Schwimmen mit Rosemary
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Wenn man sie sieht, würde man nicht denken, dass Kate eine junge Frau ist, die Panikattacken hat. Nur sie selbst weiß davon.
Kapitel 8
Das Freibad leert sich, wenn es regnet. Rosemary sieht von ihrem Balkon aus zu, vom Frühlingsschauer geschützt durch den Balkon über ihr. Es sind nur noch zwei Schwimmer im Wasser. Sie versteht den Grund dafür nicht – im Regen zu schwimmen macht ihr den allergrößten Spaß. Es ist ein geheimer Kitzel wie der zusätzliche Löffel brauner Zucker in ihrem Porridge am Morgen oder das Gefühl, wenn man mit den Füßen in Socken schlüpft, die man zuvor auf der Heizung angewärmt hat.
Wenn es regnet, verschwimmt die Linie zwischen Wasser und Himmel. Das 'drüber‘ und 'drunter‘ verblasst zu einem trüben Grau, in dem alles Wasser ist. Die wenigen anderen Schwimmer sehen einander selbstgefällig an, wie stolze Jungeltern, die wissen, dass ihr Baby süßer ist als alle anderen. Ihnen ist bewusst, dass sie etwas Besonderes besitzen und dass nur sie sehen können, wie besonders es ist.
Es hat auch vor ein paar Wochen geregnet, als sie erfahren hat, dass das Freibad vielleicht geschlossen wird. Sie ist zu ihrer üblichen Schwimmzeit hingegangen, und Geoff hat sie aufgehalten, um es ihr zu sagen. Er ist ein Mann mittleren Alters mit einem Gesicht, das Rosemary freundlich findet. Er besteht darauf, zur Arbeit ein Hemd und einen Schlips zu tragen, Turnschuhe sind sein einziges Zugeständnis an seine Umgebung. Sie sind knallrot und lächeln unter dem Saum seiner eleganten grauen Hose hervor.
„Mrs Peterson, bevor Sie gehen, muss ich Ihnen etwas sagen“, rief er, als er sie am Empfang vorbeischlurfen sah. Dann erzählte er ihr, dass das Freibad seit Langem darum kämpfte, mit seinen Einkünften über die Runden zu kommen, und dass eine Immobilienfirma – Paradise Living – der Stadtverwaltung eine Woche zuvor ein Angebot gemacht hatte. Er berichtete, dass sie das Freibad in ein Fitnessstudio nur für Bewohner ihrer Immobilien umwandeln wollten. Das wiederum sollte es ihnen erleichtern, die Wohnungen zu verkaufen, die sie überall in Brixton bauten. „Ich war mir nicht sicher, ob ich Ihnen davon erzählen soll“, sagte er. „Aber ich habe gehört, die denken sogar darüber nach, das Schwimmbad zuzubetonieren und darauf einen Tennisplatz zu bauen. Offenbar glauben sie, dass Tennis bei ihren Kunden beliebter ist.“Er sagte, es sei nicht sicher, aber wahrscheinlich, dass es so kommen würde.
„Es tut mir so leid“, sagte Rosemary. „Ihre reizenden Kinder.“
Geoff hat an einer Pinnwand hinter der Rezeption Fotos seiner Kinder hängen, ein achtjähriger Junge und ein zehnjähriges Mädchen. Sie schwimmen jedes Wochenende, und oft rennen sie aus dem Becken direkt in seine Arme und durchnässen seine Hose. Es scheint ihm nie etwas auszumachen.
„Wird die Stadtverwaltung Ihnen eine andere Stelle anbieten?“
„Ich hoffe es“, sagte Geoff. Aber er klang nicht besonders hoffnungsvoll. Als Rosemary an dem Tag schwamm, bekam sie die Bilder von ihrem zubetonierten und für die Öffentlichkeit geschlossenen Freibad nicht mehr aus dem Kopf. Erst als sie nach Hause kam, gestattete sie sich Tränen.
Ein paar Tage später erstellte sie in einer Bibliothek um die Ecke das
Faltblatt. Sie legte Fotos aus ihrem Album über dem Text, den sie geschrieben hatte, auf den Fotokopierer. Sie musste ziemlich lange warten, bis die hundert Kopien fertig waren. Während sie dort saß, las sie alle Broschüren, die in der Bibliothek auslagen – Werbung für Veranstaltungen im Kino und für Yogakurse, und ein sehr informatives Merkblatt über Sexualhygiene. Als die Kopien fertig waren, war der Papierstapel so heiß wie frisch gebügelte Baumwolle. Seltsamerweise roch er auch so.
Sie beschloss, ein paar Blätter in der Bibliothek zu lassen. Das war der Anfang ihrer Verteilaktion, sie platzierte rund um das Freibad Faltblätter wie Brotkrumen. Sie schob sie durch Briefschlitze in ihrer Straße und ließ Stapel im Café des Schwimmbads und in den Umkleiden liegen. Die Männer wirkten etwas überrascht, als sie Faltblätter an die Spiegel der Herrenumkleide klebte.
„Ich bin sechsundachtzig, glauben Sie nicht, dass ich das alles schon mal gesehen habe?“, war alles, was sie mit wegwerfender Handbewegung zu ihnen sagte.
Rosemary erhebt sich von ihrem Platz auf dem Balkon und geht wieder hinein. Die Tür lässt sie offen stehen, damit sie den Regen hören kann. Sie geht in die Küche, nimmt ein schwarzes Notizbuch von der Mikrowelle und blättert durch die handbeschriebenen Seiten, bis sie das Rezept findet, nach dem sie sucht. Dann nimmt sie ihre Papiertüten vom Markt aus dem Kühlschrank
und beginnt Georges berühmte Gemüse-Pie zuzubereiten. Während sie kocht, kramt sie eine Erinnerung aus ihrem Hinterstübchen und spielt sie sich vor wie eine viel geliebte Schallplatte. Kochdüfte ziehen durch die Wohnung, und Rosemary erinnert sich an den Tag, an dem sie George zum ersten Mal begegnet ist.
Die ganze Stadt feierte. Sie vereinte sich mit dem Rest von Europa in einer Party, die Straßen und Grenzen umspannte. In ihrer Straße bauten die Mütter eine lange Tafel, die bis zur Kreuzung am anderen Ende reichte. Wimpel flatterten in den Bäumen, und Union Jacks wurden aus den Fenstern gehängt. Die Mütter trugen ihre Hauskleider aus Vorhangresten und lustige Pullover aus der aufgedröselten Wolle zu kleiner Pullis ihrer Kinder, und an diesem Tag trugen sie sie mit Stolz. Sie waren damit ausgekommen und hatten sie immer und immer wieder geflickt, und es hatte sie durch den Krieg gebracht.
Die Türen standen offen, und aus den Häusern wurde Essen getragen wie Koffer aus Hotels. Das Geschirr passte nicht zusammen: blau-weiße Teller aus Nummer zwölf, ein zartes Rosenmuster aus Nummer vierzehn und Gläser aus allen Schränken der Straße vermischt. In Krügen standen unordentliche Blumensträuße, die man im Park gepflückt hatte.