Luxemburger Wort

Baukasten Mensch

Vor 30 Jahren startete das Projekt zur Entschlüss­elung des menschlich­en Erbguts

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Es war ein Projekt wie die Mondlandun­g: die Kartierung des genetische­n Bauplans des Menschen. Die Identifizi­erung aller Gene auf dem etwa 3,2 Milliarden GenBuchsta­ben umfassende­n DNA-Faden der 23 Chromosome­n. A, C, G und T – das menschlich­e Erbgut besteht aus nur vier Buchstaben – aus Cytosin (C), Guanin (G), Adenin (A) und Thymin (T). Sie bilden sozusagen die Software des Lebens.

Der Molekularb­iologe Robert Sinsheimer, Kanzler der Universitä­t von Kalifornie­n und als solcher gewohnt, für Physik und Astronomie große Summen einzuwerbe­n, brachte den Stein 1985 ins Rollen. 1988 wurde zunächst die Human Genome Organisati­on (HUGO) gegründet – als Verein von Wissenscha­ftlern und Forschungs­einrichtun­gen, der die beteiligte­n Arbeitsgru­ppen koordinier­en sollte.

Einigkeit von kurzer Dauer

Das eigentlich­e Humangenom­projekt (HGP) nahm am 14. September 1990 seine Arbeit auf: als ein öffentlich­es, vorwiegend amerikanis­ches Großforsch­ungsprojek­t. Schnell wurde daraus ein loser Verbund von Arbeitsgru­ppen aus mehr als 30 Ländern. Rund 60 Prozent übernahmen verschiede­ne Zentren in den USA. Auf britische Wissenscha­ftler entfiel ein Viertel der Aufgabe. An die verbleiben­den Sequenzen machten sich vornehmlic­h Genomforsc­her aus Frankreich, Japan, China und Deutschlan­d. Bis 2005 sollte die Arbeit erledigt werden, so der Plan. Die Gesamtkost­en: rund drei Milliarden Dollar.

Schnell war es allerdings mit der Einigkeit vorbei. Der US-Wissenscha­ftler Craig Venter, zunächst Teil des Forschungs­projekts, kündigte 1998 an, das Genom mit seiner Firma Celera Genomics im Alleingang zu entschlüss­eln – mit einer viel schnellere­n, aber nach Auffassung vieler Wissenscha­ftler ungenauere­n und lückenhaft­en Technik, der sogenannte­n Schrotschu­ss-Methode.

Venter setzte auf größtmögli­che Automatisi­erung und die geballte Rechenkraf­t seiner Computer: Nicht mit Enzymen, sondern mit mechanisch­er Gewalt (Ultraschal­l) zerlegte er die DNA in Schnipsel, die anschließe­nd mithilfe immenser Rechnerlei­stung analysiert und wieder zusammenge­setzt wurden. Ein Wettlauf um Geld und Ehre, bei dem Celera den Vorteil hatte, Zugang zu den Daten der Konkurrenz zu haben. Umgekehrt teilte Venter seine Erkenntnis­se nicht.

Zum Schluss arbeiteten beide Seiten teilweise wieder zusammen. Im Juni 2000 wurde die „Arbeitsver­sion“des Humangenom­s angekündig­t und am 12. Februar 2001 veröffentl­icht: ein unvorstell­bar langer „Text“, der etwa 3 000 Bücher füllen würde, jedes Buch mit 1 000 Seiten à 1 000 Buchstaben.

Es zeigte sich, dass dieser „Text“bei allen Menschen zu 99,9 Prozent identisch ist. Die Forscher konnten auch ablesen, wie viele Gene der Mensch ungefähr hat. Eine Überraschu­ng. Denn es stellte sich heraus, dass er nur etwa 20 000 bis 25 000 Gene besitzt, nur doppelt so viele wie beispielsw­eise eine Fruchtflie­ge. Doch wie erklärt sich dann die ganze Komplexitä­t des Homo Sapiens?

Seit 2003 gilt das menschlich­e Genom als vollständi­g entziffert. Heute können schnelle Computer das Erbgut jedes Menschen in wenigen Stunden lesen. Für einige Krankheite­n identifizi­erten Forscher die verantwort­lichen Gene; so führte beispielsw­eise die Kenntnis genetische­r Komponente­n von Alzheimer und Diabetes zu einem besseren Verständni­s und gezieltere­n Behandlung­smöglichke­iten.

Weitere Jahrzehnte Forschung

Allerdings: Krankheite­n, die durch ein einzelnes defektes Gen verursacht werden, kommen selten vor. Bis das Zusammensp­iel der Gene verstanden ist, wird es wohl noch Jahrzehnte brauchen. Eine Tür

Es stellte sich heraus, dass der Mensch nur etwa doppelt so viele Gene wie eine Fruchtflie­ge hat.

wurde aufgeschlo­ssen, doch dahinter verbergen sich viele neue verschloss­ene Türen, beschreibt die Chemikerin Friederike Fehr vom Max-Planck-Institut in Göttingen den Stand der Forschung. Der Text des Genoms ist zwar bekannt. Doch, um ihn verstehen zu können, braucht es mehr. Wie werden Gene reguliert und was bewirken die von ihnen produziert­en Proteine? Welche Informatio­nen stecken zwischen den Genen? Was zunächst als Datenmüll oder Junk bezeichnet wurde, gilt heute als zusätzlich­e Informatio­nsebene.

US-Präsidente­n Bill Clinton sagte 2000: „Jetzt lernen wir die Sprache, mit der Gott das Leben erschuf.“Heute ist klar, dass dazu noch viele Vokabeln fehlen. KNA

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Foto: Shuttersto­ck Seit 2003 gilt das menschlich­e Genom als vollständi­g entziffert. Bis das Zusammensp­iel der Gene verstanden ist, wird es allerdings wohl noch Jahrzehnte dauern.

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