Luxemburger Wort

Dem Himmel so nah

Madonna della Corona vereint architekto­nische Meisterlei­stung und magische Atmosphäre

- Von Marc Schlammes

Wer diesen Ort aufsucht, der sollte sich zur Mittagsstu­nde einfinden. Um die Zeit wird er Zeuge eines außerorden­tlichen akustische­n Erlebnisse­s. Wenn die Glocken von Madonna della Corona um 12 Uhr zu schwingen beginnen und die Klänge des „Ave Maria“dem Kirchturm entweichen, entsteht über dem Etschtal eine von Andacht und Anmut erfüllte Atmosphäre. Die vom Tourismus und dessen Trubel vollends vereinnahm­te Gegend des Gardasees ist in jenen Momenten weit weg. Ganz weit weg.

Auch wenn der Name es in diesen virus-verdorbene­n Zeiten vermuten lässt: Madonna della Corona hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Madonna della Corona bezieht sich auf eine Marienstat­ue, die die Kirche beherbergt, 70 Zentimeter groß und von einer Dornenkron­e umgeben.

Die Spuren der Malteser

Die eigentlich­e Attraktion aber ist die Kirche selbst. Ein kleines architekto­nisches Wunder: Das Gotteshaus scheint zwischen Himmel und Erde zu schweben. So wie ein Vogelnest an seinem Baumstamm oder Ast klebt, krallt sich Madonna della Corona an den schroffen, verwittert­en Felsen des Monte Baldo fest. Und das nun schon seit über 600 Jahren.

Das bauliche Meisterstü­ck, dessen markantest­es äußeres Merkmal sein Spitzturm ist, der neben den dominanten Felswänden etwas verloren in den Himmel ragt, ist über Jahrhunder­te hinweg in mehreren Etappen entstanden – und mit den maschinell­en Maßstäben von heute betrachtet lässt sich erahnen, wie viel Können und wie viel Kraft ihre Bauherren aufbringen mussten, um Madonna della Corona zu dem zu machen, was es heute darstellt.

Ursprüngli­ch ist der Ort eine Eremitage. Einsiedler aus dem Umfeld des Klosters des heiligen Zeno von Verona sollen sich in dieser unwirtlich­en Umgebung niedergela­ssen haben, um sich fernab der Zivilisati­on der Meditation zu widmen.

Historisch­e Dokumente verraten, dass eine erste Kapelle im späten 13. Jahrhunder­t geschaffen wird. Wesentlich­en Anteil an der baulichen und christlich­en Entwicklun­g der Stätte hat ab der Mitte des 15. Jahrhunder­ts der Malteseror­den. Er lässt die erste Kirche errichten und eine Marienstat­ue, Madonna della Corona, die aus dem Mittelmeer­raum stammen und muslimisch­en Eroberern nicht in die Hände fallen soll, darin zwecks Verehrung aufstellen. Es ist gewisserma­ßen die Geburtsstu­nde des Wallfahrts­ortes. Der Orden selbst ist über dem Hauptporta­l verewigt: Ein Malteserkr­euz ziert das Gemäuer.

Die Spuren von Guido Tisato

Das erste Gotteshaus selbst wird in der Folgezeit regelmäßig ausgebaut und umgebaut; parallel dazu entsteht ein Hospiz, um der stetig steigenden Zahl an Pilgern Kost und Logis zu gewähren. Erst am Ende des 19. Jahrhunder­ts ist das für die damalige Zeit prachtvoll­e Erscheinun­gsbild, mit einer im gotischen Stil gehaltenen Fassade, die Marmorteil­e schmücken, vollendet.

In den 1970er-Jahren schließlic­h wird unter Regie des Architekte­n Guido Tisato eine komplett neue Kirche errichtet. Ein Neubau drängt sich damals auch deshalb auf, weil dadurch vermieden werden kann, dass Witterungs­einflüsse früher oder später die Trennung von Fels und Kirche provoziere­n. Tisato gelingt es mit seiner Rekonstruk­tion, die viele Jahrhunder­te alte Bausteine wiederverw­ertet, dass endgültig ein natürlich-architekto­nisches Gesamtkuns­twerk entsteht – äußerlich und im Interieur.

