Luxemburger Wort

Die Anti-Ginsburg

Donald Trump nominiert Amy Coney Barrett für Nachfolge am Obersten Gerichtsho­f der USA

- Von Thomas Spang (Washington)

Die fromme Katholikin hat nicht viel mit der kämpferisc­hen Feministin Ruth Bader Ginsburg gemeinsam, die sie als Verfassung­srichterin ersetzen soll. Barrett ist in vielerlei Hinsicht ihr genaues Gegenteil. Als Mitglied der „People of Praise“, einer charismati­schen Gemeinscha­ft innerhalb der katholisch­en Kirche, die an die Existenz böser Kräfte in der Welt glaubt, hatte Barrett kein Problem damit, sich eine „Magd“nennen zu lassen. Im vergangene­n Jahr äußerte die siebenfach­e Mutter im „Notre Dame Club“von Washington, ihre Sorge, „Kinder und Arbeit zu balanciere­n“. Dank der Hilfe ihres Mannes Jesse und anderer Familienmi­tglieder sei das bisher gelungen. „Was gibt es Besseres, als Kinder erziehen zu können? Da haben sie den größten Einfluss auf die Welt.“

Während Ginsburg die Verfassung als „lebendiges“Dokument betrachtet­e, das sie als Leitfaden für die volle Gleichbere­chtigung von Frauen verstand, versucht die frühere Rechtsgele­hrte an der katholisch­en Elite-Universitä­t von Notre-Dame im US-Bundesstaa­t Indiana, die US-Konstituti­on getreu der Intentione­n ihrer männlichen Autoren zu verstehen.

Wie ihr großes Vorbild, die 2016 verstorben­e konservati­ve Ikone am Supreme Court, Antonin Scalia, hängt sie einer Rechtsschu­le an, die die Verfassung so wortwörtli­ch auslegt wie Fundamenta­listen die Bibel. Kurioserwe­ise haben im Verhältnis zu Scalia Barrett und Ginsburg eine Schnittste­lle. Beide verband eine persönlich­e Freundscha­ft zu dem barocken Scalia, die im Fall Ginsburgs nicht von den gravierend­en Meinungsve­rschiedenh­eiten in Fragen von Recht und Politik getrübt war. Scalia seinerseit­s bewunderte Barrett, deren messerscha­rfe Argumente ihr Ende der 90er-Jahre einen Platz im Team des Verfassung­srichters verschafft­en.

Bei ihrer Amtseinfüh­rung als Bundesrich­terin des siebten Gerichtsbe­zirks von Chicago erinnerten frühere Kollegen im Büro an Scalia, wie ihr Ziehvater vor anderen über ihren Rechtsvers­tand geschwärmt hatte. „Ist Amy nicht fantastisc­h?“. Die demokratis­che Senatorin Dianne Feinstein konnte nicht mehr anderer Meinung sein, als sie, während der damaligen Anhörungen zur Bestätigun­g der Bundesrich­terin, die Vermengung von Religion und Recht beanstande­te. „Das Dogma spricht lautstark aus Ihnen“, hielt Feinstein der Katholikin vor, die persönlich Abtreibung­en entschiede­n ablehnt.

Kritik der Liberalen

Liberale Kritiker Barretts fürchten, dass sie als Verfassung­srichterin den straffreie­n Zugang zu legalen Schwangers­chaftsabbr­üchen einschränk­en wird. Einige sehen sogar das Grundsatzu­rteil „Roe vs Wade“aus dem Jahr 1973 in Gefahr, das Abtreibung­en zur Privatange­legenheit erklärt.

Barrett versichert­e seinerzeit, unabhängig von ihrem Glauben immer dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen. Richter sollten niemals „persönlich­e Überzeugun­gen aus dem Glauben oder sonst woher auf das Recht anwenden.“

Dass sie sich in der Praxis ihrer Rechtsprec­hung, aber auch ihren akademisch­en Beiträgen, immer auf der Seite der Konservati­ven wiederfind­et, lässt diese auf einen dauerhafte­n Rechtsruck des Gerichts hoffen. Sollte sie noch vor den Wahlen am 3. November im Senat bestätigt werden, käme in der Woche danach bereits die erste Probe aufs Exempel. Dann steht die Gesundheit­sreform Barack Obamas („Obamacare“) zum dritten Mal auf dem Prüfstand des Supreme Court. Während sich Chefrichte­r John Roberts zur Rettung des „Affordable Care Act“zweimal auf die Seite der liberalen Minderheit schlug, hängt die Krankenver­sicherung für Millionen Amerikaner dann an Barrett. Donald Trumps Kandidatin für den Supreme Court macht kein Geheimnis daraus, wo sie steht: auf der Seite des 2016 verstorben­en Scalias, der Roberts scharf kritisiert hatte.

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Foto: AFP Amy Coney Barrett machte sich einen Namen als Professori­n an der katholisch­en Universitä­t von Notre-Dame.

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