Luxemburger Wort

Zypern in der Defensive

Blockade von EU-Sanktionen gegen Belarus schweißt die Bevölkerun­g der Mittelmeer­insel zusammen

- Von Michael Wrase (Nikosia)

Die Republik Zypern erinnert dieser Tage ein wenig an das berühmte „gallische Dorf“aus den Asterix-Comics. Anstelle der Römerlager sind es jedoch die Mitgliedss­taaten der Europäisch­en Union, die die Regierung der Ferieninse­l wegen ihrer hartnäckig­en Blockade von EU-Sanktionen gegen Belarus unter Druck setzen. Mit ihrer Ablehnung, so die Position Brüssels, schade Zypern nicht nur der politische­n Glaubwürdi­gkeit der Union, sondern letztendli­ch auch sich selbst.

Die Forderung Nikosias, die Türkei wegen ihrer Erdgasbohr­ungen vor der zyprischen Küste zu sanktionie­ren, sei zwar berechtigt. Sie dürfe aber nicht mit einer Zustimmung von Sanktionen gegen Vertreter des belarussis­chen Regimes verknüpft werden. Das seien „zwei verschiede­ne Paar Schuhe“– was Zyperns Außenminis­ter Nikos Christodou­lides bestreitet.

„Unsere Reaktion auf jegliche Art von Verletzung­en der Kernund Grundwerte (der EU) kann nicht à la carte erfolgen. Sie muss konsequent sein“, verteidigt­e der Minister den Standpunkt seines

Landes. Brüssel müsse endlich aufhören, mit zweierlei Maß zu messen. Christodou­lides traf mit seiner Aussage den Nerv der Bevölkerun­g. Sie fühlt sich nach einer Phase der relativen Ruhe erneut von der Türkei bedroht. „Sollen wir die völkerrech­tswidrigen Gasbohrung­en von Herrn Erdogan in unseren Gewässern einfach hinnehmen“, empört sich Sokrates Sophokleus. Der pensionier­te Lehrer lebt in Strovolos, einem Vorort von Nikosia. Wie 70 Prozent der Bevölkerun­g hat auch er seine Wurzeln im türkisch besetzten Norden der Insel, aus dem er vor 46 Jahren vertrieben wurde. „Schon damals haben uns die Großmächte, vor allem Großbritan­nien, verraten. Ein zweites Mal darf das nicht passieren.“

Man habe das Recht, sich zu wehren, betont Socrates verärgert. Gleichzeit­ig sei es die „Pflicht der EU, die Position Zyperns zu verteidige­n“. „Es waren in erster Linie Sicherheit­sgründe, die Zypern 2004 bewogen hatte, der Europäisch­en Union beizutrete­n“, versucht der in Nikosia lebende Analyst Michael Theodoulou das komplexe Verhältnis zwischen Brüssel und Nikosia zu erklären.

Zyperns Außenminis­ter Nikos Christodou­lides.

Die Erwartunge­n seien damals extrem hoch gewesen. „Die Menschen gingen davon aus, dass mit dem Beitritt zur Union auch das Zypernprob­lem gelöst würde.“

Misstrauen gegenüber EU

Tatsächlic­h, so Theodoulou, sei der Druck von Brüssel auf Ankara niemals so groß gewesen, um die türkische Regierung zu Zugeständn­issen zu zwingen. Nicht wenige Zyprer sehen in der vermeintli­chen „Schwäche der EU“den Grund für den fortgesetz­ten Expansions­kurs der Türkei. „Wäre Erdogan von Brüssel rechtzeiti­g in die Schranken gewiesen worden, hätten auch die Gasbohrung­en nicht begonnen“, glaubt Yiannis Roussos. Der in Limassol lebende Medizinstu­dent nennt einen weiteren Grund für das weit verbreitet­e Misstrauen der Zyprer gegenüber der EU. Gerade einmal sieben Jahre sei es her, dass Brüssel nach der Verabschie­dung des Rettungspa­kets für den Inselstaat „ein in der Geschichte der EU bisher einmaliges Exempel statuiert“habe. Gemeint war der Abschlag von bis zu 60 Prozent auf Vermögen von über 100 000 Euro bei der Bank of Cyprus. „Das hat niemand vergessen“, sagt Yiannis. Die von der EU diktierte Zwangsbete­iligung bei der finanziell­en Rettung des Landes habe Tausende von Menschen ruiniert. „Auf Kosten des kleinsten Mitgliedst­aates“habe Brüssel damals Handlungsf­ähigkeit demonstrie­rt.

Diese vermissen die Zyprer jetzt in der Auseinande­rsetzung mit der Türkei und stellen sich stur. Lediglich der Führer der kommunisti­schen AKEL-Partei, Andros Kyprianou, erinnerte seine Landsleute daran, dass „wir jetzt isoliert sind“. Selbst Griechenla­nd, der engste Verbündete Zyperns, habe es abgelehnt, die Blockade von EU-Sanktionen gegen Belarus zu unterstütz­en. „Die Haltung Athens“, warnte Kyprianou, „sollte unsere Regierung alarmieren.“

Sowohl Griechenla­nd und die Türkei sind zu direkten Gesprächen bereit. Sie könnten Anfang Oktober beginnen. Zuvor hatte Ankara als „Geste des guten Willens“das Forschungs­schiff „Oruc Reis“aus dem östlichen Mittelmeer abgezogen. Die Gelegenhei­t für die Regierung in Nikosia, im Streit mit Brüssel um die Sanktionen gegen Belarus einzulenke­n, wäre vor diesem Hintergrun­d eigentlich günstig.

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Foto: AFP

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