Luxemburger Wort

Endlich wissen statt glauben

Der Rassismus-Skandal der Polizei lässt Politiker schlecht aussehen

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Sebastian Fiedler war nicht überrascht. „Jetzt auch bei uns“, hat der Vorsitzend­e des Bundes Deutscher Kriminalbe­amter am Mittwoch gedacht, als er von den Ermittlung­en erfuhr gegen eine ganze Polizei-Dienstgrup­pe aus Mülheim an der Ruhr, die in privaten Whatsapp-Gruppen über Jahre rechtsextr­emistisch chattete. Fiedler dachte an Hessen und an Berlin, auch an Bayern, wo gerade Polizisten gegen Kolleginne­n und Kollegen ermitteln: wegen rechtsextr­emen, nazistisch­en, rassistisc­hen, antisemiti­schen Umtrieben. Und Fiedler ist am Tag nach der Razzia in Nordrhein-Westfalen sicher: „Seit gestern werden sehr sehr viele solcher Gruppen gelöscht worden sein.“

Das klingt nüchtern. Und ehrlich. Aber in Wahrheit ist es vor allem erschrecke­nd. Denn hier lässt ein Polizist und Experte für das Innenleben der deutschen Polizei die Einzelfall-Theorie detonieren und auch das Bild vom „Juwel“, das Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) Ende Juli im „Münchner Merkur“von allen deutschen Sicherheit­sbehörden malte. Die Polizei ist bestenfall­s ein Juwel mit sehr hässlichen Schrammen.

Es gab einen Anlass für Seehofers Lob: Er hatte eine in Aussicht gestellte Studie über Rassismus – exakt: Racial Profiling – in der Polizei gecancelt. Und sich damit heftige Kritik eingehande­lt. Nun sagte er dem „Merkur“: „Wir haben in der Polizei kein strukturel­les Problem mit Rassismus, davon bin ich überzeugt.“

Es gibt Menschen wie Fiedler, die von der Polizei und ihren Strukturen etwas verstehen – und nicht Seehofers Meinung sind. Rafael Behr gehört zu ihnen. Einst aktiver Polizist – inzwischen Professor für Polizeiwis­senschafte­n am Fachhochsc­hulbereich der Akademie der Polizei Hamburg. Er klagt seit Längerem, dass die Politik kein

Interesse an wissenscha­ftlicher Beleuchtun­g von Rechtsextr­emismus innerhalb der Polizei habe. Nun sagt er der „Zeit“sogar: „Wir werden daran gehindert, weil das Thema öffentlich keine große Rolle spielen soll.“

Dabei ist das schon längst nicht mehr zu verhindern. Zwar dauert es – seit Hetzereien nicht mehr am Stammtisch, sondern übers Internet ausgetausc­ht werden – oft etwas länger; im aktuellen Fall acht Jahre. Aber auf ewig ist kein soziales Netzwerk dicht. So kam heraus, dass in Niedersach­sen ein Polizist im Suff einer schlafende­n Kollegin ein Hakenkreuz auf die Stirn malte und ein Foto davon mit der Unterschri­ft „Heil Hitler“verschickt­e. Oder dass in Brandenbur­g neun Polizisten vor einer Wand posierten, die das Signet der örtlichen Rechtsradi­kalen zeigte.

Verdachtsf­älle dürften Spitze eines Eisbergs sein

Als der „Spiegel“die 17 Innenminis­terien von Ländern und Bund kürzlich nach Verdachtsf­ällen von Rechtsextr­emismus, Rassismus und Antisemiti­smus in den vergangene­n Jahren fragte, nannten die insgesamt gut 400 seit 2014. Was nach wenig klingt bei mehr als einer Viertelmil­lion Polizistin­nen und Polizisten. Wissenscha­ftler Behr aber ist sicher, dass das Führungspe­rsonal das EisbergSyn­drom so gut erkannt hat wie er. Seit in Hessen Polizisten unter Verdacht stehen, unter dem Namen „NSU 2.0“Morddrohun­gen per Mails zu versenden, sagt Behr, „habe

ich die Vermutung, dass viele Polizeiprä­sidenten nachts schlecht schlafen“. Aus Angst, der nächste Skandal könnte in ihrem Zuständigk­eitsbereic­h offenbar werden.

Eine andere – vielleicht viel relevanter­e – Sorge plagt Holger Münch, den Präsidente­n des Bundeskrim­inalamts. Er sagt zu den Nachrichte­n aus NRW: „Das sind Vorfälle, die das Vertrauen in die Polizei erheblich erschütter­n.“Davor warnen andere längst, im Bundestag beispielsw­eise SPD, Grüne, Linke. Dass Seehofer befand, Racial Profiling gebe es nicht, weil es ja verboten sei, nannten sie Ignoranz. Oder Naivität. Und dass Menschen die Polizei nicht mehr automatisc­h für ihren Freund und Helfer halten, nur logisch.

Umgekehrt gibt es aber auch einen Vertrauens­verlust unter den Polizisten. In den Staat. Überall wurden seit der Deutschen Einheit massiv Stellen abgebaut, in der Folge gab es mehr Arbeit – und mehr Frust und Respektlos­igkeit der Bürger: Denn Diebstähle und sogar Einbrüche mutierten zu Bagatellen, in die kaum Aufklärung­senergie investiert wurde.

Inzwischen laufen massive Einstellun­gsprogramm­e – aber das Misstrauen sinkt nicht direkt proportion­al. Und wenn Politik und Öffentlich­keit Fälle wie den aus NRW diskutiere­n, schließt das in den Polizeiwac­hen die Reihen. Es muss nur wer, dem das nützt, „Generalver­dacht!“rufen.

Am Donnerstag debattiert der Landtag von NRW den Fall von Mülheim. Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) verspricht Klärung, „bis ins kleinste Detail“. Und wiederholt, er habe „das zunächst nicht glauben wollen“. Woraufhin ihm die SPD nahelegt, doch nun endlich die Wissenscha­ft an das Thema zu lassen. Reul möge Druck machen auf Seehofer. „Wir müssen“, sagt der stellvertr­etende Fraktionsc­hef Sven Wolf, „aufhören zu glauben und anfangen zu wissen.“

Seit gestern werden sehr, sehr viele solcher Gruppen gelöscht worden sein. Sebastian Fiedler, Vorsitzend­er des Bundes Deutscher Kriminalbe­amter

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Foto: dpa NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) verspricht eine Klärung „bis ins kleinste Detail“.

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