Stunden der Wahrheit
Nicht einmal sein Parteichef ist sicher, dass Deutschlands Verkehrsminister bei der Pkw-Maut sauber gearbeitet hat
Sie rechnen mit „spannenden Geschichten“. Wer in diesen Tagen mit deutschen Oppositionspolitikern über die deutsche Pkw-Maut spricht, der redet in Wahrheit über den deutschen Verkehrsminister. Andreas Scheuer gehört – wie seine drei direkten Vorgänger – zur CSU. Das ist wichtig, denn die Bayern-Version der Union und die Pkw-Maut gehören zusammen wie das sprichwörtliche Pech mit dem Schwefel. Für Scheuer ein sehr passendes Bild. Denn er hat mit der Maut kein Spürchen Glück.
Heute Abend wird Scheuer das besonders zu spüren bekommen. Er muss dann im Maut-Untersuchungsausschuss aussagen; offiziell wie jeder als Zeuge. Aber viele im Berliner Regierungsviertel halten ihn für den Schuldigen, mindestens.
Um zu verstehen, weshalb, muss kurz die Geschichte der Abgabe erzählt werden. Sie hieß ursprünglich „Ausländer-Maut“und wurde vom einstigen CSU-Vorsitzenden und jetzigen Bundesinnenminister Horst Seehofer und seinem damaligen Generalsekretär, späteren Verkehrsminister und jetzigen
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erfunden. Als Knaller für den Landtags- und den Bundestagswahlkampf 2013. Weil die Deutschen, erzählte Seehofer landauf, landab in Bierzelten und auf Marktplätzen, überall in Europa geschröpft würden fürs Fahren auf den Autobahnen – sollten endlich die Ausländer auch hier zahlen. Und nur die. Damit war nicht nur der Name in der Welt – sondern zeitgleich auch das Problem. „Diskriminierung! Unvereinbar mit Europa-Recht!“, warnten viele – auch der amtierende Verkehrsminister Peter Ramsauer.
Der wurde dann auch prompt nach der Wahl von Dobrindt beerbt; und der wiederum – nachdem er sich ergebnislos vier Jahre lang fast ausschließlich um die Maut gekümmert hatte – von Scheuer. Unterdessen war ein ausländerfreier Name – „Infrastrukturabgabe“– erfunden, der Bundestag hatte die im März 2015 beschlossen und Österreich dagegen beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) geklagt.
Scheuer ließ dennoch ein Vergabeverfahren laufen, führte Gespräche – und unterschrieb am 30. Dezember 2018 Verträge über zwei
Der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer wird heute vom Maut-Untersuchungsausschuss in die Zange genommen.
Milliarden Euro. Am 18. Juni 2019 kippte der EuGH die Maut. Noch am selben Abend kündigte Scheuer die Abschlüsse mit den Betreibern: Sie hätten „vertragliche Meilensteine gerissen“. Die Unternehmen aus Deutschland und Österreich wehrten sich; inzwischen läuft ein Schiedsverfahren, in dem mehr als eine halbe Milliarde Euro deutsches Steuergeld im Feuer steht.
Dass seit Januar dieses Jahres ein Bundestags-Untersuchungsausschuss die Maut-Dinge durchleuchtet, hat aber noch mindestens zwei weitere Gründe. Am 3. Oktober 2018 traf Scheuer sich unter höchster Geheimhaltung mit Vertretern der Firmen, die später den Zuschlag erhielten. Als das in den Ministeriumsakten nicht dokumentierte Date herauskam, sprach Scheuer von einem Gedankenaustausch. Seine Gesprächspartner allerdings haben, laut dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, in einem Protokoll vermerkt, dass es um die Vergabe ging – verboten während des laufenden Verfahrens.
Am 22. November 2018 boten die Betreiber Scheuer bei einem weiteren Treffen an, den Vertrag erst nach dem EuGH-Urteil zu unterschreiben. Der Minister aber bestand auf Vertragsabschluss und unterschrieb am Tag vor Silvester. Im Bundestag aber hat Scheuer das am 25. September 2019 bestritten. Die Betreiber aber haben auch dieses Gespräch protokolliert. So steht, vorerst, Aussage gegen Aussage. Die Opposition glaubt den Betreibern – und fordert längst Scheuers Rücktritt.
„Wolkige Erklärungen“erwartet Ab halb elf am Vormittag wird nun der Ausschuss versuchen, die Wahrheit herauszufinden. Nacheinander hört er das Spitzenpersonal des Betreiber-Konsortiums, drei Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführer aus Deutschland und Österreich. Und anschließend dann Scheuer. Vielleicht bis in die Nacht.
Die Opposition rechnet mit „wolkigen Erklärungen“. Und nicht nur der grüne Verkehrsexperte Oliver Krischer findet schon vorher: „Was Scheuer sich geleistet hat, reicht in anderen Parteien für drei Rücktritte.“Wird Scheuers Parteichef Markus Söder gefragt, sagt er dazu nicht ja. Aber erst recht nicht nein.