Nicht zu bremsen
Ex-Profi Emilia Rogucka ist bei Handballmeister Käerjeng auch mit 36 Jahren noch unentbehrlich
Die dunkelhaarige Frau lässt sich auf einen der grünen Stühle am Hallenrand fallen. Sie schließt die Augen und atmet ein paar Mal tief durch. Emilia Rogucka ist völlig erschöpft. Sie hat alles gegeben. So wie immer, wenn sie Handball spielt. Denn wenn sie auf der rechten Seite in Richtung gegnerisches Tor läuft, vergisst sie, dass die Gelenke schmerzen und dass die vielen Jahre im Leistungssport Spuren hinterlassen haben. Dann will sie nur noch blitzschnell vorbei an den Gegnerinnen, treffen und gewinnen. „Ich bin voller Adrenalin“, erklärt sie lachend.
Ganz oft trifft sie und meistens gewinnt sie auch. Mit dem HB Käerjeng hat Rogucka in den vergangenen Saisons drei Meistertitel in Serie geholt. Sie war aber auch zuvor schon lange im Verein, damals noch beim Roude Léiw. Und heute, mit 36 Jahren, ist sie immer noch unentbehrlich. Wie zuletzt im Spitzenspiel der Axa League gegen Diekirch, als sie beim hart umkämpften 28:22-Heimsieg mit zehn Treffern die erfolgreichste Käerjenger Werferin war.
„Emilia ist nicht zu bremsen“, sagt ihre Mitspielerin Jil Weintzen über die gebürtige Polin, die wie kaum eine andere immer wieder an ihre Grenzen oder darüber hinausgehen kann. „Sie ist eine tolle Teamkollegin. Sie hat in der deutschen Bundesliga gespielt und so viel Erfahrung. Wir können viel von ihr lernen, auch diejenigen von uns, die schon länger Handball spielen“, so die Luxemburgerin.
„Der Kopf will, der Körper macht nicht mehr so mit“
Seit zwei Jahrzehnten ist die ehemalige Nationalspielerin Rogucka auf hohem Niveau im Handballsport im Einsatz. Noch immer macht es ihr großen Spaß. „Ich sage vor jeder Saison, dass es meine letzte wird. Aber es ist schwer, mit etwas aufzuhören, was mir schon so lange Freude macht“, meint sie.
Ewig wird sie nicht mehr über das Spielfeld hetzen können, das spürt sie immer deutlicher. „Die Jahre im Profisport haben der Gesundheit leider geschadet.“Vier Kreuzbandoperationen hat sie hinter sich, drei im linken, eine im rechten Knie. „Ich möchte Handball spielen, so lange es geht. Aber es wird immer schwieriger. Der Kopf will, der Körper macht nicht mehr so mit, wie ich das gerne hätte“, gibt sie zu.
Noch merkt man es ihr im Spiel nicht an. Und ihre professionelle sportliche Ausbildung hilft ihr heute noch. „Ich komme aus dem damaligen Ostblock, das war eine andere Schule, eine ganz andere Mentalität. Ich habe für Handball gelebt. Im Training wurde immer auf Kleinigkeiten viel Wert gelegt, beispielsweise auf die Stellung der Füße beim Sprung oder die Armhaltung beim Wurf.“Sie freut sich, wenn die jüngeren Kolleginnen von ihrer Erfahrung profitieren. „Ich kann manchmal kleine Tipps geben.“
Ehe sie mit dem Handball begann, hatte Rogucka als Kind Sportakrobatik betrieben. „Das hat mir viel gegeben. Durch diesen
Sport habe ich gute Grundlagen. Meine Beweglichkeit ist bis heute geblieben“, berichtet sie. Auch die professionelle Einstellung ist weiterhin ein fester Bestandteil ihres Charakters. „Die bleibt für das ganze Leben.“Vor einem Spiel pflegt sie dieselben Rituale wie früher: Erst ruht sie sich aus, dann putzt sie die Wohnung und schließlich stimmt sie sich mit ihrer polnischen Lieblingsmusik auf den Wettkampf ein.
Junge Mutter, Profi und Nationalspielerin
Professionalität erfordert Disziplin. Die brauchte die Sportlerin schon früh im Leben. Rogucka stammt aus der Nähe von Gdansk.
Mit 16 spielte sie bereits in der ersten Mannschaft des dortigen Erstligaclubs. Mit 19 wurde sie schwanger. Als junge Mutter wurde sie Profi und Nationalspielerin.
Auch das Studium der Sportwissenschaft schloss sie erfolgreich ab. „Ich weiß heute nicht mehr, wie ich das damals geschafft habe“, sagt sie.
Anschließend wechselte sie nach Deutschland, sie spielte drei Jahre lang für Frankfurt/Oder in der Bundesliga. Dann kamen die Knieverletzungen. „Ich entschied mich, als Profispielerin aufzuhören. Ich wollte mehr Zeit mit meinem Kind verbringen.“Rogucka spielte für die Regionalligisten Hattorf und Osterode-Harz und kam 2011 nach Luxemburg. Seither ist sie für den Verein aus Niederkerschen im Einsatz, die meiste Zeit für das Roude-Léiw-Team und seit dem Rückzug aus Deutschland 2017 für den HB Käerjeng in der hiesigen Axa League.
„Sie ist sehr wichtig für uns, sie führt die Mannschaft. Ich kann mich darauf verlassen, dass sie sich nicht scheut, auch in schwierigen Situationen Verantwortung zu übernehmen“, sagt Trainer Zoran Radojevic über die Linkshänderin, die als Rechtsaußen und im rechten Rückraum zum Einsatz kommt. „Wir haben eine gute Stimmung in der Mannschaft. Wir lachen und weinen zusammen“, beschreibt Rogucka das Binnenklima. „Die jungen Kolleginnen haben natürlich auch ihre eigenen Themen, von denen ich in meinem Alter nichts verstehe. Aber wir haben Spaß. Ich gehe immer noch gerne ins Training.“
Wenn man sie nach ihren größten Erfolgen fragt, nennt sie in sportlicher Hinsicht die Qualifikationsspiele für die Olympischen Spiele 2008 mit der polnischen Nationalmannschaft. „Wir haben es zwar nicht nach Peking geschafft. Aber wir waren in einer sehr schweren Gruppe und haben dort starke Leistungen gebracht“, so Rogucka. Doch es gibt noch etwas Wichtigeres für sie: „Privat ist mein größter Erfolg, dass ich einen so tollen Sohn habe.“Niko ist inzwischen 16 und der ganze Stolz seiner sportlichen Mutter.