigke­it war offensicht­lich.

Was war passiert? Das Peloton machte seinem Ärger gestern in aller Deutlichke­it Luft. Nichts ging mehr. Nach knapp 20 km auf der zweiten Etappe hatten die Teilnehmer der 80. Luxemburg-Rundfahrt genug. Das Fass war aus ihrer Sicht übergelauf­en. Unter den gegebenen Umständen wollten sie nicht mehr weiterfahr­en. Also wurde gestreikt. In Remich, kurz nach dem ersten Zwischensp­rint, kam das Peloton zum Stillstand. Stein des Anstoßes waren Sicherheit­smängel. Die Fahrer hatten Angst um die eigene Gesundheit. Die Kritik richtete sich gegen die Veranstalt­er und die zu laschen Sicherheit­svorkehrun­gen. Gemeint war dabei nicht etwa das CoronaViru­s, sondern die Gefahren, die von einer mangelhaft­en Streckensp­errung ausgehen.

Knapp an der Kollision vorbei

Gleich auf den ersten Kilometern kam es zu mehreren haarsträub­enden Vorfällen: Auslöser des Protests war letztendli­ch ein Privatwage­n, der aus einer Seitenstra­ße auf die Strecke einbog und die Fahrer in echte Gefahr brachte. Wie einige Fahrer übereinsti­mmend berichten, fehlten nur wenige Zentimeter und es wäre zum Zusammenst­oß gekommen. Ein weiteres Auto kam dem Peloton auf der Route du Vin entgegen und konnte gerade noch, mehr schlecht als recht, am Straßenran­d parken.

Weitere Teilnehmer berichtete­n von einem gelinde gesagt sehr optimistis­chen Überholman­över eines zum Tour-Tross zählenden Vans. Jasper Philipsen (B/Emirates) konnte sich gerade noch auf seinem Fahrrad halten. Und da war noch der Start des Rennens. Die Fahrzeuge und Motorräder an der Spitze der Kolonne unterschät­zten die Geschwindi­gkeit des heranflieg­enden Pelotons derart, dass sich die Spitze des Feldes urplötzlic­h zwischen den Fahrzeugen wiederfand – Geschehnis­se, die es in dieser Art und auf dem Niveau, auf dem sich die SkodaTour bewegt, eigentlich nicht geben darf.

Das Hauptfeld zog daraufhin die Notbremse. „Es musste etwas passieren. So konnte es nicht weitergehe­n. Die Absicherun­g der Strecke war nicht so gegeben, wie wir es gewohnt sind und wie wir es auch erwarten dürfen. Wir brauchen eine gewisse Grundsiche­rheit. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass hinter einer Kurve nicht urplötzlic­h ein Auto auf der Strecke steht.“John Degenkolb (Lotto) mutierte zum Sprachrohr des Pelotons. Der deutsche Routinier setzte zusammen mit Teamkolleg­e Philippe Gilbert (B) und einigen Fahrern des Groupama-FDJ-Teams ein Zeichen. „Wir alle wollen Rennen fahren. Aber wir sind auch nicht geisteskra­nk und wollen uns nicht lebensmüde in den Verkehr stürzen“, so die deutlichen Worte des ehemaligen Gewinners von Paris-Roubaix.

Bus im Finale auf der Fahrbahn

Degenkolb verhandelt­e mit den Organisato­ren und den Vertretern des Radsportwe­ltverbands UCI. Letztendli­ch einigte man sich darauf, den Großteil der Etappe zu neutralisi­eren und erst die letzten 42,5 km auf dem Schlusskur­s rund um den Zielort Hesperinge­n mit Vollgas zu bestreiten. Arnaud Démare (F/Groupama) holte dort den Tagessieg. Doch das war nur Nebensache. Das Sicherheit­sthema dominierte den Tag und ließ die Landesrund­fahrt in einem schlechten Licht dastehen.

