Mickey Mouse zum Erfolg verdammt
Der Luxemburg-Start von Disney+ kommt zu einem kritischen Zeitpunkt für den Konzern
Für 6,99 Euro im Monat erhalten Zuschauer aus dem Großherzogtum seit Mitte September Zutritt zum „Magic Kingdom“. Denn Disney geht nun auch hierzulande mit seinem Streaming Dienst Disney+ an den Start. Cineasten erhalten mit dem Abonnement Zugriff auf über 700 Filme und 160 Serien, darunter einige der größten Blockbuster der Kinogeschichte und einige eigens für den Dienst produzierte Inhalte wie das Star Wars Spin-Off „The Mandalorian“, das im Oktober mit Staffel 2 in die nächste Runde geht.
Nachdem der Mickey-MouseKonzern in anderen europäischen Märkte wie Deutschland bereits im März mit seinen Online-Angebot an den Start ging, betritt Disney nun endlich auch im Großherzogtum den heiß umkämpften Markt der Streaming-Dienste, in dem die Platzhirsche wie Amazon und Netflix sowie der andere Newcomer AppleTV+ um die Aufmerksamkeit und die Geldbeutel der Zuschauer ringen.
Großer Vorrat an Blockbustern
Auf dem Papier verfügt Disney über eine ausgezeichnete Ausgangsposition, um sich rasch Marktanteile zu sichern. Denn der Konzern kann auf einen riesigen Katalog an Blockbustern zurückgreifen. Neben den zahlreichen Klassikern der Familienunterhaltung, die Disney seit der Gründung 1923 produziert hat, hält das Unternehmen auch die Rechte an den Comicverfilmungen aus dem Hause Marvel, der StarWars-Reihe, und den Animationsfilmen von Pixar.
So befinden sich die Rechte von acht der zehn erfolgreichsten Filme aller Zeiten in der Hand des Mickey-Mouse-Konzerns, ebenso wie sieben der zehn meistgesehenen Filme im vergangenen Jahr.
Angesichts dieses Katalogs und des Kampfpreises von 6,99 Euro ist es daher nicht verwunderlich, dass der weltweite Start der neuen Streaming-Plattform überaus erfolgreich war. Bei der Anlegerkonferenz zu den Quartalsergebnissen Anfang August verkündete Unternehmensleiter Bob Chapek, dass Disney+ weltweit mehr als 60,5 Millionen Abonnenten seit dem Start des Service im November 2019 gewonnen hat – eine Marke, für die Konkurrent Netflix viele Jahre gebraucht hat.
Damit könnte man annehmen, dass Disney unter Chapek die Erfolgswelle fortsetzt, auf der sein Vorgänger Bob Iger geritten war. Unter Iger hatte sich der Aktienkurs des Konzerns, beflügelt durch immer neue spektakuläre Zukäufe, in 14 Jahren verfünffacht.
Eines der Erfolgsgeheimnisse des Mickey- Mouse-Konzerns war, dass er nicht nur Kassenknüller am Fließband produzierte, sondern auch die anschließende Verwertungskette der Hits perfektionierte – Luke Skywalker lockte die Zuschauer nicht nur ins Kino, sondern fand auch über Bettwäsche, Lego und Kostüme Eingang in viele Kinderzimmer. Schließlich trugen die weltweiten Themenparks einen ordentlichen Batzen zum
Umsatz des Konzerns bei. Aber jetzt ist es gerade diese breite Aufstellung, die den Konzern ins Trudeln bringt. Die weltweite CoronaPandemie setzt dem Unternehmen an allen Fronten zu.
Im zweiten Quartal haben die Einschränkungen und Lockdowns dafür gesorgt, dass beinahe keines der Geschäftsfelder wie gewohnt lief. Aufgrund der Hygieneregeln und der Zurückhaltung der Konsumenten, brach nicht nur das Kinogeschäft ein, sondern auch die Einnahmen aus den Merchandisinggeschäften.
Die CoronaPandemie setzt Disney auf allen Geschäftsfeldern zu.
