„Schlimmer als in Jugoslawien“
Der Politologe Grant Mikaeljan über den Hintergrund der Kämpfe in Berg-Karabach
Grant Mikaeljan, Politologe am Kaukasus-Institut in der armenischen Hauptstadt Jerewan, spricht im Interview über die Ursprünge und die möglichen Folgen der Kämpfe in Berg Karabach.
Grant Mikaeljan, was passiert gerade in Berg-Karabach?
Die Mehrheit der Armenier glaubt, dass dort wieder Krieg herrscht. Aber wir wissen nicht, welches Ausmaß die Kämpfe haben. Und wie lange sie dauern werden. Es sind aber die heftigsten Zusammenstöße seit 1994.
Der Konflikt hat schon vor dem Jugoslawien-Krieg begonnen.
Noch immer ist kein Ende abzusehen …
Die Feindschaft ist schlimmer als in Jugoslawien. Es gab in Berg-Karabach schon 1905 und von 1919 bis 1920 Kämpfe, ehe die Sowjettruppen Karabach besetzten und den Krieg beendeten. Aber nach dem Ende der Sowjetunion brach der Konflikt 1988 wieder politisch aus, militärisch eskalierte er 1992.
Die Armenier sind Christen, die Aserbaidschaner Muslime. Ist es ein Religionskrieg?
Im Gegensatz zum JugoslawienKrieg ist der religiöse Faktor nicht maßgeblich. Schwerer wiegen geschichtliche Momente, wie die armenischen Erinnerungen an den Konflikt mit der Türkei, einschließlich des osmanischen Genozids an den Armeniern.
Und wie ist das Verhältnis Ihres Volkes zu den Aserbaidschanern?
Die Beziehungen sind praktisch ruiniert, so dürfen Personen mit armenischem Namen nicht nach Aserbaidschan einreisen. In den vergangenen 25 Jahren sind Generationen aufgewachsen, die sich nicht mehr kennen. Und seit Jahrzehnten werden sie mit Propaganda bearbeitet.
Sehen Sie eine friedliche Lösung?
Zurzeit scheint die Wiedereinfrierung des Konfliktes am realistischsten zu sein. Die Zugeständnisse, zu denen beide Seiten bereit sind, schließen sich gegenseitig aus. Aserbaidschan sagt, das Problem sei nur im Rahmen der eigenen territorialen Unversehrtheit zu lösen. Die armenische Seite meint, Resultat der Verhandlungen müsse eine unabhängige Republik Berg-Karabach sein. Das Ergebnis der jetzigen Kämpfe werden neue vorläufige Vereinbarungen wie 1992 oder 1994 sein. Oder eine Lage, in der Waffenruhe nur dort herrscht, wo das Kräfteverhältnis an der Front es zulässt.