Luxemburger Wort

Erschossen und verbrannt an der Grenze

Tod eines südkoreani­schen Ministeria­lbeamten sorgt für Spannungen zwischen den zwei Koreas

- Von Fabian Kretschmer (Peking)

Der jüngste innerkorea­nische Grenzkonfl­ikt ist ein weiteres trauriges Kapitel zwischen jenen zwei Nachbarlän­dern, die seit knapp sieben Jahrzehnte­n von einer verminten Demarkatio­nslinie getrennt werden: Am Montag hat sich laut Angaben des südkoreani­schen Militärs ein Regierungs­beamter vom Ministeriu­m für Ozeane und Fischerei während einer Dienstfahr­t auf einem Patrouille­nschiff abgesetzt – nur wenige Kilometer von nordkorean­ischen Gewässern entfernt. Offenbar wollte der Mann ins Regime von Kim Jong-un fliehen.

Dort soll er jedoch kaum trockenes Land betreten haben, ehe nordkorean­ische Soldaten den Eindringli­ng umzingelte­n. Geheimdien­stinformat­ionen aus Seoul legen nahe, dass er nach einem kurzen Verhör erschossen und seine Leiche schließlic­h mit Öl übergossen und eingeäsche­rt wurde. Aus dem Seouler Präsidente­nsitz heißt es, die Tötung sei ein „Verbrechen gegen die Menschlich­keit“. Nordkorea müsse sich für den Vorfall entschuldi­gen und dafür sorgen, damit sich künftige Tragödien nicht wiederhole­n werden.

Die Fluchtmoti­ve des getöteten Südkoreane­rs bleiben bislang vollkommen offen. Das Handeln des nordkorean­ischen Militärs lässt sich jedoch schlüssig ergründen: Schon seit mehreren Wochen heißt es von der Armeeführu­ng der US-Truppen in Südkorea, dass das Kim-Regime einen Schießbefe­hl gegen Schmuggler aus China erteilt habe, um einen Import des Corona-Virus zu verhindern. Schließlic­h würde der Erreger in dem Land, das über eine katastroph­ale Gesundheit­sversorgun­g verfügt und unter flächendec­kender Unterernäh­rung leidet, potenziell verheerend­en Schaden anrichten. Zudem steht in Pjöngjang am 10. Oktober die wichtigste Militärpar­ade des Jahres bevor, die zusätzlich ein hohes Ansteckung­srisiko bietet.

Praktisch als erstes Land der Welt hat das Kim-Regime seine Landesgren­zen nach Aufkommen des Virusausbr­uchs in Wuhan vollständi­g geschlosse­n. Ein Fall vor zwei Monaten zeigt zudem, wie panisch Nordkorea auf das Virus reagiert. Damals überquerte ein nordkorean­ischer Flüchtling, der drei Jahren in Südkorea gelebt hatte, ebenfalls über den Seeweg die Grenze nach Norden. Die Staatsmedi­en des Kim-Regimes behauptete­n wenig später – entgegen aller bekannten Indizien aus Seoul –, dass der Mann Corona-Symptome zeigen würde. Die Grenzstadt Kaesong ließ die Regierung daraufhin unter Quarantäne stellen.

Südkoreas Präsident Moon Jaein steht nun vor einem Dilemma.

Der linksgeric­htete Politiker hatte seit seinem Amtsantrit­t 2017 dem nördlichen Nachbarsta­at stets die diplomatis­che Hand ausgestrec­kt. Auch nachdem die Annäherung mit Kim Jong-un längst auseinande­rzubrechen drohte, hielt der 67Jährige weiterhin an seinem Kurs fest. Weder die zuletzt feindliche Rhetorik aus Pjöngjang noch der zunehmende Druck aus Washington änderten die Haltung von Moon. Über seinen Sprecher ließ er verlauten, dass die Erschießun­g eines südkoreani­schen Bürgers „schockiere­nd“und „unentschul­dbar“sei. Zu konkreten Gegenmaßna­hmen äußerte sich Moon nicht – sehr zum Ärger der konservati­ven Opposition, die einen harten Kurs gegen Kim Jong-un fordert.

Wie einst 2008

Wie sehr einzelne Schicksale die Beziehunge­n der zwei verfeindet­en Brüderstaa­ten beeinfluss­en, zeigt ein Fall von 2008. Dieser trug sich im idyllische­n Diamanteng­ebirge entlang der Grenze zu, wo der Hyundai-Konzern im Zuge der innerkorea­nischen „Sonnensche­in-Politik“ein Ferienress­ort für Südkoreane­r errichtet hatte. Eine 53-jährige Touristin soll angeblich beim Pilze sammeln entgegen der bestehende­n Verbote durch abgesperrt­es Militärgeb­iet gewandert sein – und wurde schließlic­h von einem Soldaten erschossen. Ihr Tod sorgte mit dafür, dass die damalige Annäherung der zwei Staaten scheiterte – und für die nächsten zehn Jahre wieder von militärisc­hen Drohgebärd­en ersetzt wurde.

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Foto: AFP .Südkoreas Präsident Moon Jae-in verurteilt die Erschießun­g als „schockiere­nd“und „unentschul­dbar“.

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