Enttäuschende Einnahmen
Hatten sich zum Beispiel die Macher des Animationsfilms „Onward“ursprünglich Kinoeinnahmen von 500 Millionen US-Dollar versprochen, spielte der Streifen bisher gerade mal 135 Millionen Dollar ein. Andere zuverlässige Einnahmequellen wie der Sportsender ESPN litten unter der pandemiebedingten Verschiebung verschiedener sportlicher Großereignisse. Am schlimmsten trafen die Lockdowns aber die Themenparks und Freizeitressorts, die 2019 immerhin ein Drittel der Gewinne des Konzerns ausgemacht hatten. Die sechs Themenparks und vier Kreuzfahrtschiffe mussten teilweise schließen oder liefen weit unter der üblichen Auslastung. Allein in diesem Segment verlor der Konzern im Jahresvergleich 85 Prozent der Einnahmen im Vergleich zum Vorjahr.
So kann es nicht verwundern, dass der Gewinn des Konzerns insgesamt im ersten Quartal 2020 um 93 Prozent im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen ist. Für das zweite Quartal musste Disney sogar einen Verlust von fast fünf Milliarden Dollar melden. Entsprechend hat die Firma die Zahlung von Dividenden fürs erste eingestellt. Dieser unverschuldete Einbruch trifft auf eine Firmenstruktur, die in den vergangenen vor allem auf Wachstum und Gewinn von Marktanteilen um jeden Preis ausgelegt war.
Wachstum auf Pump
Die aufsehenerregenden Übernahmen der vergangenen Jahre waren zum Teil über Schulden finanziert. So zahlte Disney 2019 allein 71,3 Milliarden US-Dollar (62,8 Milliarden Euro) für den Rivalen 21st Century Fox.
So hatte der Konzern, von dem im Rahmen der LuxLeaks-Affäre bekannt wurde, dass er lange Jahre aus steuerlichen Gründen Gewinne über eine luxemburgische Holding laufen ließ, bereits Ende letzten Jahres einen Schuldenberg von 47 Milliarden Dollar angehäuft. In diesem Jahr nahm der Konzern noch mal zusätzliche Verbindlichkeiten in Höhe von sechs Milliarden Dollar auf.
In dieser schwierigen Situation, deren Ende noch nicht abzusehen ist, liegen die Hoffnungen des Konzerns auf dem Erfolg des Streaming-Dienstes. Zusammen mit mit den anderen Online-Angeboten des Konzerns Hulu und ESPN kommt Disney inzwischen auf knapp über 100 Millionen Abonnenten und schließt damit zum Konkurrenten Netflix mit 193 Millionen Kunden auf.
Die ersten Zahlen sind ermutigend, aber auch hier sind auf absehbare Zeit keine Gewinne zu erwarten. Wie am Anfang nicht anders zu erwarten, macht der neue Dienst aufgrund des hohen Investments im Aufbau der Infrastruktur und Marketing Verluste.
Zwar sind die Umsätze seit dem letzten Jahr von 1,1 Milliarden auf 4,1 Milliarden Dollar gestiegen, aber das Segment „Direct-to-Consumer & International“, zu dem Disney+ gehört, meldete im ersten Quartal einen Verlust von 812 Millionen Dollar. Im letzten Quartal kamen noch mal 706 Millionen Dollar hinzu. Um schnell profitabel zu werden, muss die Streaming-Sparte nicht nur weitere Kunden hinzugewinnen, sondern auch verhindern, dass Kunden abspringen, die aufgrund der Wirtschaftskrise den Gürtel enger schnallen müssen oder sich im Lockdown schon durch den ganzen Katalog „gebinged“haben.
Zu den wirtschaftlichen Problemen gesellt sich bei Disney politischer Druck. Der Konzern wird scharf kritisiert, weil im Abspann seines letzten Blockbusters Mulan der Regierung der chinesischen Provinz Xinjiang gedankt wird, wo der Film teilweise gedreht wurde. In der Region werden seit einigen Jahren Mitglieder der muslimischen Minderheit der Uiguren in „Umerziehungslagern“interniert. Aktivisten riefen zum Boykott des Films und von Disney auf.
Wenn sich die wirtschaftliche Situation bei Disney nicht schnell bessert, könnte der Konzern bald selbst zu einem Übernahmeziel werden. Als potenziellen Interessenten sehen viele Analysten den Konkurrenten Apple mit seiner prall gefüllten Kriegskasse von über 200 Milliarden Dollar – zwischenzeitlich war der Börsenwert Disneys auf etwa 180 Milliarden Dollar gesunken. Apple versucht bekanntlich ebenso, im Streamingdienst Fuß zu fassen. Da Apple kaum über eigene Inhalte verfügt, wäre die Maus ein gefundenes Fressen für den Technologieriesen.