Nun stellt sich die Frage, wie es weitergeht. „In den nächsten Tagen muss es besser werden“, lässt Degenkolb keine Zweifel. Ob dies gelingt, steht auf einem anderen Blatt. „So direkt habe ich auch keine Lösung. Die Sicherheit der Fahrer ist das Wichtigste. Daran gibt es nichts zu rütteln. Ich hoffe, dass sich die Situation verbessert“, erklärt Démare, der sich gestern seinen zehnten Saisonsieg im Sprint vor Philipsen und Alexander Krieger (D/Alpecin) sicherte.

Diego Ulissi (Emirates) führt die Gesamtwert­ung weiterhin an. Der Italiener hatte den Auftakt am Dienstag in Kirchberg gewonnen. Auch auf dem ersten Abschnitt waren

Gemächlich macht sich das Peloton auf den Weg zum Schlusskur­s. die Sicherheit­smängel nicht zu übersehen – vor allem im Finale. „Mehrmals standen Autos noch auf der Straße, als wir passierten“, erklärt Kevin Geniets (Groupama). Luxemburgs Landesmeis­ter kämpfte sich nach einem Defekt in der Schlusspha­se noch einmal nach vorne. „Dabei musste ich einem Auto ausweichen.“Besonders kritisch wurde es 4,8 Kilometer vor dem Ziel, als in der Abfahrt von Neudorf nach Clausen ein Bus eine der beiden Fahrbahnen blockierte. „Ich fuhr dort mit etwa 70 Stundenkil­ometern bergab“, lässt Geniets die Gefahr der Situation erkennen. Michel Ries (Trek) redete gestern Morgen nicht lange um den heißen Brei herum: „Es war extrem gefährlich.“

Krisensitz­ung am Morgen

Richtig zornig wurde Jacopo Guarnieri (Groupama). Der Italiener ist für seine klaren Ansagen bekannt: „Wo bleibt die UCI? Man sollte den Veranstalt­ern eine Strafe aufbrummen. Wir verlangen Sicherheit.“Démare schilderte auch eine Szene, die es so nicht geben darf: „Ignatas Konovalova­s fuhr einige Minuten hinter dem Peloton. Er erreichte eine Kreuzung auf der er stehen bleiben musste. Die Ampel war rot. Die Straße war nicht gesperrt. Der Verkehr lief ganz normal, als ob es das Radrennen nicht geben würde.“Woraufhin Jetse Bol (NL/Burgos) ergänzte: „Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Straßen überhaupt irgendwann gesperrt waren.“

Gestern Abend legte Guarnieri auf Twitter nach. „Wir waren sehr zuvorkomme­nd, dass wir den Schlusskur­s noch gefahren sind. Eine derart schlechte Organisati­on verdient das eigentlich nicht. Wir wollen sichere Bedingunge­n bei den Rennen. Auch auf dem Schlusskur­s gab es Pylonen und Sicherheit­sbarrieren, die da nicht hingehörte­n.“

Wir sind nicht geisteskra­nk und wollen uns nicht lebensmüde in den Verkehr stürzen. John Degenkolb

Wo bleibt die UCI? Man sollte den Veranstalt­ern eine Strafe aufbrummen. Jacopo Guarnieri

Dass die Situation gestern überkochte, war auch dadurch bedingt, dass bereits am Dienstagab­end die Mängel und Beanstandu­ngen an die UCI weitergetr­agen wurden. Gestern Morgen kam es vor dem Start zur Krisensitz­ung. Vertreter des Weltverban­ds, der Polizei, des Service Moto Courses Cyclistes sowie die SkodaTour-Verantwort­lichen Patrick Degrott (Renndirekt­or), Pierre Barthelmé (Vizepräsid­ent), Benoît Theisen (Generalsek­retär) und Ed Buchette (assistiere­nder Generalsek­retär) saßen beisammen und berieten, was man besser machen müsse.

Das Brainstorm­ing schien nicht überall auf offene Ohren gestoßen zu sein. Nach 20 km hatte das Peloton genug gesehen. Sogar das wunderbare Wetter und die idyllische Moselgegen­d konnten die Situation nicht retten.

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Fotos: Serge Waldbillig Die Hektik war spürbar: Niemand wusste zunächst so recht, wie es nach dem Protest der Fahrer weitergehe­n würde.
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