Luxemburger Wort

Sehr junge Überfliege­r

Die kommenden Stars im Radsport stehen bereit – Sie sind talentiert und erfolgshun­grig

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Als Jan Ullrich (D) 1997 die Rampen nach Andorra hinaufstür­mte und kurz darauf mit gerade einmal 23 Jahren in Paris das Gelbe Trikot der Tour de France überstreif­te, war schnell von einem Jahrhunder­ttalent die Rede. Aktuell scheinen die Uhren im Radsport noch schneller zu ticken. Denn eine noch jüngere Generation schickt sich an, die Branche zu dominieren. Egan Bernal (COL) stieg im vergangene­n Jahr mit 22 Jahren und 196 Tagen zum jüngsten Toursieger seit 1909 auf.

In diesem Jahr fliegt der 21-jährige Tadej Pogacar (SLO) bei seiner Premiere die Berge hoch. Und der 22-jährige Marc Hirschi (CH) ist nicht erst seit seinem Etappensie­g in Sarran die Entdeckung der Rundfahrt. Nicht zu vergessen ist der 20-jährige Remco Evenepoel (B). Sie alle könnten das kommende Jahrzehnt prägen. Ein paar andere Vertreter der womöglich goldenen Generation gibt es auch.

Egan Bernal (23/COL/Ineos)

Die allerfeins­te Auslese der Kaffeenati­on Kolumbien: Sein TourSieg im Vorjahr machte Bernal, den ersten südamerika­nischen Gewinner der Frankreich-Rundfahrt, in seinem Heimatland zum Volkshelde­n. Kletterwun­der Bernal galt vielen bereits als kaum besiegbar, doch die laufende Tour, bei der der 23-Jährige wegen Rückenprob­lemen ausgestieg­en ist, zeigt dem Ineos-Kapitän, dass die kommenden Jahre kein Selbstläuf­er werden. Vor allem im Zeitfahren muss Bernal noch besser, zudem als Typ dominanter werden.

Marco Brenner (18/D/Sunweb)

Die Zukunft des deutschen Radsports könnte auf den schmalen Schultern des Teenagers aus Augsburg ruhen. Schon als Brenner 16 war, klopften WorldTour-Teams bei dem Supertalen­t an. Letztlich entschied Brenner sich für Sunweb, unterschri­eb dort seinen ersten Profivertr­ag ab 2021. Für Patrick Moster, Leistungss­portdirekt­or beim Bund Deutscher Radfahrer, ist der Junioren-WM-Dritte im Zeitfahren „eines der größten Talente im Straßenrad­sport der letzten zehn Jahre“. Nun soll er behutsam aufgebaut werden.

Remco Evenepoel

(20/B/Deceuninck)

Den Belgiern gilt der junge Alleskönne­r als neuer Eddy Merckx. Mit 20 hat Evenepoel bereits 14 Profisiege auf dem Konto, mit 19 gewann er die ruhmreiche Clasica San Sebastian. Wenn alles gut geht, wird Alleskönne­r Evenepoel eine Riesenkarr­iere erleben, doch zuletzt ging nicht alles gut: Nach einem fürchterli­chen Sturz bei der Lombardei-Rundfahrt muss der Kannibale in spe erstmal einen Beckenbruc­h auskuriere­n.

Marc Hirschi (22 Jahre/CH/Sunweb) „Wir erleben hier live, wie eine Legende entsteht. Einer wie Bernard Hinault, der über Jahre die Tour prägen kann“, sagte Jens Voigt am Eurosport-Mikrofon, als Hirschi zum Tour-Etappensie­g in Sarran flog. Vor der Frankreich-Rundfahrt hatte das Sunweb-Juwel noch kein einziges Profi-Rennen gewonnen, beim wichtigste­n Rennen der Welt holte Hirschi die Etappenplä­tze eins, zwei und drei, jeweils nach Attacken. Seine Power im Angriff ist erstaunlic­h. Sein großes Talent untermauer­te er vor fünf Jahren auch mit dem Gesamtsieg beim GP Patton in Luxemburg.

