Vorbildliche Teamkollegen
Richard Carapaz überlässt Michal Kwiatkowski bei der Tour de France den Etappensieg
Richard Carapaz lächelt. Der Ecuadorianer, der in den vergangenen Tagen oft attackiert hatte, erreicht das Etappenziel bei der Tour de France endlich mit der Spitze. Doch er gewinnt trotzdem nicht und lässt seinem polnischen Teamkollegen Michal Kwiatkowski den Vortritt. Beide Profis vom Team Ineos waren die stärksten Fahrer einer zunächst mehr als 30-köpfigen Ausreißergruppe, in der auch der Luxemburger Bob Jungels (Deceuninck) fuhr.
„Richard hat gesagt, dass ich den Etappensieg bekomme, denn er hat ja das Bergtrikot übernommen“, meinte Kwiatkowski im Siegerinterview. Doch so sehr Carapaz lächelte, als er Arm in Arm mit Kwiatkowski über die Ziellinie fuhr, so schwer fiel ihm die Entscheidung. Denn die beiden Fahrer diskutierten in der letzten Abfahrt immer wieder miteinander, auch wenige hundert Meter vor dem Ziel wussten sie noch nicht, was sie tun sollten. Kwiatkowski sprach per Funk mit dem Sportlichen
Leiter, bis Carapaz ihm schließlich auf die Schulter klopfte und selbstlos auf den Sieg verzichtete.
Kwiatkowski hatte Tränen in den Augen, als er die Fragen der Medien beantwortete. „Es ist einfach unglaublich, ich hatte den ganzen Weg ins Ziel Gänsehaut. Das muss die Magie der Tour de France sein. Ich hatte einige schöne Momente im Radsport, aber das hier war neu für mich. Jetzt können wir endlich feiern.“
Jungels kämpft mit Rückenproblemen
Dass Kwiatkowski den Ruhm des Etappensiegers einstreicht, ist nur logisch. Während Carapaz erst seit dieser Saison fürs Team Ineos fährt, das vorher Sky hieß, war Kwiatkowski über Jahre hinweg ein vorbildlicher Teamkollege und führte sowohl Christopher Froome, als auch Geraint Thomas und Egan Bernal zum Gesamtsieg bei der Tour de France.
Für persönliche Ambitionen war kein Platz, obwohl der Weltmeister des Jahres 2014 diese hätte haben können. Sein Palmarès mit zahlreichen Triumphen bei großen Eintagesrennen wie der Strade Bianche, dem Amstel Gold Race, E3 Harelbeke oder der Clasica San Sebastian, oder auch die Gesamtsiege bei Tirreno-Adriatico und der Polen-Rundfahrt zeigen, dass Kwiatkowski einer der erfolgreichsten Fahrer seiner Zeit ist. Nun hat er auch beim weltgrößten Rennen seine Belohnung erhalten.
Die persönlichen Ambitionen muss auch Jungels zurückstellen. Heute wird er nicht mehr in die Ausreißergruppe gehen, denn mit Teamkollege Sam Bennett (IRL) will man die Punktewertung gewinnen. „Wenn wir morgen (heute) mit ihm noch ein paar Punkte holen, sollte das reichen, um das Grüne Trikot bis nach Paris zu bringen“, meint Jungels. „Ein weiterer Ausreißversuch macht für mich keinen Sinn. Sam und das Team brauchen alle Kräfte, um das Grüne Trikot zu sichern.“
Jungels war in der großen Ausreißergruppe chancenlos. Er sei froh gewesen, an der Spitze gefahren zu sein, doch sein Körper ließ den 27-Jährigen im Stich: „In den Anstiegen hatte ich etwas Rückenprobleme. Ich weiß aber nicht, ob das noch eine Folge des Sturzes am Sonntag ist (ein Krankenwagen stieß mit Jungels zusammen, Anmerkung der Redaktion). Danach war nämlich eigentlich alles in Ordnung. Als es bergauf ging, hatte ich immer nach zehn oder 15 Minuten richtige Schmerzen.“
Primoz Roglic kann sich indes langsam mit dem Gesamtsieg anfreunden. Der Slowene vom Jumbo-Team verlor gestern keine Zeit auf seine Konkurrenten. Zwei Flachetappen muss er noch überstehen, sowie das Bergzeitfahren am Samstag in La Planche des Belles Filles. Doch schon jetzt steht Roglic praktisch als Sieger dieser Etappe fest, denn sowohl im Zeitfahren als auch in den Bergen ist gegen ihn kein Kraut gewachsen. Konkurrenz droht eigentlich nur aus dem eigenen Team.
Ich hatte den ganzen Weg ins Ziel Gänsehaut. Das muss die Magie der Tour de France sein. Michal Kwiatkowski