Weltauto für die Akku-Ära
Mit dem kompakten SUV-Modell ID.4 probt Volkswagen den elektrischen Ernstfall
Wolfsburg. VW macht Ernst auf der Electric Avenue. Denn nur wenige Wochen nach dem ID.3 lassen die Wolfsburger jetzt den ID.4 von der Leine. Und während der elektrische Erstling ein eher europäisches Phänomen bleiben und deshalb nur eine Nebenrolle bei der Mobilitätswende spielen wird, ist der ID.4 als Weltauto konzipiert.
Im schier unaufhaltsam wachsenden Segment der kompakten SUV platziert und damit die zeitgemäße Alternative zum Tiguan, soll er neben Europa auch China und die USA erobern und zum Wolfsburger Weltauto der AkkuÄra werden. Kein anderes der über drei Dutzend Konzernmodelle aus dem sogenannten Modularen Elektrifizierungsbaukasten MEB dürfte sich deshalb so oft verkaufen wie der ID.4 – auch das ist ein Grund, weshalb VW auf die Tube drückt und noch vor dem Jahresende die ersten Autos auf die Straße bringen will.
Der 4,58 Meter lange Fünftürer bietet bei identischem Radstand von 2,77 Metern deutlich mehr Platz als der ohnehin schon geräumige ID.3. Nicht nur der längere Tiguan Allspace kann sich vor allem von der Beinfreiheit im Fond etwas abschneiden und bei rund 550 Litern Kofferraum nur mühsam ein paar Punkte machen, sondern auch das Tesla Model Y sieht plötzlich nicht mehr ganz so gut aus. Obwohl noch eine Handbreit länger als der ID.4 und sogar als Siebensitzer angekündigt, fehlen dem Amerikaner zum VW innen rund sechs Zentimeter.
Dafür muss sich der ID.4 in den eigenen Reihen an Platz zwei einsortieren. Denn wie so oft stiehlt die Tochter Skoda der Mutter VW die Schau. Die Tschechen durften ihren Enyaq iV nicht nur bereits enthüllen, während VW das Tuch erst jetzt lüftet, sondern sie haben auf der gleichen Plattform auch mal wieder das größere Auto gebaut, für das sie auch noch weniger Geld verlangen. Und zumindest in den Augen vieler Betrachter sieht der Enyaq iV obendrein noch frischer und andersartiger aus als der ID.4.
Kunden nicht verschrecken
Doch mit dem „Anderssein“war VW bewusst sehr vorsichtig. Denn die Niedersachsen wollen, nein müssen Masse machen und deshalb viele Kunden aus der alten Welt in die neue Zeit holen. Und die sind bei VW etwas konservativer als anderswo. Das gilt für das Design, das zwar ein bisschen frischer und frecher wirkt als beim Tiguan, das aber trotzdem niemanden verschrecken wird. Das gilt für das Bediensystem, das mit dem kleinen, frei stehenden Display hinter dem Lenkrad ungewöhnlicher aussieht als im neuen Golf, aber trotzdem einfacher zu nutzen ist. Und es gilt anders als im ID.3 auch für die Materialauswahl: Während der Rotstift beim elektrischen Erstling gar zu spitz war, sieht der ID.4 schon deutlich vornehmer aus und fühlt sich mit weich unterschäumten Kunststoffen und schmucken Metallkonsolen sehr viel besser an.
Auch das Fahrverhalten ist vertraut: Zwar ist der ID.4 für seine Größe ungewöhnlich handlich, weil die Vorderräder ohne großen Motor dazwischen weiter einschlagen können, und dank des üppigen Drehmoments des E-Motors fallen auch die rund zwei Tonnen nicht weiter ins Gewicht. Doch elektrische Eigenheiten wie das One-Pedal-Fahren wollte Plattformchef Frank Bekemeier den Umsteigern aus Benziner oder Diesel nicht zumuten. Wo Autos wie der Nissan Leaf oder der Polestar 2 beim Lupfen des Fahrpedals so stark rekuperieren, dass sie auch ohne Bremse schnell zum Stehen kommen, verzögert der zum Generator umgepolte E-Motor den ID.4 deshalb nur minimal.
Im ID.4 geht es deutlich edler zu als im ID.3.
Los geht es mit gleich vier Leistungsstufen für den an der Hinterachse verbauten E-Motor von 109 kW (148 PS) im Basismodell bis zu 150 kW (204 PS) in der vorläufigen Topversion. Damit schafft der ID.4 den Sprint von 0 auf 100 km/h in 8,5 Sekunden und hat Auslauf bis 160 km/h, was zwar bei vielen E-Fahrern schon zu einem Geschwindigkeitsrausch führen, den Tesla-Typen aber nur ein müdes Lächeln abringen wird. Schließlich kratzt das Model Y knapp an Tempo 250.
Topmodell mit 300 PS
Den Strom liefern zunächst zwei Akkus: Ein Paket mit 52 kWh, das im WLTP-Zyklus bis zu 350 Kilometer Reichweite ermöglichen soll, oder eines mit 77 kWh und einem Aktionsradius von rund 520 Kilometern. Nachgeladen mit bis zu 100 kW beim kleinen und 125 kW beim großen Akku, verspricht VW den Hub von fünf auf 80 Prozent im besten Fall in weniger als 45 Minuten.
Nächstes Jahr bringt VW dann noch ein Topmodell und spendiert ihm eine zweite Maschine mit 75 kW (102 PS) im Bug. Dann klettert die Systemleistung nach alter Währung auf mehr als 300 PS, es gibt standesgemäßen Allradantrieb und das Spitzentempo wird auf etwa 180 km/h angehoben. Doch auch ohne Allrad wird der ID.4 seiner Rolle als SUV gerecht, kämpft sich der etwas erhöhten Bodenfreiheit sei dank tapfer auch über Schotterpisten oder durch den Schlamm und taugt sogar als Zugmaschine. Denn als eines der wenigen Elektroautos gibt es den Wolfsburger Hoffnungsträger nicht nur mit Dachreling, sondern auch mit Anhängerkupplung. Bis zu 1 200 Kilogramm soll der ID.4 damit ziehen können.