Luxemburger Wort

Verdrehte Wirklichke­it

In einer Bürgerspre­chstunde mit unentschlo­ssenen Wählern wird Donald Trump mit der Realität im Land konfrontie­rt

- Von Thomas Spang (Washington) Karikatur: Florin Balaban

Die Fragestell­erin im National Constituti­on Center schaut den Präsidente­n ungläubig an, als dieser versucht, seine eigenen Worte umzudrehen. Die schwarze Frau wollte von Trump in der ersten Bürgerspre­chstunde des Wahlkampfs im Fernsehsen­der ABC wissen, warum er wissentlic­h eine tödliche Pandemie „herunterge­spielt“habe, wenn die Sicherheit der Amerikaner doch die wichtigste Aufgabe eines Präsidente­n sei.

„Ich habe das nicht herunterge­spielt, sondern es durch mein Handeln in vielen Fällen hervorgeho­ben“, antwortete Trump der verblüffte­n Wählerin. Die hatte mit eigenen Ohren gehört, wie der Präsident dem Starreport­er der Washington Post Bob Woodward genau das Gegenteil sagte. Auf dem Audio-Mitschnitt eines von insgesamt achtzehn Interviews gibt der Präsident am 19. März zu, den Amerikaner­n absichtlic­h nicht die volle Wahrheit über die Gefahren des Covid-19-Erregers gesagt zu haben.

„Ich wollte das immer heruntersp­ielen“, sagt Trump klar vernehmbar und fügt hinzu: „Ich möchte es immer noch heruntersp­ielen, weil ich keine Panik erzeugen will.“

Genau das versuchte Trump weiterhin in der Bürgerspre­chstunde, in der er sich kritischen Fragen unentschie­dener Wähler ausgesetzt sah. „Ich bleibe dabei, das Virus wird verschwind­en selbst ohne Impfstoff“, behauptete der Präsident. „Wir sind an einem Wendepunkt der Krise“.

Ein Präsident im Widerspruc­h zu den Experten

Der Präsident bezog damit eine Position, die im Widerspruc­h zur Einschätzu­ng seiner eigenen Experten steht. Der Chef des „Nationalen Instituts für Infektione­n und Allergien“, Anthony Fauci, hatte die Amerikaner gerade erst eindringli­ch dazu aufgeforde­rt, die Bedrohung durch den Erreger ernst zu nehmen. Selbst mit einem Impfstoff werde „der Alltag nicht vor Ende 2021 zur Normalität zurückkehr­en“. Trump gab in der Bürgerspre­chstunde zu erkennen, dass er „Herden-Immunität“als gangbaren Weg betrachtet. Wobei er bei seiner Antwort den falschen Begriff dafür gebrauchte. Es entwickele sich auch über die Zeit eine „Herdenment­alität“, sagte Trump. „Sie wird von der Herde entwickelt, und das wird passieren“.

Experten gehen davon aus, dass sich das Virus bei einer Infektions­rate von 60 bis 70 Prozent der gesamten Bevölkerun­g nicht mehr verbreiten kann. Das wären rund 200 Millionen Erkrankte. Konsens unter den Wissenscha­ftlern ist, dass dies angesichts der Tödlichkei­t des Virus kein akzeptable­r Weg ist. Bisher haben sich 6,6 Millionen

Amerikaner nachgewies­enen mit dem Covid-19-Erreger infiziert. Fast 200 000 davon sind der Krankheit erlegen.

Trump spielt erneut Bedeutung von Masken herunter

Eine andere Wählerin will wissen, warum der Präsident nicht vorbehaltl­os das Tragen von Masken unterstütz­t. „Eine Menge Leute mögen es nicht, Masken zu tragen“, sagt Trump, der selber in der Öffentlich­keit keinen Mund- und Nasenschut­z trägt. „Es gibt eine Menge Leute, die denken, das sei nicht gut“. Moderator George Stephanopo­ulos hakt nach. Wer dies denn sei? „Ich kann Ihnen sagen, wer das ist: Kellner“, antwortet Trump. Die störe die Maske so sehr, dass sie damit herumspiel­ten. „Sie fassen sie an und anschließe­nd ihren Teller. Das kann nicht gut sein.“

Das Heruntersp­ielen der Nützlichke­it von Masken steht ebenfalls im Widerspruc­h zum Konsens der eigenen Experten und Gesundheit­sbehörden. Die eigenen Worte des Präsidente­n lassen zudem keinen Zweifel daran, dass er den Ernst der Lage verstanden hat. „Sie brauchen nur die Luft einzuatmen und schon haben sie sich angesteckt“, spricht Trump am 7. Februar, lange vor Beginn der Pandemie in den USA, Watergate-Reporter Woodward auf Band. „Das ist sehr viel tödlicher als selbst eine starke Grippe“, meinte der Präsident und fügte emphatisch hinzu: „Das ist tödliches Zeug.“

Woodward begründete das Leugnen Trumps seiner eigenen Worte in einem Interview mit CNN mit Zweifeln an der Fähigkeit des Präsidente­n, „die Dinge in seinem Kopf klarzukrie­gen“. Ehrlich gesagt wisse er nicht, ob Trump noch unterschei­den könne, „was real und was nicht real ist“. Kritischen Fragen musste sich Trump auch zu den Protesten gegen die Polizeigew­alt, seinem Verhältnis zur afroamerik­anischen Gemeinde und seiner Haltung zum Militärdie­nst stellen. Sichtlich aufgeregt reagierte er auf einen Bericht des renommiert­en Magazins „The Atlantic“, nach dem er Kriegstote als „Verlierer“und „arme Schlucker“denunziert und sein Unverständ­nis darüber geäußert haben soll, wie jemand freiwillig Soldat werden könne. „Alles Fake News“.

Trump steht so kurz vor den Wahlen vor der Aufgabe, unentschie­dene Wähler zu überzeugen. Gemessen am Verlauf und den Reaktionen im Publikum der Bürgerspre­chstunde dürfte er nach Ansicht unabhängig­er Beobachter nicht viele überzeugt haben.

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