Ideal und Wirklichkeit
Um den „Green Deal“war es etwas still geworden, doch jetzt kehrt er mit einem Paukenschlag zurück. Ursula von der Leyen hat in ihrer ersten Rede zur Lage der Europäischen Union das Klimaziel für 2030 deutlich verschärft. Die Kommissionspräsidentin fordert, den Ausstoß an Treibhausgasen von bislang 40 auf mindestens 55 Prozent im Vergleich zum Ausstoß von 1990 zu senken. Der im Dezember letzten Jahres angekündigte Fahrplan, bis 2050 aus Europa den ersten klimaneutralen Kontinent zu machen, wird dadurch noch ambitionierter als bisher.
Die neuen, ehrgeizigen Ziele stehen erst mal nur auf dem Papier. Das ist bekanntlich geduldig. Ob sie überhaupt realistisch sind, und woher die tausend Milliarden Euro kommen sollen, die die Kommission in den nächsten zehn Jahren zur Finanzierung des Kampfs gegen den Klimawandel mobilisieren will, muss sich erst zeigen. Unsicher ist vor allem, was die von oben herab diktierten Auflagen zum Schutz des Klimas für Wohlstand und Arbeitsplätze bedeuten.
In der von der Corona-Pandemie gebeutelten Wirtschaft verursacht die angekündigte Zielerhöhung Ratlosigkeit und Kopfschütteln. An der Notwendigkeit, der Erderwärmung Einhalt zu bieten und dafür den CO2-Ausstoß drastisch zu reduzieren, zweifelt eigentlich niemand. Was die Wirtschaftsverbände, und vor allem die Industrie fordern, ist Planungssicherheit. Wenn aber die Schraube der Zielvorgaben immer wieder fester angezogen wird, ist diese Sicherheit nicht vorhanden, und die Bereitschaft zu investieren, eher gering. Vor allem aber fehlt ein konkreter Plan, wie die Einsparziele erreicht werden können und wie sie finanziert werden sollen.
In einer Stellungnahme betont der Luxemburger Industrieverband Fedil die Notwendigkeit für die EU, bei allem europäischen Ehrgeiz, weltweit Vorreiter zu sein, ein globales „level playing field“zu schaffen, in dem alle Akteure mit gleich langen Spießen hantieren. Die internationale Konkurrenz ist an weniger Auflagen gebunden und daher im Vorteil. Vor allem energieintensive Sektoren, etwa Stahl-, Zement- und Glasproduzenten, überlegen, ob sie nicht besser daran täten, ihre Produktion in Länder außerhalb der EU auszulagern. Der aktuelle Kahlschlag bei ArcelorMittal und die Entscheidung von Guardian, den Floatglas-Ofen in Düdelingen nicht zu erneuern, sollte als Warnung dienen. Die Regierung Bettel II peilt als Zwischenziel bis 2030 eine 55-prozentige Reduktion der Klimagase an, allerdings im Vergleich zu 2005, und nicht wie die Kommission vorschlägt, zu 1990. Auf dem Weg dahin soll schon im kommenden Jahr eine CO2-Steuer von 20 Euro pro Tonne eingeführt werden. Welche Kompensation für Betriebe vorgesehen ist, die sich umstellen müssen, steht derzeit noch in den Sternen.
Bei allen berechtigten Zweifeln an Projekten wie Fage, das ja seit gestern Geschichte ist, oder dem Google-Datencenter, bekleckert sich Luxemburg derzeit als Standort für die Industrie nicht gerade mit Ruhm. In einem Land, in dem die Banken das Gros der Wirtschaftsleistung stellen, haben rauchende Schlote einen schweren Stand.
Die schärferen EU-Klimaziele stoßen in der Wirtschaft auf Skepsis.