Ein Denkzettel für alle Parteien
Lega-Chef Matteo Salvini hat bei den Regionalwahlen eine schmerzhafte Abfuhr einstecken müssen
Ein klares 6:0: Das war das erklärte Ziel Salvinis vor den Regionalwahlen vom 20. und 21. September gewesen. Herausgekommen ist ein 3:3: Die vom rechtspopulistischen und europafeindlichen Lega-Chef angeführte Mitte-rechtsKoalition hat im Veneto, in Ligurien und in den Marken gewonnen, die Linke in der Toskana, in Kampanien und in Apulien.
Für Salvini besonders bitter ist das Resultat in der Toskana, wo er zum Sturm auf die traditionelle rote Hochburg geblasen hatte und klar verlor – wie schon im vergangenen Januar in der ebenfalls roten Emilia-Romagna, wo er ebenfalls kläglich gescheitert war. Salvini hat aber letztlich auch in den drei Regionen verloren, wo er siegte. Im Veneto ist sein Parteigenosse Luca Zaia mit 76 Prozent der Stimmen als Regionalpräsident wiedergewählt worden – dabei hat die persönliche Liste des populären „Dogen“dreimal mehr Stimmen auf sich vereint als die offizielle Liste der Lega, auf der das Logo mit Salvinis Name prangte.
Das Rekordresultat Zaias, der intern seit längerem als möglicher Nachfolger Salvinis an der Spitze der Partei gilt, wird die Personaldiskussion innerhalb der Lega zwangsläufig zusätzlich befeuern, zumal sich Ex-Innenminister Salvini wegen seiner früheren „Politik der geschlossenen Häfen“in Kürze auch einem Prozess wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch wird stellen müssen.
In den Marken wiederum siegte die Rechte mit Francesco Acquaroli – und der ist nicht Mitglied der Lega, sondern der postfaschistischen Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni. Die 43-jährige Römerin, die Salvini in den Umfragen immer näher kommt, ist die eigentliche Siegerin innerhalb der italienischen Rechten: Sie konnte nach der Bekanntgabe der Wahlresultate darauf hinweisen, dass „unsere Partei die einzige politische Kraft ist, die in allen Regionen an Stimmen zulegen konnte“. Die Lega wiederum musste vor allem in Süditalien zum Teil herbe Stimmenverluste einstecken.
Auch in Ligurien siegte mit Giovanni Toti nicht ein Lega-Mann, sondern ein „Ex-Berlusconiano“. Der Führungsanspruch Salvinis im Rechtslager wackelt. In der ersten Wahl nach dem Lockdown haben die Italiener jenen Kandidaten vertraut, die das Land unaufgeregt und umsichtig durch die Pandemie geführt haben und die nicht, wie Salvini, permanent zwischen entgegengesetzten, populistischen Radikalforderungen hin- und her geschwankt sind.
Die Prioritäten der Wähler haben sich verändert; sie sind sich bewusst geworden, dass ihr Land neben den Migranten und den EUBürokraten auch noch andere Probleme zu lösen hat – allen voran den Wiederaufbau des kaputtgesparten Gesundheitswesens, die steigende Arbeitslosigkeit und die sichere Rückkehr der Kinder an die Schulen. Nach 35 000 CoronaToten sind die Zeiten, als Salvini die italienische Politik fast nach Belieben dominierte und die Frontseite der US-Zeitschrift „Time“zierte („The new face of Europe“, September 2018), nur noch eine verblassende Erinnerung.
Eine gute Nachricht für Ministerpräsident Giuseppe Conte Für Ministerpräsident Giuseppe Conte und seine Regierungskoalition aus der Fünf-Sterne-Protestbewegung und dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) sind die Ergebnisse der Regionalwahlen dagegen zweifellos eine gute Nachricht: Die von Salvini im Falle eines 6:0 geforderten Neuwahlen sind für längere Zeit vom Tisch. Aufatmen konnte insbesondere auch PD-Chef Nicola Zingaretti, der im Fall einer Niederlage seines Kandidaten in der Toskana seinen Posten als Parteichef wohl los gewesen wäre.
Zingaretti sitzt nun wieder fester im Sattel – und die Gewichte innerhalb der Regierung haben sich zugunsten des PD verschoben, zumal der Fünf-Sterne-Koalitionspartner in den Regionalwahlen einmal mehr katastrophal abgeschnitten hat. Doch Grund zur Selbstzufriedenheit haben weder Conte noch Zingaretti.
Das gleichzeitig mit den Regionalwahlen durchgeführte Referendum über die Verkleinerung des Parlaments hat gezeigt, dass die Politikverdrossenheit in Italien trotz der von der Regierung alles in allem gut gemanagten Pandemie nach wie vor groß ist: 70 Prozent der Italiener haben der Reduktion der Zahl der Abgeordneten von 630 auf 400 und der Senatoren von 315 auf 200 zugestimmt.
Das ist ein Denkzettel an alle Politiker: Die Wähler haben die Volksabstimmung dazu genutzt, ihren (sehr begründeten) Unmut über die Ineffizienz des Politikbetriebs, über Korruptionsskandale, Selbstbereicherung und jahrelang aufgeschobene Reformen auszudrücken. Conte und seine Minister wären gut beraten, wenn sie die Botschaft des Referendums ernst nähmen.
Die zu erwartenden, gewaltigen Mittel aus dem Recovery Funds der EU – für Italien sind über 200 Milliarden Euro reserviert, mehr als für jedes andere EU-Mitglied – stellen eine einmalige Chance dar, Italien mit gezielten Reformen zu modernisieren, wirtschaftlich wieder in Schwung zu bringen und zukunftstauglich zu machen. Sollte die Regierung diese Chance nicht nutzen, dann könnte sich der Wind in Italien schnell wieder drehen – und Salvini stünde erneut vor der Tür der Macht. Und wenn nicht er, dann Giorgia Meloni.
Die Italiener haben nach dem Lockdown den unaufgeregten PandemieBewältigern vertraut.