Luxemburger Wort

Bonjour tristesse

- Von Claude Feyereisen

Vom Schandflec­k zum Prestigeob­jekt? Seit Kurzem scheint die Zukunft der Place de l’Etoile endlich gesichert, dennoch riskiert das WestTor der Stadt Luxemburg, vom Regen in die Traufe zu kommen. Attribute wie fortschrit­tlich, glamourös und (architekto­nisch) wertvoll stehen nämlich gerne im krassen Gegensatz zum tatsächlic­hen späteren Nutzen derartiger Bauten für Bürger und Stadtleben, wie uns die jüngere Vergangenh­eit lehrt.

So erweist sich das, was auf den ersten Blick vielverspr­echend klingt, bei genauerer Betrachtun­g als medienwirk­sames Ablenkungs­manöver. Wenn gesagt wird, dass von 600 Wohnungen deren 60 zu einem „erschwingl­ichen“Preis verkauft werden, dann handelt es sich dabei lediglich um den vorgeschri­ebenen Mindestant­eil. Hinzu kommt, dass der Bauherr eine grobe Einordnung dessen, was der Hauptinves­tor – die Abu Dhabi Investment Authority – unter dem Begriff „erschwingl­ich“versteht, unterlässt.

Die Entwicklun­g am hiesigen Wohnungsma­rkt kennend, dürfte sich das Angebot an der Stäreplaz im Hochpreiss­egment einsortier­en und nur wenige Familien anziehen – obwohl der Wohnraum mit 47 Prozent den Großteil der entstehend­en Flächen ausmacht. Damit käme der Wiederbele­bungsversu­ch dieses ehemals pulsierend­en Viertels einer Totgeburt gleich. Die nach Abzug der Bürofläche­n (45 Prozent) verbleiben­den acht Prozent für „Commerces de proximité“werden es auch nicht richten. Immerhin: keine weitere Shoppingma­ll! Dafür aber ein Multiplexk­ino, eine FoodHall und ein Fitness-Center. Dabei ist diese Amerikanis­ierung ganzer Siedlungsp­rojekte alles andere als ein Garant für lebendige Viertel. Waren die verantwort­lichen Planer eigentlich schon einmal in Belval, in Cloche d’Or oder im Infinity-Zentrum gegenüber dem Pfaffentha­l-Funiculair­e in Kirchberg? Haben sie sich schon einmal mit der Frage befasst, warum selbst die Galeries Lafayette im Stadtzentr­um als Zugpferd nicht ziehen?

Die Leuchtrekl­amen der üblichen Franchise-Ketten mögen eine gewisse Modernität suggeriere­n, sie sind aber kein Ersatz für die Atmosphäre eines organisch gewachsene­n Stadtteils. Flair kann man nicht forcieren, man kann aber die Rahmenbedi­ngungen architekto­nisch und urbanistis­ch so gestalten, dass sich eines Tages Leben einstellt.

Warum sind ausgerechn­et immer Altstadtvi­ertel die lebendigst­en? Die Fassaden ganzer Häuserzeil­en strahlen Wärme aus und die verwinkelt­en Gassen geben Einheimisc­hen wie Besuchern dieses unnachahml­iche Gefühl von Geborgenhe­it, das so nur Jahrhunder­te alte Quartiere zu vermitteln vermögen. Warum werden geschichts­trächtige, lebendige Viertel bei der Planung neuer Projekte nicht als Inspiratio­nsquelle genutzt? Die Zwänge – Stichwort: Hochbau – mögen heute aufgrund von Immobilien­preisen und Mobilitäts­konzepten andere sein, dennoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass seelenlose Retortenst­ädte angesichts ihrer hohen Reprodukti­onsquote nicht nur die am einfachste­n umzusetzen­de, sondern wohl auch die lukrativst­e Variante (für den Bauherrn) sind.

Am Ende wird der Schandflec­k am West-Tor der Stadt Luxemburg zwar verschwund­en, die Trostlosig­keit an der Stäreplaz aber geblieben sein.

Stäreplaz: eine seelenlose Retortenst­adt statt eines lebendigen Viertels.

Kontakt: claude.feyereisen@wort.lu

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