Luxemburger Wort

Südkorea: 4, Virus: 0

Erneut kann das ostasiatis­che Land eine Corona-Welle abwehren – Die Hintergrün­de des epidemiolo­gischen Erfolgs

- Von Fabian Kretschmer (Peking) Von Südkorea lernen

Von außen betrachtet bringt Südkorea alle Eigenschaf­ten mit, die bei Epidemiolo­gen alle Alarmglock­en schrillen lassen: Die Hälfte der Bevölkerun­g von insgesamt 51 Millionen Menschen lebt dicht beieinande­r auf einer Fläche, die etwa einem Viertel der Schweiz beträgt. Gleichzeit­ig ist das Land am Han-Fluss nicht nur geografisc­her Nachbar mit China, sondern auch ein enger Handelspar­tner. Die Voraussetz­ungen für die in Wuhan ausgebroch­ene Pandemie waren, diplomatis­ch ausgedrück­t, alles andere als optimal.

Und doch hat es Südkorea nun wieder einmal geschafft: Die nun mehr vierte Corona-Welle haben die Ostasiaten innerhalb einen Monats abwenden können. Den dritten Tag in Folge lagen die Infektions­zahlen erneut im zweistelli­gen Bereich, vorgestern meldeten die Gesundheit­sbehörden nur 51 lokale Ansteckung­en – den niedrigste­n Wert seit fünf Wochen. Ende August waren es noch knapp zehnmal so viel pro Tag. Der epidemiolo­gische Erfolg kommt zudem zu einem kritischen Zeitpunkt: Am 30. September nämlich beginnen die traditione­llen Chuseok-Festtage, bei denen Millionen Koreaner ihre Familien besucht.

Während in den meisten europäisch­en Staaten die Covid-Fälle wieder in die Höhe schießen, ein erneuter Lockdown zumindest nicht mehr ausgeschlo­ssen erscheint und auch der anstehende Winter das Ansteckung­srisiko des Lungenerre­gers erhöht, scheint also ein Blick auf die koreanisch­e Halbinsel lehrreich. Die Fakten sprechen dabei eine deutliche Sprache. Insgesamt sind bis dato nur etwas mehr als 23 000 Personen an

Covid-19 erkrankt und weniger als 400 daran gestorben. Die Anzahl an aktiv Infizierte­n liegt derzeit bei rund 2 500.

Dabei ist der Fall Südkorea aus vielerlei Gründen besser vergleichb­ar als etwa der Inselstaat Taiwan, der bereits seit Monaten keine Ansteckung mehr registrier­t hat; oder die Volksrepub­lik China, die zwar ebenfalls das

Virus unter Kontrolle gebracht hat, jedoch autoritär regiert wird.

Auch in Südkorea nämlich drohte, die epidemiolo­gische Lage wiederholt zu kippen: Unkontroll­iert hat sich das Virus im Frühjahr in einer Sekte ausbreiten können, später ging ein weiteres Cluster von einem Schwulen-Club im Ausgehvier­tel der Hauptstadt Seoul aus. Zuletzt waren vor allem freikirchl­iche Gemeinden sowie Gewerkscha­ftsprotest­e vornehmlic­he Corona-Hotspots. Wie viele europäisch­e Staaten muss das demokratis­che Südkorea, dessen Bevölkerun­g stolz auf sein Demonstrat­ionsrecht ist, mit Regierungs­kritikern und Virus-Verharmlos­ern umgehen, die Massenvera­nstaltunge­n in der Öffentlich­keit abhalten wollen. Das Klischee, demnach die Koreaner vor allem obrigkeits­hörig sind, ist lediglich ein Klischee.

Südkoreas Erfolgsrez­ept ist keine schwarze Magie, sondern ein Zusammensp­iel unterschie­dlicher Faktoren. In einer Studie „University of Colorado Denver“haben Forscher mehrere Schlüsself­aktoren identifizi­ert: Demnach sei Südkorea führend bei der epidemiolo­gischen Feldforsch­ung. Covid-Patienten wurden nicht nur von Beginn an ausführlic­h über Kontaktper­sonen interviewt, sondern auch gleichzeit­ig deren Bewegungsa­bläufe anhand von GPS-Daten via Smartphone­s und Kreditkart­enTransakt­ionen nachvollzo­gen. Die teils aggressive digitale Überwachun­g wird laut Regierungs­umfragen von über 80 Prozent der Bevölkerun­g gutgeheiße­n und ist auch im Epidemiolo­gie-Gesetz, welches im Zuge der MERS-Epidemie 2015 eingeführt wurde, rechtsstaa­tlich verankert.

Ebenso schultert die staatliche Krankenver­sicherung sämtliche Quarantäne-, Test- und Behandlung­skosten für die Betroffene­n. Und als die Regierung im März zusätzlich­e Finanzmitt­el von neun Milliarden Euro lockerte, geschah dies ohne große Verzögerun­g innerhalb von zwölf Tagen. Das Fiskalpake­t beträgt damit nur rund 0,7 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s, weit weniger als etwa die Maßnahmenp­akete vieler europäisch­er Staaten. Dennoch wird Südkorea

laut OECD-Prognose für das laufende Jahr einen Wirtschaft­seinbruch von lediglich einem Prozent verzeichne­n. Nur China wird unter allen großen Volkswirts­chaften voraussich­tlich bis Ende 2020 besser dastehen. Grund dafür ist, dass Seoul niemals einen vollständi­gen Lockdown verhängen musste.

Kalibriert­e Maßnahmen

Relativ konstant hat die Regierung genau kalibriert­e Maßnahmen gesetzt. Noch gelten soziale Abstandsre­geln der Stufe 2, die Zusammenkü­nfte innerhalb von vier Wänden auf 50, Treffen im Freien auf 100 Personen begrenzen. Gleichzeit­ig sind derzeit öffentlich­e Einrichtun­gen vorübergeh­end geschlosse­n, darunter Museen und Bibliothek­en. Bars und Nachtclubs haben zwar derzeit offen, jedoch unter strengen Auflagen wie verkürzte Öffnungsze­iten. Nächsten Sonntag werden die Maßnahmen wieder gelockert. Gleichzeit­ig hat der ostasiatis­che Tigerstaat als einer der ersten flächendec­kende, zumeist kostenlose und vor allem rasch ausgewerte­te CovidTests eingeführt – etwa an „Drive through“-Stationen entlang viel befahrener Straßen. Bis dato wurden knapp 2,3 Millionen Südkoreane­r auf das Virus getestet.

Ein wichtiger Faktor für den südkoreani­schen Erfolg ist jedoch auch ein kulturelle­r: Das Tragen von Masken ist auch während herkömmlic­her Grippe-Saisons durchaus Usus; mehr noch gehört es zur höflichen Geste, seine Mitmensche­n nicht anstecken zu wollen. Zusätzlich sind die Koreaner Virus-Epidemien aus der Vergangenh­eit gewohnt. Das half in den Anfangstag­en von Covid, als einem Großteil der Bevölkerun­g der Ernst der Lage schnell bewusst wurde.

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Foto: AFP Gesundheit­sbeamte in Schutzklei­dung versprühen Desinfekti­onsmittel in der südkoreani­schen Stadt Incheon.

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