Britischer Firmen-Run auf Holland
Dem Brexit folgt der Exit: 400 Unternehmen wollen von der Insel in die Niederlande umziehen
Mitten in der Corona-Krise knallen bei der niederländischen Agentur für Auslandsinvestitionen, der „Netherlands Foreign Investment Agency (NFIA)“, die Champagnerkorken. Die NFIA ist in Feierlaune, da immer mehr britische Firmen sich für den Standort Niederlande interessieren und in Holland eine Niederlassung gründen wollen oder schon gegründet haben.
Denn die Zeit drängt. Die Briten haben zwar zum 1. Februar dieses Jahres die EU verlassen, aber bis Ende dieses Jahres gibt es noch eine Übergangsfrist und ist das Vereinigte Königreich noch Mitglied der EU-Handels- und Zollunion. Darum ist es für britische Firmen bis Ende Dezember noch relativ einfach, eine Niederlassung in einem EU-Land zu gründen – oder gar ihren Hauptsitz in ein EU-Land zu verlegen.
Die Niederlande sind der Ort der Begierde für britische Unternehmen. „Derzeit verhandeln wir mit 400 britischen Firmen, die sich in den Niederlanden noch in diesem Jahr niederlassen wollen“, freut sich der NFIA-Direktor Michiel Bakhuizen. „Wir erwarten, dass sich die Anfragen aus Großbritannien für einen Firmensitz in den Niederlanden bis zum Jahresende noch deutlich erhöhen werden“, so Bakhuizen weiter. „Denn der Zeitdruck wächst. Immer mehr britische Unternehmen fürchten auch, dass es einen harten Brexit ohne geregelten Austrittsvertrag mit der EU geben wird.“
Attraktiver Markt
Die EU ist auch nach dem Brexit weiter attraktiv. Sie bietet immerhin einen Absatzmarkt mit 446 Millionen Verbrauchern. Der britische Markt zählt nur 66 Millionen Konsumenten. Außerdem hat Großbritannien bisher nur mit wenigen Ländern ein bilaterales Handelsabkommen, das die Briten so sehnlichst anstreben, damit ihre durch die Corona-Krise ohnehin schon stark geschwächte Wirtschaft nicht völlig kollabiert. „Die Niederlande sind für die Briten ein attraktiver Standort. Wir sind nah, wir haben gute Verkehrsverbindungen mit der britischen Insel, per Schiff, per Flugzeug und per Zug. Außerdem sprechen die meisten Niederländer Englisch. Es sind vor allem britische Betriebe aus der Gesundheitstechnologie, der Informationstechnologie, Medienunternehmen und Firmen aus der Finanzbranche, die sich hier in den Niederlanden niederlassen wollen“, weiß Bakuizen.
So ist beispielsweise die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) schon dabei, ihren Hauptsitz von London nach Amsterdam zu verlegen. Die EMA beschäftigt 900 festangestellte Mitarbeiter und empfängt als medizinische Aufsichtsbehörde der EU jährlich bis zu 40 000 Besucher. Der Umzug der EMA von London nach Amsterdam erfreut daher auch die Amsterdamer Hotels und die dortige Gastronomie. Außerdem: Die EMA wirkt auf viele Pharmaunternehmen wie ein Magnet.
So hat der französische Pharmakonzern Sanofi angekündigt, seine Europazentrale direkt neben dem neuen Gebäude der EMA im Südosten der niederländischen Hauptstadt aufzubauen. Sanofi hat in Amsterdam das Health Tech Center errichtet, in der auch die Sanofi-Tochter Genzyme (500 Mitarbeiter) ihren europäischen Hauptsitz hat.
Tausende neue Arbeitsplätze
Auch der Schweizer Pharmakonzern Novarits kommt deshalb nun nach Amsterdam. Er wird seine bisherige Holland-Dependance (400 Mitarbeiter) von Arnheim nach Amsterdam verlegen, kündigte Novartis an. Nach Amsterdam kommen ferner die US-Pharmakonzerne
Kyte Pharma und Alnylam. Sie befinden sich in bester Gesellschaft. Denn auch die US Food and Drugs Agency, der amerikanische Gegenpol der europäischen EMA, wird eine Niederlassung in Amsterdam eröffnen.
In den Niederlanden sind nach Angaben des Zentralamts für Statistik „Centraal Bureau voor de Statistiek CBS“bereits 1 400 britische Unternehmen aktiv. Sie schaffen 122 000 Arbeitsplätze und generieren einen Umsatz von 58 Milliarden Euro jährlich.
Allein in 2019 haben schon 140 neue britische Unternehmen eine Niederlassung in den Niederlanden eröffnet. „Sie haben hunderte von Millionen investiert und bereits 4 200 neue Arbeitsplätze geschaffen. Es sind alles ,BrexitFlüchtlinge“, stellt NFIA-Chef Bakhuizen fest.