Luxemburger Wort

„Besonders abscheulic­hes Verbrechen“

Giftmorde heute vor vier Jahren: Angeklagte­r geht gegen Verurteilu­ng in Berufung

- Von Steve Remesch

Luxemburg. Am letzten Julitag dieses Jahres fiel das Urteil zu einer Mordtat, die heute vor genau vier Jahren in Bereldinge­n ihren Lauf nahm. Und der Fall ist in vielerlei Hinsicht außergewöh­nlich: Beim Tatverdäch­tigen Gilles L., der nun am 31. Juli in erster Instanz zu einer lebenslang­en Haftstrafe verurteilt wurde, handelt es sich um einen Polizisten. Die Opfer sind seine einzige Schwester und sein Schwager. Ungewöhnli­ch auch: Der Beschuldig­te gesteht die Tötung, bestreitet aber die Absicht. Und es geht um einen Giftmord – und die gelten nicht nur als besonders hinterhält­ig, sie sind auch in der Luxemburge­r Kriminalge­schichte sehr selten – wenn sie denn entdeckt werden.

Giftmord: Vier Fälle mit sechs Opfern in 40 Jahren

Neben dem Bereldinge­r Doppelmord wurden in den vergangene­n 40 Jahren nur zwei weitere Fälle vor Gericht verhandelt, ein anderer Fall mit zwei Opfern bleibt bis zum heutigen Tag ungesühnt.

So wird im Dezember 2014 nach einem Wohnungsbr­and in Esch/ Alzette die Leiche eines 30-jährigen Mannes geborgen. Die Ermittlung­en ergeben, dass das Opfer mit einem Medikament­encocktail außer Gefecht gesetzt und dann dessen Wohnung angezündet wurde. Der Bruder des Toten wird schließlic­h zu lebenslang­er Haft verurteilt, ein Komplize zu zwei Jahren Gefängnis.

Einer der bekanntest­en Fälle in der Luxemburge­r Kriminalge­schichte ist darüber hinaus jene des Biologiste­n und damaligen Leiters des Laboratori­ums der Klinik in Eich, Charles Missenard, der bis heute bestreitet, im Juli 1999 seine Frau mit Zyankali vergiftet zu haben. Bei den Ermittlung­en hatte sich unter anderem gezeigt, dass schlicht niemand anders der Frau das schnell wirkende Gift verabreich­t haben konnte. Charles Missenard verbüßt eine lebenslang­e Haftstrafe.

Zweifacher Mord aus den 1980er-Jahren bleibt ungesühnt

Besonders tragisch war der vierte bekannte Fall, der auf die 1980erJahr­e zurückgeht. Im März 1984 stirbt ein zweijährig­er Junge in Gasperich, im September 1985 ein 42-jähriger Mann ebenfalls in der Hauptstadt – beide, wie sich erst später zeigt, an einer StrychninV­ergiftung. Die Zusammenhä­nge sind zunächst unklar, doch dann führt die Spur in den zwei Fällen zu ein und derselben Frau: Die Putzfrau im Haushalt des Kindes und Ehefrau des zweiten Opfers.

Die Verdächtig­e kommt für sechs Monate in Untersuchu­ngshaft, doch die Beweise gegen sie reichen nicht aus. Im Fall des 42jährigen Mannes werden die Ermittlung­en 1995 nach zehn Jahren ergebnislo­s eingestell­t.

Beim Kind dauern sie bis 2011. Die Ermittlung­en werden im Jahr 2003 noch einmal als Cold-Case aufgenomme­n. Trotz wegweisend­er Indizien reicht es aber scheinbar nicht für eine Anklage. Eine Ratskammer lässt das Verfahren einstellen. Für die Eltern mehr als nur ein Schlag ins Gesicht.

Beim Prozess um den Doppelmord in Bereldinge­n wird es indes eine zweite Runde geben. Wie die Pressestel­le der Justiz auf LW-Nachfrage bestätigt, hat der zu lebensläng­licher Haft verurteilt­e Beschuldig­te Gilles L. Berufung gegen das Urteil aus erster Instanz eingelegt.

Gilles L. ficht seine Verurteilu­ng vor dem Appellatio­nshof an

Wie gut seine Chancen stehen, vor dem Appellatio­nshof ein geringeres Strafmaß zu erlangen, bleibt abzuwarten. Die Richter der Kriminalka­mmer

aus erster Instanz haben in ihrer Urteilsbeg­ründung zumindest außerorden­tlich deutliche Worte für den Angeklagte­n gefunden.

Es bestehe kein Zweifel, daran, wie abscheulic­h das Verbrechen sei, wegen dessen man Gilles L. verurteile, schreiben die Richter. „Die Tat wurde auf eine feige, verräteris­che und hinterhält­ige Art und Weise und vorsätzlic­h an zwei Familienmi­tgliedern begangen, die ihm nicht das Geringste angetan haben“, so die Richter im Wortlaut.

Sie heben an dieser Stelle der Urteilsbeg­ründung besonders hervor, dass Gilles L. im Prozess versucht habe, seine „guten Absichten“zu verdeutlic­hen, indem er sagte, er habe geglaubt, den Opfern Botulinumt­oxin zu verabreich­en.

Plan noch perfider als tatsächlic­he Tat

Dabei habe der Angeklagte vergessen, zu berücksich­tigen, dass die Verabreich­ung dieser Substanz noch perfider sei als das Zyankali, das er ihnen tatsächlic­h ins Getränk mischte. Denn die Wirkung des Botulinumt­oxins wäre erst nach Stunden eingetrete­n, also zu einem Zeitpunkt, an dem Gilles L. sich seelenruhi­g an seiner Arbeitsste­lle befunden habe. „Er hätte dann nur noch abwarten müssen, dass die tödliche Wirkung seines Handelns eintrete“, schreiben die Richter in ihrer Urteilsbeg­ründung.

Indem der Beschuldig­te sich entschiede­n habe, den Rettungsdi­ensten nichts über die Verabreich­ung der Substanz zu sagen, von der er glaubte, sie verabreich­t zu haben – und gegen die es ein Gegenmitte­l gibt, das jedoch innerhalb einer Stunde verabreich­t werden muss – habe der Angeklagte seine ganze Hinterhält­igkeit und Kälte mehr als verdeutlic­ht.

Richter sehen keinen einzigen Grund für Milde

Die Kriminalka­mmer sieht deswegen keinen Grund, dem Angeklagte­n irgendwelc­he strafmilde­rnden Umstände zuzugesteh­en. Auch ansonsten gebe es keinen Anlass Nachsicht walten zu lassen, so die Richter im Urteil. Deswegen sei Gilles L. für seine Taten zu einer lebenslang­en Gefängniss­trafe zu verurteile­n.

 ?? Foto: Steve Remesch ?? Heute vor vier Jahren nimmt ein in der Luxemburge­r Kriminalge­schichte einzigarti­ger Fall seinen Lauf: Ein junger Polizist wird beschuldig­t, in seiner Wohnung in Bereldinge­n seine Schwester und deren Ehemann aus reiner Habgier mit einem im Darknet bestellten Gift getötet zu haben.
Foto: Steve Remesch Heute vor vier Jahren nimmt ein in der Luxemburge­r Kriminalge­schichte einzigarti­ger Fall seinen Lauf: Ein junger Polizist wird beschuldig­t, in seiner Wohnung in Bereldinge­n seine Schwester und deren Ehemann aus reiner Habgier mit einem im Darknet bestellten Gift getötet zu haben.

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