Die Eine-Million-Jahre-Frage
Deutschland sucht neu nach einem Atommüll-Endlager – und sofort flammt der alte Streit auf
Markus Söder hat es gewusst. Deshalb sagt Bayerns Ministerpräsident ein für Montagmorgen vereinbartes Radio-Interview wieder ab – und schickt seinen Vize vor, Hubert Aiwanger. Üblicherweise lässt der CSU-Vorsitzende und gar nicht geheime Geheimfavorit für den Job des Unions-Kanzlerkandidaten keine Gelegenheit aus, Deutschland seine Meinung zu sagen. Aber das Thema, das an diesem Tag die Republik beschäftigt, ist heikel.
Für die CSU ganz besonders. Sie hat zum Atommüll eine spezielle Beziehung. In den Achtzigern wollte Franz Josef Strauß in Wackersdorf an der Grenze zur damaligen Tschechoslowakei eine Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) für Brennstäbe aus Kernreaktoren bauen. Nicht nur die Wackersdorfer, die ganze Oberpfalz war dagegen – Strauß ließ den Protest mit Reizgas und Wasserwerfern kontern. In Nürnberg, keine hundert Kilometer entfernt, schlief der Teenager Markus Söder unter einem Strauß-Porträt.
Die WAA wurde dann doch nicht gebaut; im Herbst 1988 beschloss Strauß’ Nachfolger Max Streibl ihr Aus. Das FJS-Poster hing weiter über dem Bett – Söder aber ging irgendwann auf Distanz zu seinem Idol. Als Angela Merkel 2011 nach dem Fukushima-GAU plötzlich den Atomstrom gefährlich fand – da wollte der zum Umweltminister in München Avancierte noch rascher abschalten als sie. Und nun, vierzig Jahre nach dem Ende der WAA, will er nicht einmal mehr Atommüll in Bayern.
Aber die beim AKW-Schluss im Jahr 2022 insgesamt 1 900 Castoren–Behälter mit jeweils gut 5,5 Tonnen hoch radioaktivem Abfall
– müssen irgendwo hin. Aktuell stehen sie in Zwischenlagern; meist Hallen bei den Atomkraftwerken (AKW), die nicht speziell gesichert sind. Aiwanger: „Wenn da ein Flugzeug draufknallt, dann ist sich keiner so sicher, was da passiert.“Sie sollen möglichst schnell in ein unterirdisches Endlager.
Endlagersuche beginnt 2013 noch mal bei Null
Es gibt schon eines. Nur ist es nie in Betrieb gegangen. Wie Wackersdorf gehört Gorleben zur deutschen Protestgeschichte. Die Salzstöcke im niedersächsischen Wendland wurden 1977 nicht aufgrund ihrer besonderen Eignung gewählt; wie Wackersdorf war die Entscheidung politisch. Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) – Vater von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – konkurrierte mit Strauß um die Kanzlerkandidatur 1980. Und hoffte, die Nähe zu Atomenergie und -konzernen würde ihn modern erscheinen lassen.
Die Kämpfe um Gorleben sind Legende. Aber nicht einmal der
Nachweis politischen Drucks aus Bonn in den frühen Kohl-Jahren – erbracht erst 2010 – stoppt das Projekt. Erst Merkels Sinneswandel führt zu neuem Nachdenken. 2013 verabschiedet der Bundestag das „Standortauswahlgesetz“; nach drei Jahren Arbeit empfiehlt eine Kommission eine Suche in drei Phasen mit Start bei Null. Und umfassender Bürgerbeteiligung. Ziel: Sicherheit für eine Million Jahre.
Nach weiteren vier Jahren gibt es nun einen „Zwischenbericht“: Welche „Teilgebiete“Deutschlands ganz grundsätzlich nicht geeignet sind, an ein Endlager nur zu denken. Und welche schon. Die 2016 gegründete Bundesgesellschaft für Endlagerung (BEG) zählt zu ersteren, nach Prüfung geologischer Daten – Gorleben. Und zu letzteren 54 Prozent Deutschlands. Dabei: weite Teile Bayerns. Dreimal sagt der Vorsitzende BEG-Geschäftsführer Stefan Studt: „Ein Teilgebiet ist noch lange kein Endlager-Standort.“Außerdem erklärt er, weshalb Gorleben geologisch nicht in Frage kommt. Und betont: „Es gibt keine politische Einflussnahme; wir arbeiten rein fachlich.“Hat es jemand versucht? „Nein“, sagt Studt.
Bayern sind erbost über das Gorleben-Aus
Falls das so war – keine drei Stunden später ist es damit vorbei. In München geht Söder vor die Kameras und zürnt, dass die BEG „jede Antwort schuldig geblieben sei“, weshalb Gorleben raus ist. „Der besterkundete Standort“jammert er. Es gehe um „Fairness“, aber – und vor lauter demonstrativer Entrüstung rutscht Söder Richtung Dialekt – er erkenne allein „das Motto: Jetz’ geh’m mers den Bayern mal“. Und weil Geld fast immer zieht, erinnert er an die in Gorleben versenkten Steuermilliarden.
Nicht, dass Bayern 2017 dem Verfahren nicht zugestimmt hätte. 2018 aber hat Söder in den Koalitionsvertrag mit Hubert Aiwangers Freien Wählern geschrieben: „Wir sind überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlager ist.“Seine 15 Kollegen halten das für mindestens dreist.
2031 soll der Standort gefunden, 2050 Betriebsstart sein. Experten halten 2100 für realistisch. Und was prophezeit Aiwanger am Morgen, ganz Stimme seines Regierungschefs? „Die Niedersachsen hatten bis jetzt das Ding an der Backe.“Und nun werde „jedes Bundesland sagen: Ich bin ungeeignet.“