Bonjour tristesse
Vom Schandfleck zum Prestigeobjekt? Seit Kurzem scheint die Zukunft der Place de l’Etoile endlich gesichert, dennoch riskiert das WestTor der Stadt Luxemburg, vom Regen in die Traufe zu kommen. Attribute wie fortschrittlich, glamourös und (architektonisch) wertvoll stehen nämlich gerne im krassen Gegensatz zum tatsächlichen späteren Nutzen derartiger Bauten für Bürger und Stadtleben, wie uns die jüngere Vergangenheit lehrt.
So erweist sich das, was auf den ersten Blick vielversprechend klingt, bei genauerer Betrachtung als medienwirksames Ablenkungsmanöver. Wenn gesagt wird, dass von 600 Wohnungen deren 60 zu einem „erschwinglichen“Preis verkauft werden, dann handelt es sich dabei lediglich um den vorgeschriebenen Mindestanteil. Hinzu kommt, dass der Bauherr eine grobe Einordnung dessen, was der Hauptinvestor – die Abu Dhabi Investment Authority – unter dem Begriff „erschwinglich“versteht, unterlässt.
Die Entwicklung am hiesigen Wohnungsmarkt kennend, dürfte sich das Angebot an der Stäreplaz im Hochpreissegment einsortieren und nur wenige Familien anziehen – obwohl der Wohnraum mit 47 Prozent den Großteil der entstehenden Flächen ausmacht. Damit käme der Wiederbelebungsversuch dieses ehemals pulsierenden Viertels einer Totgeburt gleich. Die nach Abzug der Büroflächen (45 Prozent) verbleibenden acht Prozent für „Commerces de proximité“werden es auch nicht richten. Immerhin: keine weitere Shoppingmall! Dafür aber ein Multiplexkino, eine FoodHall und ein Fitness-Center. Dabei ist diese Amerikanisierung ganzer Siedlungsprojekte alles andere als ein Garant für lebendige Viertel. Waren die verantwortlichen Planer eigentlich schon einmal in Belval, in Cloche d’Or oder im Infinity-Zentrum gegenüber dem Pfaffenthal-Funiculaire in Kirchberg? Haben sie sich schon einmal mit der Frage befasst, warum selbst die Galeries Lafayette im Stadtzentrum als Zugpferd nicht ziehen?
Die Leuchtreklamen der üblichen Franchise-Ketten mögen eine gewisse Modernität suggerieren, sie sind aber kein Ersatz für die Atmosphäre eines organisch gewachsenen Stadtteils. Flair kann man nicht forcieren, man kann aber die Rahmenbedingungen architektonisch und urbanistisch so gestalten, dass sich eines Tages Leben einstellt.
Warum sind ausgerechnet immer Altstadtviertel die lebendigsten? Die Fassaden ganzer Häuserzeilen strahlen Wärme aus und die verwinkelten Gassen geben Einheimischen wie Besuchern dieses unnachahmliche Gefühl von Geborgenheit, das so nur Jahrhunderte alte Quartiere zu vermitteln vermögen. Warum werden geschichtsträchtige, lebendige Viertel bei der Planung neuer Projekte nicht als Inspirationsquelle genutzt? Die Zwänge – Stichwort: Hochbau – mögen heute aufgrund von Immobilienpreisen und Mobilitätskonzepten andere sein, dennoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass seelenlose Retortenstädte angesichts ihrer hohen Reproduktionsquote nicht nur die am einfachsten umzusetzende, sondern wohl auch die lukrativste Variante (für den Bauherrn) sind.
Am Ende wird der Schandfleck am West-Tor der Stadt Luxemburg zwar verschwunden, die Trostlosigkeit an der Stäreplaz aber geblieben sein.
Stäreplaz: eine seelenlose Retortenstadt statt eines lebendigen Viertels.
Kontakt: claude.feyereisen@wort.lu