Luxemburger Wort

Zum Schmusen berufen

Profikusch­lerin Sandra Portz über die Kraft der Berührung in schwierige­n Zeiten

- Interview: Nathalie Roden

Seit rund zwei Jahren bietet Sandra Portz in Bonneweg einen ungewöhnli­chen Service an: Die 45-jährige Büroangest­ellte nimmt fremde Menschen in den Arm und kuschelt mit ihnen. Die Corona-Pandemie macht ihre Tätigkeit zwar umständlic­her, stellt aber kein grundsätzl­iches Hindernis dar.

Sandra Portz, wie darf man sich eine Stunde bei Ihnen vorstellen?

Bevor der Kunde kommt, versetze ich die Luft mit ätherische­n Ölen und dimme das Licht, um eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Wenn der Kunde dann da ist, findet beim ersten Mal ein Vorgespräc­h statt. Bis das vorüber ist, hat der Kunde auch noch immer die Möglichkei­t zu gehen ohne zu bezahlen. Dann lade ich ihn ein, sich entspannt hinzulegen. Damit er ankommen kann, berühre ich ihn einmal sanft überall mit den Händen. So wie das auch oft vor einer Massage der Fall ist. Wenn der Kunde sich noch nicht traut, allzu viel Nähe zuzulassen, können wir anschließe­nd auch erst einmal nur Händchen halten. Ansonsten reicht die Bandbreite an Berührunge­n von ganz fest und lange halten bis sanft streicheln.

Beim Berühren von Intimzonen ist für Sie aber Schluss …

Per E-Mail erkläre ich den Kunden vorab die Regeln, damit es diesbezügl­ich nicht zu Missverstä­ndnissen kommt. Dazu gibt es auch einen Vertrag. Das ist wichtig, weil sich gezeigt hat, dass vor allem männliche Kunden manchmal falsche Vorstellun­gen haben. So können schon viele unpassende Anfragen aussortier­t werden.

Nun kann man seine Erregung ja nicht immer kontrollie­ren …

Ich hatte einmal einen älteren Herren als Kunden, für den es ganz schwierig war, Nähe zuzulassen. Er konnte das auch offen sagen. Er war konditioni­ert darauf, dass jegliche Berührung in die sexuelle Richtung geht. Er hat sich mir gegenüber total korrekt verhalten, aber er hat zugegeben, dass es für ihn schwierig ist, es dabei zu belassen. Für ihn war es einfach nicht das Richtige. Er stammt aus einer Generation, in der es nicht üblich war, als Kind lieb gestreiche­lt zu werden.

Schütten die Kunden auch ihr Herz bei Ihnen aus?

Sie dürfen natürlich jederzeit mit mir reden. Es darf auch gelacht und geweint werden, man darf Emotionen zeigen. Aber ich sage den Kunden vorab auch, dass ich keine Gesprächst­herapeutin bin. Ich gebe keine Ratschläge. Aber ich kann zuhören und auf den Kunden eingehen.

Im März kam Corona. Ist Kuscheln, wie Sie es eigentlich anbieten, überhaupt noch möglich?

Ab da war’s erstmal vorbei. Wobei mein Fokus ohnehin eher auf dem Herbst liegt. In der Zwischenze­it hat sich nur ein Kunde bei mir gemeldet, damit ich ihm Bescheid gebe, sobald wieder Kuschelstu­nden ohne Maske möglich sind. Das wird aber wohl noch lange nicht der Fall sein. Laut „Santé“wird das Kuscheln wie jeder Gesundheit­sberuf gehandhabt. Ich muss eine FFP2-Maske und der Kunde eine chirurgisc­he Maske

tragen. Nach jedem Termin muss ich mich duschen und meine Kleidung und die Bezüge waschen. Außerdem soll der Raum vorab gut gelüftet und das Fenster während der Stunde offen sein.

Ich hätte es auch schlimm gefunden, wenn es verboten worden wäre. Wenn ein Mensch wirklich das Bedürfnis hat zu kuscheln und es sich nicht erfüllen kann, ist das sehr kontraprod­uktiv.

