Zwei Seelen in einer Nordstadbrust
Die Bürgermeister von Diekirch und Ettelbrück bewerten die finanzielle Förderung durch den Staat unterschiedlich
Der Ettelbrücker CSV-Bürgermeister Jean-Paul Schaaf (54) und der sozialistische Gemeindevater von Diekirch, Claude Haagen (58), sitzen bei den Fusionsbemühungen in der Nordstad in einem Boot. Bei der Frage, ob die Nordstad vom Staat ausreichend finanziell gefördert wird, gehen die Meinungen jedoch auseinander. Im Zwiegespräch legen die beiden ihre Argumente dar.
Jean-Paul Schaaf, Sie haben schon mehrfach bemängelt, dass die Nordstad im Rahmen der Gemeindefinanzreform gegenüber den anderen nationalen Entwicklungspolen Luxemburg-Stadt und Esch/Alzette benachteiligt wurde, wie begründen Sie das?
Jean-Paul Schaaf: Erst einmal muss man sagen, dass die Gemeindefinanzreform für alle Kommunen eine Verbesserung mit sich gebracht hat. Das war eine gute und überfällige Reform. Ich kritisiere allerdings den Aspekt der Landesplanung. Die Gelder, die vom Staat über Steuern eingesammelt und an die Gemeinden verteilt werden, werden zu 82 Prozent aufgrund des Einwohnerschlüssels verteilt. Dazu kommt der Aspekt der Landesplanung. Mit der Stadt Luxemburg gibt es ein Centre de développement et d'attraction (CDA) supérieur und zwei CDA moyen, Esch/Alzette und den sogenannten Bipôle Diekirch-Ettelbrück, dazu kommen noch zwölf kleinere Ortschaften, die als regionales Zentrum gelten. Laut Landesplanungsgesetz werden die Einwohnerzahlen um einen fiktiven Wert erhöht. Im
Fall der Hauptstadt sind es 45 Prozent, bei Esch/Alzette sind es 25 Prozent und für die zwölf regionalen Zentren fünf Prozent.
Bei Diekirch und Ettelbrück sind es hingegen null Prozent, weil sie kein regionales Zentrum sind. Dabei erfüllen wir regionale Aufgaben. Ich kritisiere, dass die Regierung die Nordstad über règlements grand-ducaux bewusst rausgenommen hat und 2019 wurde das im Budgetgesetz verankert. Bei den Zahlen ist der Unterschied frappant. Während Luxemburg-Stadt pro Einwohner rund 5 000 Euro erhält, sind es für Ettelbrück 3 207 Euro. Damit liegt Ettelbrück auf dem 88. Platz unter 102 Gemeinden.
Wie erklären Sie sich diese Haltung der Regierung?
J-P. S.: Der damalige Innenminister Dan Kersch (LSAP) hat 2016 argumentiert, wir wären erst dabei uns zu einem Zentrum zu entwickeln. Er hat aber bei einem Treffen mit den fünf Nordstadbürgermeistern am 29. Februar 2016 in Aussicht gestellt, uns zu berücksichtigen, allerdings nur Diekirch und Ettelbrück, nicht aber die drei kleineren Gemeinden. Damals war von jeweils zehn Prozent die Rede. Damit sollte eine noch engere Zusammenarbeit respektive eine
Fusion angeregt werden.
Claude Haagen, von Ihnen hat man in dieser Hinsicht weniger Kritik gehört, dabei müssten Sie als Bürgermeister von Diekirch doch eigentlich am selben Strang ziehen. Sie sehen das also anders als Herr Schaaf?
Claude Haagen: Ich bin erst mal froh zu hören, dass die Reform der Gemeindefinanzen gut angekommen ist, das wundert mich etwas, weil die CSV damals dagegen gestimmt hat. Die Reform hat Ettelbrück rund drei und Diekirch zwei Millionen Euro mehr eingebracht. Auch die anderen Nordstadgemeinden haben profitiert. Was den Status als CDA betrifft, so kann man die 25 Prozent erst bekommen, wenn man bereits besteht. Wenn jetzt Diekirch und Ettelbrück mehr erhalten, würden die anderen Nordstadgemeinden verlieren. Ich finde, man sollte solidarisch bleiben. Wenn die Nordstad als CDA anerkannt wird, muss das Budget für die CDA angehoben werden, sonst ginge das auf Kosten anderer Gemeinden und dann wäre ich mal auf die Reaktion der Stadt Luxemburg gespannt.Wir bestehen jedenfalls alle darauf, dass die Nordstad als CDA 25 Prozent erhält.