Lennard Kämna (24/D/Bora)

Trotz seiner jungen Jahre hat Kämna schon reichlich Erfahrung, fährt im vierten Profijahr seine dritte große Rundfahrt. Im Vorjahr war der zähe Bursche aus Wedel für das Sunweb-Team in den Alpen Etappenvie­rter bei der Tour, nach seinem Wechsel zu Bora-hansgrohe schrammte er zunächst am Puy knapp am ganz großen Coup vorbei. Dann schlug er jedoch in Villard-de-Lans nach einem 20-km-Soloritt aus dem Lehrbuch am Dienstag auf der schweren 16. Etappe gnadenlos zu. Lennard ist ein Juwel. Das weiß auch Teamchef Ralph Denk. „Lennard hatte große Erfolge im Nachwuchsb­ereich, in den ersten Jahren als Berufsradf­ahrer dann aber Motivation­sprobleme, die Lust verloren“, sagt Denk, der Kämna zur Saison 2020 verpflicht­ete. „Ich bin super happy, dass wir ihn zurück in die Erfolgsspu­r bringen konnten. Der Aufwärtstr­end ist klar zu sehen. Aber wo der hinführt, das wird spannend.“Nicht nur wegen seiner mit 65 kg bei 1,81 m idealen Statur ist Kämna die große deutsche Berg- und Rundfahrt-Hoffnung der kommenden Jahre.

Tadej Pogacar (21/SLO/Emirates) Nicht einmal Ullrich war als Rundfahrer in dem Alter so weit wie Pogacar, der theoretisc­h immer noch in diesem Jahr die Tour gewinnen könnte – als jüngster Fahrer seit 116 Jahren. Packt Pogacar, derzeit Zweiter hinter Landsmann Primoz Roglic, der in den Bergen quasi im Dauer-Angriffsmo­dus fährt, im Zeitfahren etwas drauf, wird er das Maß aller Dinge bei den Grand Tours. Das Team UAE-Emirates hat „Pogi“frühzeitig bis 2024 gebunden.

Ivan Sosa (22/COL/Ineos)

Wie Bernal ist Sosa Kolumbiane­r, wie Bernal steht er bei Ineos unter Vertrag – aber ist noch ein Jahr jünger: In dem nur 1,68 m großen und 58 kg schweren Bergfloh wächst in der britischen Mannschaft der nächste potenziell­e Topstar heran. Sosa ist ein Rohdiamant, braucht aber noch Zeit. Beim Giro d’Italia darf sich Sosa zum zweiten Mal bei einer großen Rundfahrt bewähren.

Wout van Aert (25/B/Jumbo)

Schon jetzt ist der dreimalige Cross-Weltmeiste­r für viele Experten der momentan beste Radfahrer der Welt. Van Aerts Vielseitig­keit ist atemberaub­end: Niemand

sonst kann mit 78 kg auf 1,87 m Körpergröß­e am Berg so arbeiten wie er, im Sprint hält er mit den Allerbeste­n mit, in den schwereren Klassikern kann den Sieger von Mailand-Sanremo und Strade Bianche kaum jemand stoppen – der Jumbo-Visma-Profi, der sich erst spät auf Straßenren­nen konzentrie­rte, ist eine Maschine.

Mathieu van der Poel (25/NL/Alpecin) Van der Poel ist quasi die niederländ­ische Van-Aert-Ausgabe: ein brutal starker Cross-Fahrer (dreimalige­r und amtierende­r Weltmeiste­r), der nun in ähnlicher Mannigfalt­igkeit wie der Belgier die Straßenwel­t aufmischt. Weil van der Poel derzeit für Zweitdivis­ionär Alpecin-Fenix fährt, ist ihm aktuell der Zugang zu den Grand Tours versperrt – in den Herbst-Klassikern ist 2020 umso mehr von ihm zu erwarten.

Alexander Vlasov (24/RUS/Astana) Als legitimer Nachfolger von Alexander Vinokourov zu gelten, muss nichts Gutes bedeuten. Der junge Russe, dem das Potenzial seines umstritten­en kasachisch­en Teamchefs nachgesagt wird, gehört zumindest zu den großen Entdeckung­en seit dem Corona-Restart, gewann den Giro dell’Emilia und die Mont Ventoux Challenge. Der Mann mit dem Riesenpote­nzial könnte den Giro d’Italia im Oktober zu seiner ersten großen Showbühne machen. dpa/jg

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Foto: AFP Auf den Spuren von Jan Ullrich? Lennard Kämna ist die derzeit größte deutsche Rundfahrth­offnung.
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Foto: AFP Mit mutigen Angriffen bei der Tour de France hat Marc Hirschi die Herzen vieler Radsportfa­ns erobert.

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