Luxemburger Wort

EU-Gipfel: Nicht nur außen

Außenpolit­ische Lage könnte EU-Binnenmark­t überschatt­en

- Von Morgan Kuntzmann

Dass Staats- und Regierungs­chefs auch nur Menschen sind, wird spätestens in der Corona-Krise klar. Der ab heute stattfinde­nde zweitägige EU-Sondergipf­el sollte bereits vor einer Woche stattfinde­n, wurde aber verschoben, weil Ratspräsid­ent Charles Michel sich in Corona-Quarantäne begeben musste. Aber auch persönlich­e Schicksale spielen eine Rolle. Wie die private Nachrichte­nagentur TT meldet, wird der schwedisch­e Premiermin­ister Stefan Löfven wegen der Beerdigung seiner Mutter nicht am Sondergipf­el teilnehmen können. Die finnische Premiermin­isterin Sanna Marin springt für Löfven ein, da nur Staats- und Regierungs­chefs am Rat der Europäisch­en Union teilnehmen können. Die zwei Regierungs­chefs verbindet nicht nur eine geografisc­he Nähe, sondern auch eine ideologisc­he: beide sind Sozialdemo­kraten.

EU-Außenpolit­ik mit vielen Themen Die auswärtige­n Angelegenh­eiten werden die heutigen Beratungen zwischen den Staats- und Regierungs­chefs dominieren. Besonders die Beziehunge­n der EU zur Türkei und die Lage im östlichen Mittelmeer­raum werden im Vordergrun­d stehen. Die EU hatte der Türkei wegen der Erdgas-Erkundunge­n Ende August ein Ultimatum gesetzt und mit zusätzlich­en Wirtschaft­ssanktione­n gedroht. Aber auch die Lage in Belarus und mögliche Sanktionen gegen das Lukaschenk­o-Regime stehen auf der Tagesordnu­ng. Obwohl die beiden Länder geografisc­h auseinande­r liegen gibt es ein verbindend­es Element: Zypern.

Während Kanada und Großbritan­nien vor kurzem Sanktionen gegen den Machthaber Alexander Lukaschenk­o sowie dessen Sohn und sechs weitere Vertreter der Regierung verhängt haben, schafft es die EU nicht zu einer Einigung zu kommen, um 40 Regierungs­vertreter des belarussis­chen Regimes

zu sanktionie­ren. Lukaschenk­o selbst wäre bisher von den EU-Sanktionen ausgeschlo­ssen. Zuletzt blockierte jedoch Zypern den erforderli­chen einstimmig­en Ratsbeschl­uss. Das Land fordert zeitgleich­e EU-Sanktionen gegen die Türkei wegen des Gasstreits im östlichen Mittelmeer. Nun ist es die Aufgabe der anderen EU-Staaten, Zypern genug anderweiti­ge Garantien zu geben, um es zu einem Umschwenke­n bei den Sanktionen gegenüber den belarussis­chen Regierungs­vertretern zu bewegen. Aus EU-Quellen heißt es, dass die Mitglieder des Europäisch­en Rats am Anfang ihres Treffens heute ihre „volle Solidaritä­t“mit Griechenla­nd und Zypern bekräftige­n werden.

Außerdem steht bei dem Spitzentre­ffen in Brüssel noch einmal China auf der Agenda. Nach der Videokonfe­renz mit Staatschef Xi Jinping am 15. September gibt es weitere Verhandlun­gspunkte: die Menschenre­chte sowie das geplante Investitio­nsabkommen.

Ebenso dürfte der reaktivier­te Konflikt zwischen Aserbaidsc­han und Armenien um Bergkaraba­ch eine Rolle spielen. Am eigentlich­en Termin des EU-Sondergipf­els, dem 24. und 25. September war dieser Konflikt noch eingefrore­n. Eine mögliche Verflechtu­ng des Gasstreits und des Konflikts im Südkaukasu­s scheint, wie Brüsseler Kreise melden, unwahrsche­inlich, auch wenn die Türkei Aserbaidsc­han unterstütz­t.

Darüber hinaus wird erwartet, dass der Rat die Vergiftung des russischen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny verurteilt.

Stärkung des EU-Binnenmark­ts

Trotz all der außenpolit­ischen Fragen die auf der Tagesordnu­ng stehen, soll sich der zweite Tag des Gipfels am Freitag mit wirtschaft­spolitisch­en Fragen beschäftig­ten. Während dem bisherigen Höhepunkt der Corona-Krise im Frühjahr hatte es einseitige Grenzschli­eßungen von EU-Staaten gegeben, auch nicht mehr funktionie­rende Lieferkett­en im gemeinsame­n Wirtschaft­sraum waren ein Problem.

Deshalb sind der Binnenmark­t, die Industriep­olitik und der digitale Wandel ebenfalls Teil der Verhandlun­gsagenda des Sondergipf­els. Die Betonung liegt auf ebenfalls. Besonders für kleinere Länder, wie Luxemburg, sind diese Themen jedoch von Bedeutung. Während die größeren Mitgliedss­taaten schon mit einem Zurück zum Status vor Corona zufrieden sein sollten und die schnellstm­ögliche Rückkehr zu einem voll funktionsf­ähigen Binnenmark­t anstreben, gibt es noch viele Probleme,wie die arbiträren Grenzschli­eßungen und der Bereich des ECommerce. Am Schluss könnten sich einzelne Gipfel-Teilnehmer sowie EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen noch zu den ins Stocken geratenen Brexit-Verhandlun­gen äußern.

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