Dem Himmel so nah
Madonna della Corona vereint architektonische Meisterleistung und magische Atmosphäre
Wer diesen Ort aufsucht, der sollte sich zur Mittagsstunde einfinden. Um die Zeit wird er Zeuge eines außerordentlichen akustischen Erlebnisses. Wenn die Glocken von Madonna della Corona um 12 Uhr zu schwingen beginnen und die Klänge des „Ave Maria“dem Kirchturm entweichen, entsteht über dem Etschtal eine von Andacht und Anmut erfüllte Atmosphäre. Die vom Tourismus und dessen Trubel vollends vereinnahmte Gegend des Gardasees ist in jenen Momenten weit weg. Ganz weit weg.
Auch wenn der Name es in diesen virus-verdorbenen Zeiten vermuten lässt: Madonna della Corona hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Madonna della Corona bezieht sich auf eine Marienstatue, die die Kirche beherbergt, 70 Zentimeter groß und von einer Dornenkrone umgeben.
Die Spuren der Malteser
Die eigentliche Attraktion aber ist die Kirche selbst. Ein kleines architektonisches Wunder: Das Gotteshaus scheint zwischen Himmel und Erde zu schweben. So wie ein Vogelnest an seinem Baumstamm oder Ast klebt, krallt sich Madonna della Corona an den schroffen, verwitterten Felsen des Monte Baldo fest. Und das nun schon seit über 600 Jahren.
Das bauliche Meisterstück, dessen markantestes äußeres Merkmal sein Spitzturm ist, der neben den dominanten Felswänden etwas verloren in den Himmel ragt, ist über Jahrhunderte hinweg in mehreren Etappen entstanden – und mit den maschinellen Maßstäben von heute betrachtet lässt sich erahnen, wie viel Können und wie viel Kraft ihre Bauherren aufbringen mussten, um Madonna della Corona zu dem zu machen, was es heute darstellt.
Ursprünglich ist der Ort eine Eremitage. Einsiedler aus dem Umfeld des Klosters des heiligen Zeno von Verona sollen sich in dieser unwirtlichen Umgebung niedergelassen haben, um sich fernab der Zivilisation der Meditation zu widmen.
Historische Dokumente verraten, dass eine erste Kapelle im späten 13. Jahrhundert geschaffen wird. Wesentlichen Anteil an der baulichen und christlichen Entwicklung der Stätte hat ab der Mitte des 15. Jahrhunderts der Malteserorden. Er lässt die erste Kirche errichten und eine Marienstatue, Madonna della Corona, die aus dem Mittelmeerraum stammen und muslimischen Eroberern nicht in die Hände fallen soll, darin zwecks Verehrung aufstellen. Es ist gewissermaßen die Geburtsstunde des Wallfahrtsortes. Der Orden selbst ist über dem Hauptportal verewigt: Ein Malteserkreuz ziert das Gemäuer.
Die Spuren von Guido Tisato
Das erste Gotteshaus selbst wird in der Folgezeit regelmäßig ausgebaut und umgebaut; parallel dazu entsteht ein Hospiz, um der stetig steigenden Zahl an Pilgern Kost und Logis zu gewähren. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts ist das für die damalige Zeit prachtvolle Erscheinungsbild, mit einer im gotischen Stil gehaltenen Fassade, die Marmorteile schmücken, vollendet.
In den 1970er-Jahren schließlich wird unter Regie des Architekten Guido Tisato eine komplett neue Kirche errichtet. Ein Neubau drängt sich damals auch deshalb auf, weil dadurch vermieden werden kann, dass Witterungseinflüsse früher oder später die Trennung von Fels und Kirche provozieren. Tisato gelingt es mit seiner Rekonstruktion, die viele Jahrhunderte alte Bausteine wiederverwertet, dass endgültig ein natürlich-architektonisches Gesamtkunstwerk entsteht – äußerlich und im Interieur.
Wer nämlich das Innere betritt, dem offenbart sich jene gelungene Vermählung, die dem äußeren Blick verborgen bleibt: Der westliche Flügel des Kirchenschiffes und Teile der Nordwand bestehen aus den Felsformationen des Monte Baldo und verleihen Madonna della Corona ein höhlenartiges Ambiente.
Neben dieser den topografischen Gegebenheiten geschuldeten Attraktion warten eine Reihe von wertvollen Kunstwerken auf den Besucher; an erster Stelle die in der Felswand thronende Madonna, eingerahmt in einen Dornenkranz und beschützt von fünf imposanten Engelsverbänden. Die Marmorskulpturen, von den kreativen Händen von Ugo Zannoni geschaffen, offenbaren, wie Kunst einer Kirche eine ganz besondere Note verleihen kann. Dies gilt auch für jenen historisch-künstlerischen Schatz längs der rechten Wand des Gotteshauses: 167 Votivtafeln von unterschiedlicher Dimension, von denen die älteste die wundersame Rettung einer Frau repräsentiert, die in Verona in der Etsch zu ertrinken drohte und aus dem Jahr 1547 stammen soll.
Die Spuren der Pilger
Zu Madonna della Corona, einem der höchst gelegenen Wallfahrtsorte in Italien, gelangt man entweder ab Spiazzi, einem Ort, der Bergdorfcharakter und Besucherströme zu vereinen versucht. Spiazzi selbst erreicht man mit dem Auto (oder Bus) ab Garda. Der etwa 20-minütige Fußmarsch zur Wallfahrtskirche führt unter anderem vorbei an
den Stationen des Kreuzweges; die lebensgroßen Bronzestatuen, geschaffen vom Veroneser Architekten Raffaele Bonente, bilden das Leiden Christi nach.
Oder man entscheidet sich ab Brentino, einem eher verschlafenen Weiler, für eine etwas längere – und insbesondere anspruchsvollere – Wanderung über einen ehemaligen Pilgerpfad. Um das Anspruchsvolle mit einer Zahl zu veranschaulichen: Rund 600 Höhenmeter sind zu bewältigen, sodass eine gewisse körperliche Kondition und solides Schuhwerk die passenden Voraussetzungen sind. Dass man dabei sprichwörtlich auf ausgetretenen Pfaden unterwegs ist, belegen die unzähligen steinernen Stufen, die den Weg nach Madonna della Corona weisen: Deren glatte, abgenutzte Oberflächen zeugen von vielen Füßen, die ihre Wanderer im Laufe der Jahrhunderte zum Sanktuarium getragen haben.
Dass es sich um einen Pilgerweg handelt, lässt sich an den kreuzförmigen Tafeln erkennen, die die Trasse, die weitgehend durch waldiges Gelände führt, säumen, von Geheimnissen künden und den Wanderer zum Innehalten herausfordern: Mistero della Luce, Mistero Doloroso ... und, am Ende der Erfahrung, Mistero Glorioso.
Santuario Basilica Madonna della Corona, Località Santuario, 1 Spiazzi di Ferrara di Monte Baldo. Geöffnet: von April bis Oktober von 7 bis 19.30 Uhr, von November bis März von 8 bis 18 Uhr. Die Uhrzeiten der Gottesdienste variieren je nach Jahreszeit und sind online zu finden unter:
www.madonnadellacorona.it