Die Anti-Ginsburg
Donald Trump nominiert Amy Coney Barrett für Nachfolge am Obersten Gerichtshof der USA
Die fromme Katholikin hat nicht viel mit der kämpferischen Feministin Ruth Bader Ginsburg gemeinsam, die sie als Verfassungsrichterin ersetzen soll. Barrett ist in vielerlei Hinsicht ihr genaues Gegenteil. Als Mitglied der „People of Praise“, einer charismatischen Gemeinschaft innerhalb der katholischen Kirche, die an die Existenz böser Kräfte in der Welt glaubt, hatte Barrett kein Problem damit, sich eine „Magd“nennen zu lassen. Im vergangenen Jahr äußerte die siebenfache Mutter im „Notre Dame Club“von Washington, ihre Sorge, „Kinder und Arbeit zu balancieren“. Dank der Hilfe ihres Mannes Jesse und anderer Familienmitglieder sei das bisher gelungen. „Was gibt es Besseres, als Kinder erziehen zu können? Da haben sie den größten Einfluss auf die Welt.“
Während Ginsburg die Verfassung als „lebendiges“Dokument betrachtete, das sie als Leitfaden für die volle Gleichberechtigung von Frauen verstand, versucht die frühere Rechtsgelehrte an der katholischen Elite-Universität von Notre-Dame im US-Bundesstaat Indiana, die US-Konstitution getreu der Intentionen ihrer männlichen Autoren zu verstehen.
Wie ihr großes Vorbild, die 2016 verstorbene konservative Ikone am Supreme Court, Antonin Scalia, hängt sie einer Rechtsschule an, die die Verfassung so wortwörtlich auslegt wie Fundamentalisten die Bibel. Kurioserweise haben im Verhältnis zu Scalia Barrett und Ginsburg eine Schnittstelle. Beide verband eine persönliche Freundschaft zu dem barocken Scalia, die im Fall Ginsburgs nicht von den gravierenden Meinungsverschiedenheiten in Fragen von Recht und Politik getrübt war. Scalia seinerseits bewunderte Barrett, deren messerscharfe Argumente ihr Ende der 90er-Jahre einen Platz im Team des Verfassungsrichters verschafften.
Bei ihrer Amtseinführung als Bundesrichterin des siebten Gerichtsbezirks von Chicago erinnerten frühere Kollegen im Büro an Scalia, wie ihr Ziehvater vor anderen über ihren Rechtsverstand geschwärmt hatte. „Ist Amy nicht fantastisch?“. Die demokratische Senatorin Dianne Feinstein konnte nicht mehr anderer Meinung sein, als sie, während der damaligen Anhörungen zur Bestätigung der Bundesrichterin, die Vermengung von Religion und Recht beanstandete. „Das Dogma spricht lautstark aus Ihnen“, hielt Feinstein der Katholikin vor, die persönlich Abtreibungen entschieden ablehnt.
Kritik der Liberalen
Liberale Kritiker Barretts fürchten, dass sie als Verfassungsrichterin den straffreien Zugang zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen einschränken wird. Einige sehen sogar das Grundsatzurteil „Roe vs Wade“aus dem Jahr 1973 in Gefahr, das Abtreibungen zur Privatangelegenheit erklärt.
Barrett versicherte seinerzeit, unabhängig von ihrem Glauben immer dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen. Richter sollten niemals „persönliche Überzeugungen aus dem Glauben oder sonst woher auf das Recht anwenden.“
Dass sie sich in der Praxis ihrer Rechtsprechung, aber auch ihren akademischen Beiträgen, immer auf der Seite der Konservativen wiederfindet, lässt diese auf einen dauerhaften Rechtsruck des Gerichts hoffen. Sollte sie noch vor den Wahlen am 3. November im Senat bestätigt werden, käme in der Woche danach bereits die erste Probe aufs Exempel. Dann steht die Gesundheitsreform Barack Obamas („Obamacare“) zum dritten Mal auf dem Prüfstand des Supreme Court. Während sich Chefrichter John Roberts zur Rettung des „Affordable Care Act“zweimal auf die Seite der liberalen Minderheit schlug, hängt die Krankenversicherung für Millionen Amerikaner dann an Barrett. Donald Trumps Kandidatin für den Supreme Court macht kein Geheimnis daraus, wo sie steht: auf der Seite des 2016 verstorbenen Scalias, der Roberts scharf kritisiert hatte.