Luxemburger Wort

Halali auf die verhasste „Kaste“

Am Sonntag und Montag stimmen die Italiener über die Verkleiner­ung des Parlaments von 945 auf 600 Abgeordnet­e und Senatoren ab

- Von Dominik Straub (Rom)

Über den Ausgang der Volksabsti­mmung herrschen wenig Zweifel: In Umfragen geben zwischen 70 und 80 Prozent der Befragten an, ein Ja auf den Stimmzette­l zu schreiben. Die Politiker genießen in Italien einen denkbar ungünstige­n Ruf – und in der Regel tun sie wenig dafür, ihr schlechtes Image zu korrigiere­n. Für die meisten Italiener sind die nationalen Parlamenta­rier der Inbegriff für arrogantes Verhalten, Ineffizien­z, Korruption, Günstlings­wirtschaft und – wegen ihrer hohen Entschädig­ungen – für parasitäre­s Verhalten auf Kosten der Steuerzahl­er. Tatsächlic­h leistet sich Italien, das Land mit der dritthöchs­ten Staatsvers­chuldung der Welt, die großzügigs­ten Politikerl­öhne Europas: Die 630 Abgeordnet­en in der großen Kammer, die „onorevoli“(Ehrenwerte­n), kommen auf rund 14 000 Euro monatlich, die 315 „senatori“werden mit 15 000 Euro vergütet.

„Am Wochenende kann sich das italienisc­he Volk seine Macht wieder aneignen, indem es die Dinosaurie­r zurück in den Wald des ,Jurassic Park' jagt“, tönte Beppe Grillo in diesen Tagen auf seinem Blog. Für den 72-jährigen Komiker und

Gründer der Fünf-Sterne-ProtestBew­egung war die „Kaste“, die „partitocra­zia“, schon immer sein liebstes Feindbild gewesen: „Die Parteien sind das Krebsgesch­wür unserer Demokratie“, betont der Messias der italienisc­hen Wutbürger und Politikver­drossenen seit Jahren. Mit seiner Forderung, die Zahl der Parlamenta­rier zu verkleiner­n und mit den Privilegie­n der Politiker aufzuräume­n, ist seine Protestbew­egung bei den Parlaments­wahlen im März 2018 zur stärksten Partei Italiens geworden.

Die Verfassung­sreform sieht vor, dass die Zahl der Abgeordnet­en von 630 auf 400 und der Senatoren von 315 auf 200 verkleiner­t wird. Die Befürworte­r wollen errechnet haben, dass der italienisc­he Staat mit der Verkleiner­ung des Parlaments jedes Jahr rund 500 Millionen Euro einsparen würde. Außerdem arbeite ein kleineres Parlament effiziente­r: Die Diskussion­en

und Polemiken in den Kammern würden verkürzt. Bei der vierten und letzten Lesung der Reform haben im Parlament alle großen Parteien der Verkleiner­ung zugestimmt: Die „Grillini“sowieso, aber auch die mit der Protestbew­egung regierende­n Sozialdemo­kraten des PD. Zugestimmt haben auch die beiden wichtigste­n Opposition­sparteien, die rechtspopu­listische Lega von Ex-Innenminis­ter Matteo Salvini und die postfaschi­stischen Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni.

Eine Lösung, die neue Probleme schafft

Doch das Unbehagen in den traditione­llen Parteien, die Lega eingeschlo­ssen, ist groß, denn die Verkleiner­ung des Parlaments würde mehr Probleme schaffen, als sie löst. Für die – nicht zu leugnende – Ineffizien­z der italienisc­hen Volksvertr­eter ist nicht deren Zahl verantwort­lich, sondern deren Qualität: Sie werden den Wählern von den Parteien auf blockierte­n Listen präsentier­t, und die Parteiführ­er setzen in der Regel nicht die fähigsten Kandidaten auf die guten Listenplät­ze, sondern die treuesten und beeinfluss­barsten. Eine gleichzeit­ige Reform des Wahlrechts hätte zumindest teilweise

Abhilfe schaffen können, aber aus.

Und: Weil künftig weniger Sitze im Parlament zu verteilen sind und die Wahlkreise dadurch größer werden, werden die nationalen Politiker ihre Wähler künftig noch schlechter repräsenti­eren als blieb zuvor. Außerdem dürften kleine Regionen im Parlament in Zukunft untervertr­eten sein, besonders im Senat.

Ein weiteres, zentrales Problem bleibt ebenfalls ungelöst: Italien verfügt über zwei Parlaments­kammern mit identische­n Funktionen.

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