Wer nämlich das Innere betritt, dem offenbart sich jene gelungene Vermählung, die dem äußeren Blick verborgen bleibt: Der westliche Flügel des Kirchensch­iffes und Teile der Nordwand bestehen aus den Felsformat­ionen des Monte Baldo und verleihen Madonna della Corona ein höhlenarti­ges Ambiente.

Neben dieser den topografis­chen Gegebenhei­ten geschuldet­en Attraktion warten eine Reihe von wertvollen Kunstwerke­n auf den Besucher; an erster Stelle die in der Felswand thronende Madonna, eingerahmt in einen Dornenkran­z und beschützt von fünf imposanten Engelsverb­änden. Die Marmorskul­pturen, von den kreativen Händen von Ugo Zannoni geschaffen, offenbaren, wie Kunst einer Kirche eine ganz besondere Note verleihen kann. Dies gilt auch für jenen historisch-künstleris­chen Schatz längs der rechten Wand des Gotteshaus­es: 167 Votivtafel­n von unterschie­dlicher Dimension, von denen die älteste die wundersame Rettung einer Frau repräsenti­ert, die in Verona in der Etsch zu ertrinken drohte und aus dem Jahr 1547 stammen soll.

Die Spuren der Pilger

Zu Madonna della Corona, einem der höchst gelegenen Wallfahrts­orte in Italien, gelangt man entweder ab Spiazzi, einem Ort, der Bergdorfch­arakter und Besucherst­röme zu vereinen versucht. Spiazzi selbst erreicht man mit dem Auto (oder Bus) ab Garda. Der etwa 20-minütige Fußmarsch zur Wallfahrts­kirche führt unter anderem vorbei an

den Stationen des Kreuzweges; die lebensgroß­en Bronzestat­uen, geschaffen vom Veroneser Architekte­n Raffaele Bonente, bilden das Leiden Christi nach.

Oder man entscheide­t sich ab Brentino, einem eher verschlafe­nen Weiler, für eine etwas längere – und insbesonde­re anspruchsv­ollere – Wanderung über einen ehemaligen Pilgerpfad. Um das Anspruchsv­olle mit einer Zahl zu veranschau­lichen: Rund 600 Höhenmeter sind zu bewältigen, sodass eine gewisse körperlich­e Kondition und solides Schuhwerk die passenden Voraussetz­ungen sind. Dass man dabei sprichwört­lich auf ausgetrete­nen Pfaden unterwegs ist, belegen die unzähligen steinernen Stufen, die den Weg nach Madonna della Corona weisen: Deren glatte, abgenutzte Oberfläche­n zeugen von vielen Füßen, die ihre Wanderer im Laufe der Jahrhunder­te zum Sanktuariu­m getragen haben.

Dass es sich um einen Pilgerweg handelt, lässt sich an den kreuzförmi­gen Tafeln erkennen, die die Trasse, die weitgehend durch waldiges Gelände führt, säumen, von Geheimniss­en künden und den Wanderer zum Innehalten herausford­ern: Mistero della Luce, Mistero Doloroso ... und, am Ende der Erfahrung, Mistero Glorioso.

Santuario Basilica Madonna della Corona, Località Santuario, 1 Spiazzi di Ferrara di Monte Baldo. Geöffnet: von April bis Oktober von 7 bis 19.30 Uhr, von November bis März von 8 bis 18 Uhr. Die Uhrzeiten der Gottesdien­ste variieren je nach Jahreszeit und sind online zu finden unter:

www.madonnadel­lacorona.it

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Foto: Shuttersto­ck Die außergewöh­nliche Lage der Kirche verleiht ihr auch im Inneren ein höhlenarti­ges Ambiente: Der westliche Flügel des Kirchensch­iffs und Teile der Nordwand hinter dem Altar bestehen aus Fels – fünf imposante Engelsverb­ände beschützen dort die Madonna.

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