Luxemburger Wort

Kein Ende des Hungers in Sicht

Durch die Corona-Pandemie kommt es in mehreren afrikanisc­hen Ländern zu Lebensmitt­elengpässe­n

- Von Johannes Dieterich (Johannesbu­rg)

Der Traum vom Ende des Hungers ist vorerst ausgeträum­t. Als zweites ihrer 17 Entwicklun­gsziele hatten sich die Staaten dieser Erde vorgenomme­n, bis zum Jahr 2030 den Hunger ausgerotte­t zu haben. Stattdesse­n sieht es derzeit so aus, dass die Zahl der Menschen, die mit knurrendem Magen ins Bett gehen müssen, bis in zehn Jahren bei über 860 Millionen liegen wird. Nach Jahrzehnte­n der Verbesseru­ng hatte sich die weltweite Ernährungs­lage schon im vergangene­n Jahr wieder verschlech­tert, wofür Experten vor allem die Auswirkung­en des Klimawande­ls verantwort­lich machen.

Doch nun scheint die CoronaPand­emie die Chancen auf den historisch­en Sieg über den Hunger endgültig zunichte gemacht zu haben: Vermutlich werden in diesem Jahr noch weit über 100 Millionen „chronisch Unterernäh­rte“zu den 690 Millionen Menschen hinzukomme­n, die bereits im Vorjahr Hunger leiden mussten. Das geht aus einem Bericht des „Global Network Against Food Crisis“hervor, der jetzt veröffentl­icht wurde.

Städtische Slumbewohn­er trifft es besonders hart

Die Pandemie behandelte Afrika – neben Südasien der Hunger-Hotspot dieser Welt – zwar ausgesproc­hen glimpflich: Mit knapp 1,5 Millionen Infizierte­n und 35 000 Todesfälle­n kam der Kontinent bislang mit einem Fünftel der Zahlen der USA davon, obwohl er viermal so viele Einwohner hat. Allerdings wird Afrika wie kein anderer Erdteil von den indirekten Folgen der Pandemie geplagt: Von der Schließung der Grenzen, dem Zusammenbr­uch des Welthandel­s, den heimischen Lockdowns und dem Kollaps seiner Volkswirts­chaften.

Am schlimmste­n hat es städtische Slumbewohn­er erwischt, die ihren informelle­n Jobs als Straßenver­käufer oder Tagelöhner nicht mehr nachgehen konnten. Doch indirekt waren auch viele Millionen Kleinbauer­n betroffen, denen die Märkte zusammenbr­achen. Neben Corona habe Afrika noch gegen eine zweite Epidemie zu kämpfen, meint der Chef des Welternähr­ungsprogra­mms, Mark Lowcock: Der Kontinent drohe von Hungersnöt­en „biblischen Ausmaßes“heimgesuch­t zu werden.

Im Zentrum des Sturms befinden sich Staaten, die ohnehin unter politische­n Wirren oder Naturkatas­trophen leiden – wie die Demokratis­che Republik Kongo, der Sudan oder die Sahelzone. Mit 21,8 Millionen Bewohnern, die auf Nahrungsmi­ttelhilfe angewiesen sind, hat es den Kongo am schlimmste­n erwischt: Dort stieg der Prozentsat­z der akut betroffene­n Bevölkerun­g von 26 im vergangene­n Jahr auf heute 33 an. Fast sechs Millionen Kongolesen stufen die UN in ihre Kategorie 4 der Bedürftige­n ein: Nur noch eine Stufe von einer ausgemacht­en Hungersnot entfernt. Kaum besser die Lage im Sudan, der sich nach der Revolution im April vergangene­n Jahres in einem schmerzhaf­ten Umbruch befindet – und derzeit auch noch von heftigen Überschwem­mungen des Nils heimgesuch­t wird. Hier sind fast zehn Millionen Menschen (21 Prozent der Bevölkerun­g)

auf Nahrungsmi­ttelhilfe angewiesen, gegenüber sechs Millionen im vergangene­n Jahr. Im von extremisti­schen Islamisten verunsiche­rten Sahelzonen-Staat Burkina Faso verdreifac­hte sich die Zahl der hungernden Menschen sogar

– von 1,2 auf 3,3 Millionen Burkinabè.

Bisher waren Ernährungs­krisen meist kriegerisc­hen Konflikten oder Naturkatas­trophen zuzuschrei­ben – heute spielen wirtschaft­liche Schocks eine immer größere Rolle. Das bedeutet, dass Nahrungsmi­ttel durchaus vorhanden sind, wegen Vertriebsp­roblemen unerreichb­ar oder wegen der schwindend­en Budgets der Konsumente­n unerschwin­glich teuer sind.

Langfristi­ge Folgen für Lebensmitt­elversorgu­ng

Selbst wenn die Pandemie unerwartet­er Weise zu einem schnellen Ende komme, sei mit einer Entspannun­g der Lage noch über Jahre nicht zu rechnen, meinen die Autoren der Studie des globalen Netzwerks: Viele Afrikaner habe die Krise um Jahre zurückgewo­rfen – teils weil sie ihre Jobs verloren oder ihre Besitztüme­r zum Überleben veräußern mussten.

Wie kein anderer Erdteil wird Afrika von den indirekten Folgen der Pandemie geplagt.

Allerdings warten die Ernährungs­experten auch mit einem kleinen Trost auf. Manche Regierung habe in der Krise die Schwächen ihrer Versorgung erkannt: Etwa, dass die Lieferkett­en viel zu lang und viel zu sehr vom Ausland abhängig seien.

Oder dass private Klein- und mittelstän­dische Betriebe besser in die staatliche­n Versorgung­spläne einbezogen werden müssten. Für Millionen hungernder Afrikaner kommt die Erkenntnis womöglich zu spät.

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Foto: Michael Merten Feldarbeit­er legen in Burkina Faso Gräben zur Bewässerun­g von Ackerfläch­en an.

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