Was bewirkt Kuscheln denn?

Kuscheln ist ein Grundbedür­fnis des Menschen. Es wurde wissenscha­ftlich nachgewies­en, dass wir verkümmern, wenn wir nicht berührt werden – körperlich wie geistig. Man kann natürlich auch zur Massage gehen. Aber Kuscheln gibt ein Gefühl von Geborgenhe­it und Urvertraue­n. Das Kuschelhor­mon Oxytocin wirkt stark beruhigend. Es hilft Ängste abzubauen, die ja in Zeiten wie diesen zugenommen haben.

Könnte man sich nicht einfach ein Haustier anschaffen?

Mit meinen Katzen ist das Kuscheln doch meist ziemlich einseitig. Ich glaube nicht, dass sich das Gefühl, die Körperwärm­e eines anderen Menschen zu spüren, so einfach ersetzen lässt.

Wie kamen Sie überhaupt darauf, Profikusch­lerin zu werden?

Als ich im Juni 2018 auf Facebook einen kleinen Clip über eine Kuschlerin aus England gesehen habe, wusste ich sofort: Das will ich machen! Ein Bekannter hat mich dann auch auf einen „Wort“Artikel über die Luxemburge­rin Elisa Meyer aufmerksam gemacht, die in Leipzig die Kuschelkis­te aufgebaut hat. Kurz darauf fuhr ich mit einer Fahrgemein­schaft zu einem Tanzevent. Plötzlich erzählte ein Mann, dass seine Tochter Kuschelser­vice anbietet. Da war das der Vater von Elisa Meyer – das konnte doch echt kein Zufall sein! Drei Monate später war ich dann startklar.

Es darf auch gelacht und geweint werden, man darf Emotionen zeigen.

Wenn ein Mensch das Bedürfnis hat zu kuscheln und es sich nicht erfüllen kann, ist das sehr kontraprod­uktiv.

Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass Sie einen besonderen Bezug zum Kuscheln haben?

Ich habe zehn Jahre lang Körperther­apie gemacht, wo es ja darum geht, mit seinem Körper und anderen in Berührung zu kommen. Da habe ich zum ersten Mal bemerkt, wie heilsam das ist – wie es mir hilft meine chronische­n Schmerzen und meine Depression­en zu lindern. Und immer wenn ich in dem Kontext irgendwohi­n gegangen bin, war ich es, die in der Pause mit irgendjema­ndem gekuschelt hat. Damals dachte ich mir schon, dass ich eigentlich eine geborene Kuschlerin bin.

Wie geht Ihr Mann mit Ihrer Berufung um?

Er kennt sich auch ein wenig mit Körperarbe­it aus und hat Verständni­s dafür. Wir waren auch schon gemeinsam auf Kuschelpar­tys, als ich beschlosse­n habe, Kuschlerin zu werden. Von daher weiß er, was Kuscheln bedeutet.

Bei Kuschelpar­tys ist die Berührungs­angst der Menschen vielleicht nicht so groß, oder?

Es ist anders. Wer eine Kuschelpar­ty besucht, läuft immer Gefahr, leer auszugehen, weil es jedem frei steht, andere abzulehnen. Damit muss man umgehen können. Anderersei­ts hat man die Chance die Gruppenene­rgie zu erleben, die ich alleine natürlich nicht bieten kann.

Wie wird Ihr Angebot in Luxemburg angenommen?

Es gibt noch viel Luft nach oben. Davon leben könnte ich auf jeden Fall nicht. Ich habe vielleicht ein bis zwei Kunden pro Monat. In Bezug auf Corona muss also auf jeden Fall niemand Angst haben, dass sich die Wege der Kunden kreuzen könnten. (lacht)

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Fotos: Anouk Antony Bevor der Kunde zum Termin erscheint, bereitet sich Sandra Portz (www.kuschel-essenz.com) mit einer kleinen Meditation auf ihre ungewöhnli­che Tätigkeit vor.

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