Erschossen und verbrannt an der Grenze
Tod eines südkoreanischen Ministerialbeamten sorgt für Spannungen zwischen den zwei Koreas
Der jüngste innerkoreanische Grenzkonflikt ist ein weiteres trauriges Kapitel zwischen jenen zwei Nachbarländern, die seit knapp sieben Jahrzehnten von einer verminten Demarkationslinie getrennt werden: Am Montag hat sich laut Angaben des südkoreanischen Militärs ein Regierungsbeamter vom Ministerium für Ozeane und Fischerei während einer Dienstfahrt auf einem Patrouillenschiff abgesetzt – nur wenige Kilometer von nordkoreanischen Gewässern entfernt. Offenbar wollte der Mann ins Regime von Kim Jong-un fliehen.
Dort soll er jedoch kaum trockenes Land betreten haben, ehe nordkoreanische Soldaten den Eindringling umzingelten. Geheimdienstinformationen aus Seoul legen nahe, dass er nach einem kurzen Verhör erschossen und seine Leiche schließlich mit Öl übergossen und eingeäschert wurde. Aus dem Seouler Präsidentensitz heißt es, die Tötung sei ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Nordkorea müsse sich für den Vorfall entschuldigen und dafür sorgen, damit sich künftige Tragödien nicht wiederholen werden.
Die Fluchtmotive des getöteten Südkoreaners bleiben bislang vollkommen offen. Das Handeln des nordkoreanischen Militärs lässt sich jedoch schlüssig ergründen: Schon seit mehreren Wochen heißt es von der Armeeführung der US-Truppen in Südkorea, dass das Kim-Regime einen Schießbefehl gegen Schmuggler aus China erteilt habe, um einen Import des Corona-Virus zu verhindern. Schließlich würde der Erreger in dem Land, das über eine katastrophale Gesundheitsversorgung verfügt und unter flächendeckender Unterernährung leidet, potenziell verheerenden Schaden anrichten. Zudem steht in Pjöngjang am 10. Oktober die wichtigste Militärparade des Jahres bevor, die zusätzlich ein hohes Ansteckungsrisiko bietet.
Praktisch als erstes Land der Welt hat das Kim-Regime seine Landesgrenzen nach Aufkommen des Virusausbruchs in Wuhan vollständig geschlossen. Ein Fall vor zwei Monaten zeigt zudem, wie panisch Nordkorea auf das Virus reagiert. Damals überquerte ein nordkoreanischer Flüchtling, der drei Jahren in Südkorea gelebt hatte, ebenfalls über den Seeweg die Grenze nach Norden. Die Staatsmedien des Kim-Regimes behaupteten wenig später – entgegen aller bekannten Indizien aus Seoul –, dass der Mann Corona-Symptome zeigen würde. Die Grenzstadt Kaesong ließ die Regierung daraufhin unter Quarantäne stellen.
Südkoreas Präsident Moon Jaein steht nun vor einem Dilemma.
Der linksgerichtete Politiker hatte seit seinem Amtsantritt 2017 dem nördlichen Nachbarstaat stets die diplomatische Hand ausgestreckt. Auch nachdem die Annäherung mit Kim Jong-un längst auseinanderzubrechen drohte, hielt der 67Jährige weiterhin an seinem Kurs fest. Weder die zuletzt feindliche Rhetorik aus Pjöngjang noch der zunehmende Druck aus Washington änderten die Haltung von Moon. Über seinen Sprecher ließ er verlauten, dass die Erschießung eines südkoreanischen Bürgers „schockierend“und „unentschuldbar“sei. Zu konkreten Gegenmaßnahmen äußerte sich Moon nicht – sehr zum Ärger der konservativen Opposition, die einen harten Kurs gegen Kim Jong-un fordert.
Wie einst 2008
Wie sehr einzelne Schicksale die Beziehungen der zwei verfeindeten Brüderstaaten beeinflussen, zeigt ein Fall von 2008. Dieser trug sich im idyllischen Diamantengebirge entlang der Grenze zu, wo der Hyundai-Konzern im Zuge der innerkoreanischen „Sonnenschein-Politik“ein Ferienressort für Südkoreaner errichtet hatte. Eine 53-jährige Touristin soll angeblich beim Pilze sammeln entgegen der bestehenden Verbote durch abgesperrtes Militärgebiet gewandert sein – und wurde schließlich von einem Soldaten erschossen. Ihr Tod sorgte mit dafür, dass die damalige Annäherung der zwei Staaten scheiterte – und für die nächsten zehn Jahre wieder von militärischen Drohgebärden ersetzt wurde.