Wie reagieren Sie darauf Herr Schaaf, sind Sie unsolidarisch?
J-P.S.: Hier sind wir unterschiedlicher Meinung. Man hätte die Landesplanung bei der Gemeindefinanzreform überdenken müssen. Auf Karten aus dem Jahr 2003 sind wir als CDA eingezeichnet. Es ist schade, dass wir kein règlement grand-ducal mehr haben, denn das hätte man vor dem Tribunal administratif kippen können. Wir wollen keinen parteipolitischen Kulturkampf innerhalb der Nordstad, aber ich bleibe bei meiner Meinung. Aus einer Antwort von Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) auf eine parlamentarische Frage von André Bauler (DP) geht aber auch hervor, dass wir nach einer Fusion 11,6 Millionen Euro pro Jahr mehr erhalten würden. Das ist wichtig, damit wir den Menschen zeigen können, dass wir nach einer Fusion mehr Geld erhalten.
Herr Hagen, können Sie als Parteikollege von Dan Kersch überhaupt Ihre ehrliche Meinung als Bürgermeister sagen, ohne diesem in den Rücken zu fallen?
C.H.: Ich bin bekannt dafür, dass ich meine Meinung sage, egal ob der Minister Kersch, Bofferding oder anders heißt. Man kann natürlich immer mehr Geld verlangen, aber ich glaube nicht, dass die aktuelle Regelung vom Tribunal administratif gekippt worden wäre. Ich stelle fest, dass die Gemeinden Diekirch und Ettelbrück durch die Reform mehr Geld erhalten. Auf Basis einer davon unabhängigen Konvention mit dem Ministerium wurden seit 2010 zudem 2,5 Millionen Euro in die Nordstad investiert. In diesem Zusammenhang muss ich auch einen Vorwurf an alle Nordstadgemeinden richten. Von den letzten 1,5 Millionen Euro, die uns zugestanden wurden, haben wir nur
900 000 abgerufen. Ich bin aber auch nicht der Meinung, dass wir nur Projekte realisieren sollten um Geld auszugeben. Wir wären gut beraten in ein Fusionsgesetz zu schreiben, dass wir für konkrete Projekte Subsidien erhalten, sonst scheitert das Projekt Nordstad mittel- bis langfristig am Budget.
Wie stehen Ihre Gemeinden finanziell da?
J-P.S.: Wir haben ein Budget von 40 Millionen Euro und einen ordinären Überschuss von zehn Millionen Euro. Der wurde durch die Covid-19-Krise allerdings halbiert, sodass wir finanziell ziemlich schlecht da stehen. Grund sind ausbleibende Steuereinnahmen, da geht es dem Staat ja auch nicht besser, der musste bislang bereits sechs Milliarden Euro leihen. Wir übernehmen durch das Musikkonservatorium, das Kulturzentrum CAPE oder die Sportinfrastrukturen zudem viele regionale Verantwortungen, denn von diesen Einrichtungen profitieren vor allem Menschen, die nicht in Ettelbrück wohnen, aber wir schultern die Kosten.Wir mussten sogar Geld leihen, um das Grundstück für eine neue Grundschule in Warken zu kaufen.
Wir wollen keinen parteipolitischen Kulturkampf innerhalb der Nordstad. Jean-Paul Schaaf, Ettelbrück
Wie sieht es in Diekirch aus?
C.H.: Die finanzielle Situation hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. Wir haben zuletzt vor neun Jahren einen Kredit in Höhe von 53 Millionen Euroaufgenommen, für den Bau eines Schulkomplexes. Vor sechs Jahren haben wir eine Konsolidierung vorgenommen und die Kredite zu einem festen Zinssatz gebündelt. Im Zusammenspiel mit den jährlichen Subventionen vom Staat gibt uns das Planungssicherheit.
Könnte die finanzielle Situation anderer Gemeinden Sie von einer Fusion abschrecken?
C.H.: Die Fusionsgespräche hängen nicht von der finanziellen Situation der Gemeinden ab.
J-P.S.: Ich glaube auch nicht, dass es in diesem Bereich große Unterschiede gibt.
C.H.: Das glaube ich auch nicht. Es hängt vielmehr von den Infrastrukturen ab. Man sollte froh sein, dass Maisons relais, Schulen, Sportstätten oder Kulturzentren da sind. Es ist normal, dass die Gemeinden dafür zuvor Kredite aufgenommen haben, die nachher dann zusammengelegt werden.
Wir sollten nicht nur Projekte realisieren, um Geld auszugeben. Claude Haagen, Diekirch