„Wir sind das andere Extrem“
Kein Land Europas hat – im Verhältnis zur Bevölkerung – so viele Asylsuchende aufgenommen wie Zypern
Mohammed al Oaqili zittert, als er sein T-Shirt auszieht, um die Foltermale auf seinem muskulösen Oberkörper zu zeigen. „Mit einem Lötkolben haben die Terroristen ihn gepeinigt“, flüstert Mariam, die Frau des 44 Jahre alten Irakers, und deutet auf weitere Brandnarben an Armen und Beinen.
Die kleine Inselrepublik ist überfordert, bewältigt den Ansturm aber bislang vorbildlich.
die Grenze erreicht. So kann es nicht weitergehen“. Ohne Hilfe der Europäischen Union, in die Zypern im Mai 2004 aufgenommen wurde, werde man das Migrationsproblem nicht länger bewältigen können.
Eine von Nouris geforderte Übernahme von Flüchtlingen lehnt Brüssel jedoch ab. Der Zustrom von Flüchtlingen über die in der Regel unbewachte Demarkationslinie zwischen der türkisch besetzten und der griechischen Inselhälfte würde in diesem Fall wohl weiter steigen. Eine Sicherung der „Grenzlinie“durch eigene Soldaten kommt für die Regierung in Nicosia aus politischen Gründen nicht in Frage, weil man in diesem Fall den Status quo, also die Teilung der Insel, de facto anerkennen würde.
Zu hohe Erwartungshaltungen
Mehr als 17 000 Asylgesuche warten in zyprischen Amtsstuben mittlerweile auf eine Bearbeitung. Darunter ist auch der Antrag des Nigerianers Amuru. Der junge Mann sieht sein Leben durch die dschihadistische Terrororganisation Boko Haram gefährdet. Als einziger Sohn der Familie sei er von seinem Vater aufgefordert worden, nach Europa zu gehen. „Die Flucht über Istanbul und Nord-Zypern war einfach“, sagt Amuru, „die Wartezeit auf den Entscheid unerträglich“.
„Die Erwartungshaltung dieser Menschen ist einfach zu hoch“, versucht Anna Charalambous die Verzweiflung vieler Asylbewerber zu erklären. Die 28 Jahre alte Zypriotin gehört zu einem Team von Sozialarbeitern, das sich im Durchgangslager von Kofinou um die Flüchtlinge kümmert. „Wir helfen ihnen, die bürokratischen Hürden zu überwinden, vermitteln Anwälte für das Berufungsverfahren, wenn Asylanträge abgelehnt werden“.
„Manche Asylbewerber drohen dann mit Selbstmord“, erzählt Anna. Meistens würde es aber gelingen, die Flüchtlinge zu beruhigen. Eine realistische Chance auf Asyl in Zypern haben die meisten von ihnen nicht. Vor allem die Schwarzafrikaner aus Nigeria, Kamerun und Sierra Leone, die inzwischen fast drei Viertel der Asylsuchenden ausmachen, betrachtet die zyprische Regierung als Teil eines „organisierten Netzwerkes“, das von der Türkei begünstigt werde. Eine Abschiebung der Migranten in die Türkei oder ins türkisch besetzte Nord-Zypern ist jedoch unmöglich, weil die Republik Zypern die türkischen „Nachbarstaaten“nicht anerkennt.
„Nüchtern betrachtet sollte unser kleines Land nicht in der Situation sein, in der wir uns jetzt befinden“, sagt Andreas Varnava. Schließlich seien weit mehr als die Hälfte der griechischen Zyprioten selbst Flüchtlinge, vertrieben von der türkischen Invasionsarmee. „46 Jahre später wird unser kleines Land noch immer bedroht, die Angst vor einer vollständigen Besetzung der Insel ist weiterhin präsent“, bringt Varnava die Stimmungslage unter den Inselgriechen auf den Punkt.
Auch vor diesem Hintergrund verdiene Zypern eine größere Unterstützung bei der bislang meist vorbildlichen Bewältigung des Flüchtlingsproblems. „Wohncontainer und Zelte haben auch hier schon gebrannt. Das Problem haben wir aber in Eigenregie gelöst“, erzählt der Camp-Manager, als eine Gruppe von Asylsuchenden mit vollen Einkaufstüten an seinem Büro vorbeischlendert. Der kostenlose Shuttlebus aus Larnaca war gerade angekommen.