Luxemburger Wort

Ein Held ohne Grab

Gerichtsbe­scheid über die Überreste des Kongolesen Patrice Lumumba

- Von Johannes Dieterich (Kapstadt)

Eines der brutalsten Kapitel der europäisch­en Kolonialge­schichte ist jetzt um einen weiteren Absatz verlängert worden, der kaum weniger schaurig als seine Vorgeschic­hte ist. Ein Brüsseler Gericht hat am Donnerstag entschiede­n, dass die Kinder des 1961 ermordeten kongolesis­chen Premiermin­isters Patrice Lumumba in die belgische Hauptstadt kommen können, um den einzigen Überrest ihres Vaters – einen Zahn – in Empfang zu nehmen.

Nach seiner Ermordung durch ein kongolesis­ches Erschießun­gskommando im Januar 1961 hatten belgische Polizisten den Leichnam des 35-jährigen Regierungs­chefs zersägt, angezündet und schließlic­h in Säure aufgelöst. Er habe sich jedoch zwei Zähne Lumumbas gesichert, ließ der belgische Polizist Gérard Soete fast vier Jahrzehnte später gegenüber Journalist­en wissen. Soete starb im Jahr 2000. Seine Tochter blieb im Besitz der beiden Zähne, bis ein belgischer Wissenscha­ftler vor vier Jahren vor Gericht zog. Zumindest einer der beiden Zähne wurde daraufhin von der belgischen Staatsanwa­ltschaft konfiszier­t. Anlässlich des 60. Jahrestags der kongolesis­chen Unabhängig­keit schrieb Lumumbas Tochter Juliana Amato am 30. Juni dieses Jahres einen Brief an Belgiens König Philippe, in dem sie um die Rückgabe der Zähne ihres Vaters bat.

Misshandlu­ng der Kongolesen

„Einige Ihrer Mitbürger missbrauch­en die einzigen Überreste Patrice Emery Lumumbas als Trophäen, und von der Justiz ihres Königreich­s werden sie als trübselige Gegenständ­e beschlagna­hmt“, heißt es in dem Brief: „Mein Vater ist ein Held ohne Grab.“

Die belgische Misshandlu­ng der Bewohner des Riesenreic­hs im Herzen Afrikas begann in den 1880er Jahren, nachdem sich König Leopold II. den Kongo als Privatbesi­tz unter den Nagel gerissen hatte und jene Kongolesen, die nicht genügend Kautschuk als Steuer liefern konnten, die Hände abschlagen oder gleich töten ließ. 1908 ging das Land von der Größe Westeuropa­s in den Besitz Belgiens

über und wurde im Juni 1960 Hals über Kopf in die Unabhängig­keit entlassen. Kurz zuvor war der charismati­sche Lumumba, Führer der Befreiungs­bewegung „Mouvement National Congolais“, aus dem Gefängnis entlassen und zum Regierungs­chef gewählt worden. Schon während der Unabhängig­keitsfeier kam es zum Eklat, als Lumumba dem anwesenden belgischen König Baudouin (der in seiner Rede seinen Vorgänger Leopold II. als „Genie“gefeiert hatte) an den Kopf warf: „Wir haben uns von der erniedrige­nden Sklaverei, die uns aufgezwung­en worden war, befreit.“

Schon wenige Monate später brach Lumumbas Regierung unter dem Druck des meuternden Militärs und der sich abspaltend­en rohstoffre­ichen Provinz Katanga zusammen: Beide wurden sowohl von Belgien wie von den Geheimdien­sten der USA und Großbritan­niens unterstütz­t. Als sich Lumumba hilfesuche­nd an die UdSSR wandte, wurde er von Soldaten des späteren Diktators Mobutu Sese

Seko festgenomm­en, nach Katanga verschlepp­t, gefoltert und schließlic­h unter Anwesenhei­t belgischer Offiziere erschossen. Um zu verhindern, dass das Grab des populären Befreiungs­kämpfers zu einem Wallfahrts­ort werden konnte, vernichtet­en vier belgische Polizisten die Leiche.

Belgien verschleie­rt einen Mord

Die genaueren Umstände von Lumumbas Tod wurden bis Ende des vergangene­n Jahrhunder­ts geheim gehalten. Erst in seiner WDR-Dokumentat­ion „Mord im Kolonialst­il“brachte Filmemache­r Thomas Giefer den inzwischen pensionier­ten belgischen Polizeikom­missar Soete zum Reden: Er bestätigt, dass hinter der Ermordung Lumumbas neben den belgischen Sicherheit­skräften auch die CIA und der MI6 standen. Der Westen wollte offenbar verhindern, dass die kongolesis­chen Uran-Vorkommen den Sowjets in die Hände fielen. Es dauerte weitere Jahre, bis Belgien schließlic­h zögerlich seine Mitverantw­ortung für den Mord einräumte. Und erst in diesem Jahr sprach König Philippe sein „tiefstes Bedauern“für das „Leiden und die Erniedrigu­ng“aus, die Belgien über den Kongo gebracht hätten. Allerdings scheint sich das Bedauern bereits in der Erlaubnis zu erschöpfen, dass die Tochter des Ermordeten den Zahn nun in Brüssel abholen darf.

Die genaueren Umstände von Lumumbas Tod wurden lange geheim gehalten.

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Foto: LW-Archiv/AP Der 1960 gefangen genommene Patrice Lumumba (Dritter von links), Führer der Unabhängig­keitsbeweg­ung, kurz vor seiner Hinrichtun­g.
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Foto: AFP Guy-Patrice Lumumba, Sohn von Patrice Lumumba, im Juli bei der Einweihung der „Rue Patrice Lumumba“in Charleroi.

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