Luxemburger Wort

Der Ruf nach einer europäisch­en Asylpoliti­k wird lauter

Die Brüsseler EU-Parlamenta­rier wollen angesichts der Situation im neuen Zeltlager auf Lesbos eine Asylreform vorantreib­en

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Lesbos/Brüssel. Eine „Schande“, „schrecklic­h“, „erschütter­nd“: Das EU-Parlament hat die Lage der Flüchtling­e auf Lesbos scharf kritisiert. Die Abgeordnet­en forderten am Donnerstag, dass sich die Mitgliedst­aaten endlich auf eine langfristi­ge Lösung einigen müssten. EU-Innenkommi­ssarin Ylva Johansson betonte, Situatione­n wie in Moria dürften sich nicht wiederhole­n. Ärzte, Helfer und Migranten auf Lesbos befürchten unterdesse­n genau das. „Die Ängste der Menschen hinsichtli­ch des neuen Lagers sind absolut berechtigt“, sagte die griechisch­e Rechtsanwä­ltin Elli Kriona bei einer Pressekonf­erenz.

„Keine weiteren Morias!“, forderte EU-Innenkommi­ssarin Ylva Johansson – dies sei eines der Ziele der neuen Migrations- und Asylpoliti­k, für die die EU-Kommission am Mittwoch einen neuen Vorschlag vorlegen werde. „Wir brauchen einen Neustart bei der

Migration. Und dies ist der richtige Zeitpunkt.“Denn: „Moria ist nicht normal, aber Migration ist normal.“Die EU-Abgeordnet­en forderten mehr langfristi­ge Hilfe für Griechenla­nd. Es könne nicht nur „Ad-hoc-Solidaritä­t“nach dem Brand in Moria geben, sagte Roberta Metsola von der christdemo­kratischen EVP-Fraktion.

Kritik an Internieru­ngslager

Diese Ansicht vertrat bei einer Online-Pressekonf­erenz des Anwaltsver­eins RAV am Donnerstag auch die griechisch­e Juristin Elli Kriona: „All die Aufmerksam­keit, die jetzt herrscht, all die humanitäre Hilfe, ist letztlich enttäusche­nd, weil nichts über Rechtsstaa­tlichkeit gesagt wird“, kritisiert­e sie. Diese aber stünde den Migranten zu und müsse sichergest­ellt werden. Im Moment sei es den Anwälten der Asylsuchen­den nicht einmal erlaubt, das neue Zeltlager auf Lesbos zu betreten, das seit dem Großbrand in Moria für rund 12 000 obdachlose Flüchtling­e errichtet wird.

Längst nicht alle wollen das Lager beziehen. Sie haben Angst, dort eingesperr­t zu werden. Diese Ängste gebe es zu Recht, sagte Kriona. Auch Moria sei mit der Begründung „Corona“bereits de facto ein Internieru­ngslager gewesen. Beim neuen Lager gebe es noch keine Informatio­nen, ob die Menschen es überhaupt wieder verlassen dürften. Der Großteil der Parlamenta­rier zeigte sich bestürzt und entrüstet über die Situation

im Mittelmeer. Dort, wo regelmäßig Migranten ertränken, gingen auch das europäisch­e Projekt und die Würde unter, sagte die Vorsitzend­e der Sozialdemo­kraten, Iratxe García Pérez. Die Liberale Sophie in 't Veld sagte, Moria sei kein Politikver­sagen, sondern Politik mit dem Ziel der Abschrecku­ng.

Migranten wollen Sicherheit

Terry Reintke (Grüne) zitierte einen afghanisch­en Mann zu der unwürdigen Situation vor Ort. Abgeordnet­e der rechtsnati­onalen ID-Fraktion hingegen plädierten gegen die Aufnahme der Menschen aus Moria. Sie hätten den Brand selbst verursacht und sollten bis zu ihrer Abschiebun­g in Lagern auf unbewohnte­n Inseln untergebra­cht werden.

Bei der Online-Pressekonf­erenz von RAV wandte sich unterdesse­n der syrische Flüchtling Raed Alabd von Lesbos aus mit einem verzweifel­ten Hilferuf an die Teilnehmer. Er lebt nach eigenen Angaben bereits seit neun Monaten auf der Insel. „Wir sterben hier, bitte helft unseren Kindern, helft uns.“, appelliert­e er. „Wir haben unser Land, unsere Familien und unser Zuhause verloren, sonst wären wir nicht hier.“Die Menschen bräuchten keine Gaben: „Wir brauchen einen Grund, unserem Leben kein Ende zu setzen.“

Die Menschen auf Lesbos hätten unzählige Fragen, sie wüssten nicht, was mit ihnen in dem neuen Zeltlager geschehe, ob man dort eingesperr­t werde, ob es dort medizinisc­he Versorgung und fließend Wasser gebe, sagte der Syrer. „Wir haben alles verloren. Wir brauchen Sicherheit.“Der Wunsch der Migranten, von der Insel geholt zu werden, dürfte sich jedoch nicht erfüllen. „Ein neues, dauerhafte­s und angemessen­es Center ist die Priorität“, sagte EU-Kommissari­n Johansson. dpa

Wir brauchen einen Grund, unserem Leben kein Ende zu setzen. Raed Alabd, syrischer Flüchtling

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