Zum Schmusen berufen
Profikuschlerin Sandra Portz über die Kraft der Berührung in schwierigen Zeiten
Seit rund zwei Jahren bietet Sandra Portz in Bonneweg einen ungewöhnlichen Service an: Die 45-jährige Büroangestellte nimmt fremde Menschen in den Arm und kuschelt mit ihnen. Die Corona-Pandemie macht ihre Tätigkeit zwar umständlicher, stellt aber kein grundsätzliches Hindernis dar.
Sandra Portz, wie darf man sich eine Stunde bei Ihnen vorstellen?
Bevor der Kunde kommt, versetze ich die Luft mit ätherischen Ölen und dimme das Licht, um eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Wenn der Kunde dann da ist, findet beim ersten Mal ein Vorgespräch statt. Bis das vorüber ist, hat der Kunde auch noch immer die Möglichkeit zu gehen ohne zu bezahlen. Dann lade ich ihn ein, sich entspannt hinzulegen. Damit er ankommen kann, berühre ich ihn einmal sanft überall mit den Händen. So wie das auch oft vor einer Massage der Fall ist. Wenn der Kunde sich noch nicht traut, allzu viel Nähe zuzulassen, können wir anschließend auch erst einmal nur Händchen halten. Ansonsten reicht die Bandbreite an Berührungen von ganz fest und lange halten bis sanft streicheln.
Beim Berühren von Intimzonen ist für Sie aber Schluss …
Per E-Mail erkläre ich den Kunden vorab die Regeln, damit es diesbezüglich nicht zu Missverständnissen kommt. Dazu gibt es auch einen Vertrag. Das ist wichtig, weil sich gezeigt hat, dass vor allem männliche Kunden manchmal falsche Vorstellungen haben. So können schon viele unpassende Anfragen aussortiert werden.
Nun kann man seine Erregung ja nicht immer kontrollieren …
Ich hatte einmal einen älteren Herren als Kunden, für den es ganz schwierig war, Nähe zuzulassen. Er konnte das auch offen sagen. Er war konditioniert darauf, dass jegliche Berührung in die sexuelle Richtung geht. Er hat sich mir gegenüber total korrekt verhalten, aber er hat zugegeben, dass es für ihn schwierig ist, es dabei zu belassen. Für ihn war es einfach nicht das Richtige. Er stammt aus einer Generation, in der es nicht üblich war, als Kind lieb gestreichelt zu werden.
Schütten die Kunden auch ihr Herz bei Ihnen aus?
Sie dürfen natürlich jederzeit mit mir reden. Es darf auch gelacht und geweint werden, man darf Emotionen zeigen. Aber ich sage den Kunden vorab auch, dass ich keine Gesprächstherapeutin bin. Ich gebe keine Ratschläge. Aber ich kann zuhören und auf den Kunden eingehen.
Im März kam Corona. Ist Kuscheln, wie Sie es eigentlich anbieten, überhaupt noch möglich?
Ab da war’s erstmal vorbei. Wobei mein Fokus ohnehin eher auf dem Herbst liegt. In der Zwischenzeit hat sich nur ein Kunde bei mir gemeldet, damit ich ihm Bescheid gebe, sobald wieder Kuschelstunden ohne Maske möglich sind. Das wird aber wohl noch lange nicht der Fall sein. Laut „Santé“wird das Kuscheln wie jeder Gesundheitsberuf gehandhabt. Ich muss eine FFP2-Maske und der Kunde eine chirurgische Maske
tragen. Nach jedem Termin muss ich mich duschen und meine Kleidung und die Bezüge waschen. Außerdem soll der Raum vorab gut gelüftet und das Fenster während der Stunde offen sein.
Ich hätte es auch schlimm gefunden, wenn es verboten worden wäre. Wenn ein Mensch wirklich das Bedürfnis hat zu kuscheln und es sich nicht erfüllen kann, ist das sehr kontraproduktiv.
Was bewirkt Kuscheln denn?
Kuscheln ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Es wurde wissenschaftlich nachgewiesen, dass wir verkümmern, wenn wir nicht berührt werden – körperlich wie geistig. Man kann natürlich auch zur Massage gehen. Aber Kuscheln gibt ein Gefühl von Geborgenheit und Urvertrauen. Das Kuschelhormon Oxytocin wirkt stark beruhigend. Es hilft Ängste abzubauen, die ja in Zeiten wie diesen zugenommen haben.
Könnte man sich nicht einfach ein Haustier anschaffen?
Mit meinen Katzen ist das Kuscheln doch meist ziemlich einseitig. Ich glaube nicht, dass sich das Gefühl, die Körperwärme eines anderen Menschen zu spüren, so einfach ersetzen lässt.
Wie kamen Sie überhaupt darauf, Profikuschlerin zu werden?
Als ich im Juni 2018 auf Facebook einen kleinen Clip über eine Kuschlerin aus England gesehen habe, wusste ich sofort: Das will ich machen! Ein Bekannter hat mich dann auch auf einen „Wort“Artikel über die Luxemburgerin Elisa Meyer aufmerksam gemacht, die in Leipzig die Kuschelkiste aufgebaut hat. Kurz darauf fuhr ich mit einer Fahrgemeinschaft zu einem Tanzevent. Plötzlich erzählte ein Mann, dass seine Tochter Kuschelservice anbietet. Da war das der Vater von Elisa Meyer – das konnte doch echt kein Zufall sein! Drei Monate später war ich dann startklar.
Es darf auch gelacht und geweint werden, man darf Emotionen zeigen.
Wenn ein Mensch das Bedürfnis hat zu kuscheln und es sich nicht erfüllen kann, ist das sehr kontraproduktiv.
Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass Sie einen besonderen Bezug zum Kuscheln haben?
Ich habe zehn Jahre lang Körpertherapie gemacht, wo es ja darum geht, mit seinem Körper und anderen in Berührung zu kommen. Da habe ich zum ersten Mal bemerkt, wie heilsam das ist – wie es mir hilft meine chronischen Schmerzen und meine Depressionen zu lindern. Und immer wenn ich in dem Kontext irgendwohin gegangen bin, war ich es, die in der Pause mit irgendjemandem gekuschelt hat. Damals dachte ich mir schon, dass ich eigentlich eine geborene Kuschlerin bin.
Wie geht Ihr Mann mit Ihrer Berufung um?
Er kennt sich auch ein wenig mit Körperarbeit aus und hat Verständnis dafür. Wir waren auch schon gemeinsam auf Kuschelpartys, als ich beschlossen habe, Kuschlerin zu werden. Von daher weiß er, was Kuscheln bedeutet.
Bei Kuschelpartys ist die Berührungsangst der Menschen vielleicht nicht so groß, oder?
Es ist anders. Wer eine Kuschelparty besucht, läuft immer Gefahr, leer auszugehen, weil es jedem frei steht, andere abzulehnen. Damit muss man umgehen können. Andererseits hat man die Chance die Gruppenenergie zu erleben, die ich alleine natürlich nicht bieten kann.
Wie wird Ihr Angebot in Luxemburg angenommen?
Es gibt noch viel Luft nach oben. Davon leben könnte ich auf jeden Fall nicht. Ich habe vielleicht ein bis zwei Kunden pro Monat. In Bezug auf Corona muss also auf jeden Fall niemand Angst haben, dass sich die Wege der Kunden kreuzen könnten. (lacht)