Quim Torra muss gehen
Spaniens Justiz setzt den Regierungschef der Konfliktregion Katalonien ab
„Haben Sie die Anweisungen der Zentralen Wahlkommission befolgt?“, fragte der Anwalt seinen Klienten. „Nein, habe ich nicht“, antwortete Quim Torra, „ich habe den Gehorsam verweigert.“
Torra, der katalanische Regionalpräsident, hat nie verhehlt, dass er wusste, was er tat. Als ihn Spaniens Zentrale Wahlkommission im Frühjahr vergangenen Jahres aufforderte, die separatistische Propaganda an der Fassade seines Regierungspalastes abzunehmen – jedenfalls für ein paar Wochen vor den spanischen Wahlen am 28. April 2019 –, ignorierte Torra diese Anweisung. Im Dezember verurteilte ihn das höchste Gericht Kataloniens deshalb zum anderthalbjährigen Verzicht auf alle öffentlichen Ämter. Während jenes Verfahrens gestand Torra seinen Ungehorsam ein. Trotzdem legte er bei Spaniens Oberstem Gerichtshof Berufung gegen das Urteil ein. Das Gericht in Madrid bestätigte gestern die Entscheidung der Vorinstanz. Torra wird zurücktreten müssen.
Torra kann sich über das Urteil nicht wundern. Cristina Narbona, Präsidentin der spanischen Sozialisten
„Torra kann sich über das Urteil nicht wundern“, sagte am Montagmittag die Präsidentin der spanischen Sozialisten (PSOE), Cristina Narbona. Die PSOE stellt zurzeit mit Pedro Sánchez den spanischen Premierminister, und der versucht seit seiner Amtsübernahme vor gut zwei Jahren, den katalanischen Separatisten auf die eine oder andere Weise entgegenzukommen – ohne auf deren Hauptforderung, die Abspaltung vom Rest Spaniens, einzugehen.
Ende Februar dieses Jahres lud Sánchez Torra in den Madrider Moncloa-Palast zum „DialogTisch“ein. Die Gespräche sollten danach fortgesetzt werden, aber dann kam die Corona-Krise dazwischen. Doch an der Grundhaltung der PSOE habe sich nichts geändert, versicherte deren Präsidentin Cristina Narbona gestern: „Der Dialog ist unbedingt erforderlich. An der Bereitschaft der Regierung hat sich nichts geändert.“Nur der Gesprächspartner wird nicht mehr derselbe sein.
Ein Präsident auf Abruf
Schon beim ersten Treffen im Februar war Torra ein Präsident auf Abruf. Ende Januar hatte er Neuwahlen für Katalonien angekündigt, ohne einen Termin dafür zu nennen. Erst die Corona-Epidemie ließ ihn davon wieder abrücken. „Ich konzentriere mich jetzt auf die Bewältigung der sanitären Krise“, sagte er Anfang April.
Hinter vorgehaltener Hand sagten Stimmen aus der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC), dass es wohl eher die Meinungsumfragen seien, die Torra von Neuwahlen abhielten. Die ERC ist der kleinere Koalitionspartner der
Der katalanische Regionalpräsident Quim Torra verliert wegen Ungehorsams sein Amt. Die Sanchez-Regierung hofft trotzdem, den Dialog mit den Separatisten fortsetzen zu können. katalanischen Regierung und könnte im Fall von Wahlen damit rechnen, Torras JxCat („Gemeinsam für Katalonien“) zu überflügeln. Vielleicht. Die Programme der beiden Parteien unterscheiden sich nicht wesentlich, die ERC fährt zurzeit aber eine pragmatischere Linie als JxCat und der Nochministerpräsident Torra. Der wollte und will immer mit dem Kopf durch die Wand. Das hat ihn jetzt das Amt gekostet.
Bis die Dinge in Katalonien wieder aufs Gleis kommen, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Torra hätte noch vor seiner effektiven Absetzung am Montagnachmittag die einst angekündigten Neuwahlen anberaumen können, aber das wollte er nicht. Stattdessen müsste jetzt die JxCat-ERC-Mehrheit im Regionalparlament einen Nachfolger für Torra wählen, was sie aber auch nicht will.
Die Separatisten geben sich störrisch. Sie halten Torras Absetzung für eine „Justiz-Attacke“, eine „Unterdrückung der Unabhängigkeitsbewegung“, „eines demokratischen Systems unwürdig“. Sie wollen nicht anerkennen, dass sich ein gewählter Politiker an die Gesetze zu halten hat, die in diesem Fall vorsehen, dass ein Regierungsgebäude
in Wahlkampfzeiten nicht als Fassade für Propaganda dienen darf.
Der Oberste Gerichtshof hat das in seinem Urteil noch einmal zu erklären versucht: Torra besitze „als Bürger“alle Freiheit, seine „politische Identität“auszustellen – nur in der Ausübung seines Amtes als Ministerpräsident aller Katalanen unterliegt er gewissen Beschränkungen.
Revolution nicht in Sicht
Diesen Unterschied haben die katalanischen Separatisten nie verstanden. Sie sprechen von sich stets als von „den Katalanen“, als lehnte nicht mindestens die Hälfte der Katalanen die Sezession von Spanien ab. Für gestern Abend hatten verschiedene separatistische Bürgerinitiativen zu Protestdemonstrationen gegen die Amtsenthebung Torras vor den Rathäusern in ganz Katalonien aufgerufen. Er selbst hielt eine Abschiedsrede im katalanischen Regierungspalast, der in diesem Moment schon nicht mehr seiner war. Er rief zum „demokratischen Bruch“mit Spanien auf, danach erwähnte er Neuwahlen. Es klang nicht nach dem Aufruf zu einer Revolution.
Die Separatisten halten Torras Absetzung für eine „Justiz-Attacke“.