Künstlerische Corona-Bilanz
Wie die Szene sich im Kinneksbond Mamer gegenseitig stärkt und die Krise verarbeitet
Schon vor der Premiere der beiden vom Grand Théâtre der Hauptstadt und dem Kinneksbond Mamer in Auftrag gegebenen Stücke zeigt sich am vergangenen Freitagabend, welche Spuren die Krise hinterlassen hat. Neben denen, die die Veranstaltung organisieren und umsetzen, sind viele Vertreterinnen und Vertreter der Kulturszene im Publikum – etwa 50 Zuschauer kommen bei Wahrung aller Sicherheitsbeschränkungen im Saal des Kinneksbond zur zweiten Zykluspremiere unter. Nicht nur die Möglichkeit, Theater wieder live erleben zu können, sondern auch die Freude, die sonst gewohnten Gesichter endlich ganz direkt – wenn auch mit Maske geschützt – sehen zu können, ist spürbar groß. Es wird sich ein Lächeln geschenkt (sichtbar an den Augenfältchen), nach dem Befinden nachgehakt – das schafft schon, bevor es überhaupt losgeht, eine Atmosphäre von sich gegenseitigem Bestärken.
Die beiden Stücke des deutschluxemburgischen Abends, „Wie ein König“und „Erop“, sind dann an sich schon ein weiteres Zeugnis dieser gegenseitigen Bestärkung. Zwei Theaterhäuser tun sich hier federführend – aber doch im Schulterschluss mit dem Kasemattentheater, dem Théâtre du Centaure und dem Théâtre Ouvert – zusammen, beauftragen Duos aus Regisseuren und Autoren mit Texten und Inszenierungen zu den Themenkreisen „Discours sur l’état d’urgence“, „Hymne aux oublié.e.s de 1a crise“oder „Inventaire des belles choses“, die wiederum Luxemburger Schauspieler und technisches Personal mit der Umsetzung
betrauen. Ganz abgesehen vom für alle vier Zyklusteile einheitlichen und doch wunderbar flexiblen Bühnendesign von Julie Conrad, die eine sehr leicht veränderbare und doch auch in den Lichtwirkungen sehr vielschichtige Basis schafft.
Auf dieser Basis sind dann am Freitag die beiden sehr unterschiedlichen Werke zu sehen: eine Tragikomödie aus der Feder von Guy Helminger, unter der Leitung von Gintare Parulyte und ein emotional tiefes Monodrama von Romain Butti, das Fabio Godinho in der Inszenierung verantwortet.
Eugénie Anselin, Whitney Fortmueller, Jules Werner und Ali Berber prallen in „Wie ein König“aufeinander. Anselin und Werner geben Geschwister, deren Eltern verstorben sind. Bei der Beerdigung treffen sie sich – jeweils flankiert von ihren Partnern – nach Jahren der Trennung wieder. Im spannenden und oft auch sehr witzigen Wechselspiel, in dem Helminger ganz unterschiedliche Ebenen und Reflexionen zu Traumata und Konflikten verbindet, wird es auf den ersten Blick nicht gerade leicht: eine seit Jahren anhaltende Virusbedrohung, deren Effekte für die Gesellschaft, die persönlichen Erlebnisse, verdrängte Gewalterfahrungen in der Familie, gescheiterte Ehen und die Freude an der zynischen Rache. Das klingt eben hart, wirkt aber auf der Bühne sehr leichtfüßig – dank Witz, Sprache und kabarettistischem Kommentar. Aber warum spielen die vier mit Textbüchern? Regisseurin
Parulyte wollte nach eigener Aussage schauen, wie sich die erst rein als szenische Lesung gedachte Fassung doch im Spiel entfalten könne.
In „Erop“steht Raoul Schlechter ganz allein auf der Bühne. Der lange Monolog ist ein Gedankenstrom, der tief in die Gefühlswelt dieses Mannes eintaucht, der sich einsam in der Krise neu spüren muss, der, plötzlich abgetrennt, in der Natur Zuflucht sucht. Schlechter hätte sicher noch mehr Emotionen aus dem Portfolio seines Handwerks ziehen können – Buttis Vorlage gäbe das her. Aber auch so berührt dieser Text und lässt sicher persönliche Gefühlslagen der Krise unter den Zuschauern hinterfragen. Ein wunderbarer, starker Abend.