Zypern in der Defensive
Blockade von EU-Sanktionen gegen Belarus schweißt die Bevölkerung der Mittelmeerinsel zusammen
Die Republik Zypern erinnert dieser Tage ein wenig an das berühmte „gallische Dorf“aus den Asterix-Comics. Anstelle der Römerlager sind es jedoch die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die die Regierung der Ferieninsel wegen ihrer hartnäckigen Blockade von EU-Sanktionen gegen Belarus unter Druck setzen. Mit ihrer Ablehnung, so die Position Brüssels, schade Zypern nicht nur der politischen Glaubwürdigkeit der Union, sondern letztendlich auch sich selbst.
Die Forderung Nikosias, die Türkei wegen ihrer Erdgasbohrungen vor der zyprischen Küste zu sanktionieren, sei zwar berechtigt. Sie dürfe aber nicht mit einer Zustimmung von Sanktionen gegen Vertreter des belarussischen Regimes verknüpft werden. Das seien „zwei verschiedene Paar Schuhe“– was Zyperns Außenminister Nikos Christodoulides bestreitet.
„Unsere Reaktion auf jegliche Art von Verletzungen der Kernund Grundwerte (der EU) kann nicht à la carte erfolgen. Sie muss konsequent sein“, verteidigte der Minister den Standpunkt seines
Landes. Brüssel müsse endlich aufhören, mit zweierlei Maß zu messen. Christodoulides traf mit seiner Aussage den Nerv der Bevölkerung. Sie fühlt sich nach einer Phase der relativen Ruhe erneut von der Türkei bedroht. „Sollen wir die völkerrechtswidrigen Gasbohrungen von Herrn Erdogan in unseren Gewässern einfach hinnehmen“, empört sich Sokrates Sophokleus. Der pensionierte Lehrer lebt in Strovolos, einem Vorort von Nikosia. Wie 70 Prozent der Bevölkerung hat auch er seine Wurzeln im türkisch besetzten Norden der Insel, aus dem er vor 46 Jahren vertrieben wurde. „Schon damals haben uns die Großmächte, vor allem Großbritannien, verraten. Ein zweites Mal darf das nicht passieren.“
Man habe das Recht, sich zu wehren, betont Socrates verärgert. Gleichzeitig sei es die „Pflicht der EU, die Position Zyperns zu verteidigen“. „Es waren in erster Linie Sicherheitsgründe, die Zypern 2004 bewogen hatte, der Europäischen Union beizutreten“, versucht der in Nikosia lebende Analyst Michael Theodoulou das komplexe Verhältnis zwischen Brüssel und Nikosia zu erklären.
Zyperns Außenminister Nikos Christodoulides.
Die Erwartungen seien damals extrem hoch gewesen. „Die Menschen gingen davon aus, dass mit dem Beitritt zur Union auch das Zypernproblem gelöst würde.“
Misstrauen gegenüber EU
Tatsächlich, so Theodoulou, sei der Druck von Brüssel auf Ankara niemals so groß gewesen, um die türkische Regierung zu Zugeständnissen zu zwingen. Nicht wenige Zyprer sehen in der vermeintlichen „Schwäche der EU“den Grund für den fortgesetzten Expansionskurs der Türkei. „Wäre Erdogan von Brüssel rechtzeitig in die Schranken gewiesen worden, hätten auch die Gasbohrungen nicht begonnen“, glaubt Yiannis Roussos. Der in Limassol lebende Medizinstudent nennt einen weiteren Grund für das weit verbreitete Misstrauen der Zyprer gegenüber der EU. Gerade einmal sieben Jahre sei es her, dass Brüssel nach der Verabschiedung des Rettungspakets für den Inselstaat „ein in der Geschichte der EU bisher einmaliges Exempel statuiert“habe. Gemeint war der Abschlag von bis zu 60 Prozent auf Vermögen von über 100 000 Euro bei der Bank of Cyprus. „Das hat niemand vergessen“, sagt Yiannis. Die von der EU diktierte Zwangsbeteiligung bei der finanziellen Rettung des Landes habe Tausende von Menschen ruiniert. „Auf Kosten des kleinsten Mitgliedstaates“habe Brüssel damals Handlungsfähigkeit demonstriert.
Diese vermissen die Zyprer jetzt in der Auseinandersetzung mit der Türkei und stellen sich stur. Lediglich der Führer der kommunistischen AKEL-Partei, Andros Kyprianou, erinnerte seine Landsleute daran, dass „wir jetzt isoliert sind“. Selbst Griechenland, der engste Verbündete Zyperns, habe es abgelehnt, die Blockade von EU-Sanktionen gegen Belarus zu unterstützen. „Die Haltung Athens“, warnte Kyprianou, „sollte unsere Regierung alarmieren.“
Sowohl Griechenland und die Türkei sind zu direkten Gesprächen bereit. Sie könnten Anfang Oktober beginnen. Zuvor hatte Ankara als „Geste des guten Willens“das Forschungsschiff „Oruc Reis“aus dem östlichen Mittelmeer abgezogen. Die Gelegenheit für die Regierung in Nikosia, im Streit mit Brüssel um die Sanktionen gegen Belarus einzulenken, wäre vor diesem Hintergrund eigentlich günstig.