ArcelorMittal versucht Befreiungsschlag
Stahlhersteller trennt sich von US-Geschäft und plant nun Aktienrückkaufprogramm
Gelingt dem angeschlagenen Stahlkonzern ArcelorMittal der Befreiungsschlag oder verscherbelt er aus Not gerade das Tafelsilber? Diese Frage stellten sich Aktionäre und Analysten gestern, nachdem bekannt geworden war, dass das Unternehmen sich von seinem US-Geschäft trennt. Der Konzern gab den Verkauf seiner Anteile an das amerikanische Unternehmen Cleveland-Cliffs Inc. für etwa 1,4 Milliarden US-Dollar in einer Pressemitteilung bekannt. Etwa ein Drittel der vereinbarten Kaufsumme (etwa 505 Millionen Dollar) erhält der Stahlproduzent in Cash.
Für den Rest der Kaufsumme erwirbt ArcelorMittal Anteile an seinem amerikanischen Konkurrenten. Zusätzlich übernimmt Cleveland-Cliffs gemäß der Übereinkunft Verbindlichkeiten in Form von beispielsweise Rentenansprüchen von ArcelorMittal in Höhe von etwa 1,5 Milliarden Dollar.
Erhoffte Synergieeffekte
In der Unternehmensmitteilung hebt ArcelorMittal die Vorteile hervor, die der Deal mit sich bringe. Die Verschmelzung des Amerikageschäfts des Luxemburger Stahlherstellers mit dem US-Konkurrenten berge große Synergieund Einsparpotenziale, zum Beispiel durch eine gemeinsame Verwaltung, im Einkauf von Rohmaterialien und mit einem Effizienzgewinn in der Lieferkette.
Diese angenommenen positiven Effekte bezifferte das Unternehmen auf jährlich 150 Millionen Dollar. Durch die neu erworbenen Anteile werde auch ArcelorMittal von diesen Synergien profitieren, so das Unternehmen. Der amerikanische Arm ArcelorMittals hat etwa 18 000 Mitarbeiter an 25 Standorten und produzierte 2019 etwa 12,9 Millionen Tonnen Stahl bei einem Umsatz von 9,9 Milliarden Dollar.
Trotz des Verkaufs will der weltweit größte Stahlproduzent weiterhin den nordamerikanischen Markt bedienen. Allerdings von seinen Niederlassungen in Kanada, Mexiko und dem verbliebenen US-amerikanischen Werk in Calvert. Erst Mitte August hatte ArcelorMittal verkündet, dass es am Standort Calvert einen neuen Elektrolichtbogenofen mit einer jährlichen Kapazität von 1,5 Millionen Tonnen Stahlplatten errichten werde.
In Nordamerika sei besonders der mexikanische Zweig konkurrenzfähig, da die dortigen Produktionskosten vergleichsweise niedrig seien. Ebenso will ArcelorMittal seine Innovationszentren in den USA beibehalten. Cleveland-Cliffs setzt indes seine Einkaufstour in Nordamerika fort, nachdem das Unternehmen bereits im März den US-Konkurrenten AK Steel für drei Milliarden Dollar geschluckt hatte.
Aktienrückkaufprogramm
Mit dem Geschäft will ArcelorMittal auch die Gunst der Anleger wiedergewinnen. Zum einen habe sich das Risikoprofil der Gruppe mit der Übertragung der Rentenansprüche verbessert, so das Unternehmen.
Zum anderen kündigt der Konzern an, die erzielten 500 Millionen Dollar komplett in ein Aktienrückkaufprogramm zu stecken, was den Wert der Anteile für die bestehenden Aktionäre erhöht. „Diese Transaktion ist eine einzigartige Gelegenheit für ArcelorMittal, einen bedeutenden Wert für die Aktionäre zu erschließen und gleichzeitig das Engagement in der nordamerikanischen Wirtschaft (...) aufrechtzuerhalten und an einem stärkeren, besser integrierten US-Geschäft teilzuhaben“, kommentierte Konzernchef Lakshmi Mittal das Geschäft.
Die Börse reagierte sofort positiv auf die Ankündigung: Die Aktien des Stahlproduzenten schossen gestern um etwa acht Prozent nach oben. Die Verluste der letzten Woche konnte der Konzern aber nicht wettmachen, als Sorgen um die konjunkturelle Erholung die Anteile von Stahlherstellern abstürzen ließen.
Krise der Stahlbranche
Wie andere europäische Stahlhersteller auch, durchlebt ArcelorMittal gerade eine tiefe Krise. Zu den strukturellen Problemen der Branche, wie den zu großen Produktionskapazitäten, hohen Ausgaben zur Reduzierung der Emissionen und der Billigkonkurrenz aus Fernost, gesellen sich die konjunkturellen Probleme durch die Corona-Krise. Erst Mitte des Monats hatte der Konzern ein Sparprogramm angekündigt, das in Luxemburg bis zu 570 Arbeitsplätze kosten würde, davon zwei Drittel in der Produktion, der Rest bei der Verwaltung. Allein in den Monaten April bis Juni machte der Betrieb Verluste in Höhe von 559 Millionen US-Dollar. Im Vorjahr stand bereits ein Fehlbetrag von 447 Millionen Dollar zu Buche. Schulden von knapp acht Milliarden Dollar zwingen den Konzern, sich von Vermögenswerten zu trennen.
Bereits im Juni hatte etwa die Financial Times berichtet, ArcelorMittal prüfe, einige seiner Anlagen in Nordamerika zu verkaufen. Dabei ging es aber um einen möglichen Verkauf kanadischer Vermögenswerte.