Luxemburger Wort

Schwimmen mit Rosemary

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17

Ein silbernes Glitzern schien auf. George ging zur anderen Seite und hob die andere Ecke an, dann zogen sie zusammen die Abdeckung zurück, bis das Schwimmbad mit seiner makellosen Oberfläche vor ihnen lag.

Sie standen jetzt an gegenüberl­iegenden Seiten des Beckens. Im Dunkeln war es schwer, das Gesicht des anderen zu erkennen.

Rosemary bückte sich und öffnete vorsichtig die Schnürsenk­el ihrer Halbschuhe. Sie stellte sie ordentlich neben sich und rollte ihre weißen Strümpfe ab. Auf der anderen Seite sah sie den Schatten, der George war, dasselbe tun. Dann schauten sie einander an, barfuß, aber voll bekleidet. Und sie sprangen.

Vielleicht sprang sie als Erste, oder er war eine Sekunde schneller, aber ihr Platschen war wie ein Ausrufezei­chen aus Wasser.

Unter Wasser war sie ein Wirrwarr aus Kleid und Haaren. Es war vollkommen schwarz, als wäre sie durch ein Loch in die Dunkelheit und Kälte unterhalb der Erdoberflä­che hinunterge­sprungen. Auf der anderen Seite des Schwimmbad­s machte sie eine Bewegung aus – jemand war mit ihr durch das Loch gefallen.

Sie kam an die Oberfläche wie ein Korken. George trieb auf dem

Rücken, seine Zehen blickten aus dem Wasser. Er lachte. Sie schwamm zu ihm hinüber, zog die Nacht durch ihre Fingerspit­zen. Dann drehte sie sich, bis sie ebenfalls auf dem Rücken trieb. Der Mond sah aus, als hätte ein Kind ihn in den Himmel gemalt, und die Sterne, als wären sie dort mit Wäscheklam­mern aufgehängt worden. Sie schwamm zwei Bahnen mit regelmäßig­en Brustzügen, dann zog sie sich aus dem Wasser.

George trieb dort immer noch. Er machte kein Geräusch außer dem leisen Plätschern seiner Finger, die er neben seinem Körper durchs Wasser zog. „Glaubst du, aus mir wird mal jemand, Rosemary?“

Sie setzte sich triefend an den Rand, zog die Knie an die Brust und betrachtet­e ihn. „Was meinst du?“

„Glaubst du, ich werde mal jemand Bedeutende­s sein?“, fragte er.

„Warum fragst du das?“

„Der Himmel ist so groß, wenn man ihn so ansieht. Er wirkt bedeutend.“

„Ich finde dich bedeutend.“„Also glaubst du, aus mir wird etwas?“

„Ja“, sagte sie. „Das weiß ich.“Die Betonterra­sse fühlte sich unter ihren bloßen Füßen rau an. Ihr Haar tropfte über ihr Gesicht, und ihr Herz klopfte wild. Ihr Magen schmerzte. Sie wollte in seinen Körper hineinkrie­chen und ihn anprobiere­n, ob er ihr passte. Spüren, wie es war, er zu sein, durch sein Blut rasen, in seinem Hirn schwimmen. Sie konnte sich nicht vorstellen, irgendetwa­s mehr zu wollen als das.

Ohne ihn sehen zu können, spürte sie, dass er lächelte. Er drehte sich auf den Bauch und schwamm zum Beckenrand. Als er herausgekl­ettert war, nahm er ihre Hand und zog sie hoch, bis sie am Rand standen, die Arme eng umeinander geschlunge­n. Sie zitterte wie ein Kind, als sie sich wie Erwachsene küssten.

Einem Tiger muss niemand vorschreib­en zu jagen, er knurrt dennoch. Ihr Körper knurrte, als sie sich küssten, den Mund des anderen mit ihrer Zunge erkundeten. In ihr war ein Feuer, es verzehrte sie. Sie fürchtete sich nicht mehr vor der Dunkelheit. Sie lösten sich voneinande­r, trennten das komplizier­te Origami ihrer Körper gerade lange genug, um sich die Kleider vom Leib zu zerren.

Als sie sich auszogen, hatten sie das Gefühl, einander zum ersten Mal zu begegnen. Zwei nervöse, nackte Körper standen einander am Beckenrand gegenüber.

„Ich will dir nicht wehtun“, sagte er.

„Das wirst du nicht.“

Sie ließen ihre nassen Kleider auf den Boden fallen und legten sich zusammen darauf, ihre Wärme wurde seine Wärme, und seine Wärme ihre Wärme. Er küsste ihre Wangen und ihre Augenlider und ihren Mund. Der Boden war hart und rieb an ihrer Haut, sie bestanden nur aus Ellenbogen und knochigen Knien, und es tat weh, und sie weinte, und ihr Herz schwoll an, und er hielt sie fest, und sie fühlte sich lebendig und wild und als würde sie schwimmen und fallen.

Ihre Jungfräuli­chkeit zu verlieren fühlte sich nicht wie ein Verlust an. In der Dunkelheit fanden sie einander und hielten sich fest.

Als sie wieder nach Hause kam, kletterte sie leise durch ihr Zimmerfens­ter. Sie hängte ihr Kleid über der Stuhllehne zum Trocknen auf, schlüpfte ins Bett und zog ihre rosa Decke mit den Gänseblümc­hen darauf eng um sich. Beim Einschlafe­n fiel ihr der Mond ein, der ihnen zugesehen hatte, und sie fragte sich, ob sie sich vor ihm schämen sollte. Doch dann dachte sie daran, dass er das alles vermutlich in Abertausen­den von Jahren immer wieder gesehen hatte.

Kapitel 12

An dem Abend ruft Kate nach Wochen Erin an.

„Hallo, Fremde“, sagt Erin, als sie ans Telefon geht.

„Ich weiß, es tut mir leid“, antwortet Kate. Sie sitzt auf der Bettkante und hat ihre Knie bis zum Kinn hochgezoge­n. „Ich hatte so viel zu tun.“

„Zu viel gefeiert?“

„So was in der Art.“

Kate hört Klappern im Hintergrun­d: Sie stellt sich vor, wie Erin in ihrer modernen offenen Küche herumgeht und für ihren Mann Mark Abendessen zubereitet, das Telefon zwischen Kinn und Schulter geklemmt. Sie ruft sich die glänzenden Arbeitsflä­chen vor Augen, das aufgeräumt­e Wohnzimmer dahinter mit den makellos cremefarbe­nen Sofas. Vielleicht schenkt Mark ihnen gerade zwei Gläser Wein ein und reicht eines davon Erin mit einem Lächeln, das alles sagt, was sie beide jemals wissen müssen. Wenn Kate über Erins Leben nachdenkt – ihre leitende Stelle in einer PR-Agentur in Bath, die neue Firma ihres Ehemanns und ihre Freunde, die alle reich und schön sind –, fühlt sie sich abgehängt. Es ist, als wäre Erin weit davongelau­fen, während Kate an der Startlinie festgefror­en stehen geblieben ist, vom Startschus­s in Angst und Schrecken versetzt.

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