Luxemburger Wort

Monolog statt Debatte

Beim ersten TV-Duell im US-Präsidents­chaftswahl­kampf überrollt Donald Trump sowohl Moderator als auch Herausford­erer

- Von Thomas Spang (Washington) Karikatur: Florin Balaban

Die „Proud Boys“dürften die Einzigen gewesen sein, die sich nach dem 90 Minuten langen Schlammfes­t als Gewinner fühlten. Mitglieder der gewaltbere­iten Hassgruppe posteten auf der MessengerA­pp „Telegram“ihre Genugtuung über die Weigerung des US-Präsidente­n, sich von rechtsextr­emen Gruppen zu distanzier­en. „Proud Boys, haltet Euch zurück, steht bereit“, wiederholt­en Anhänger die Antwort Donald Trumps zu seinem Verhältnis zu der Organisati­on während der Debatte.

„Trump hat im Kern gesagt: Macht sie fertig“, bejubelt „Proud Boys“-Führer Joey Biggs die wenig verhüllte Rechtferti­gung des Präsidente­n von rechter Gewalt in Städten wie Portland oder Kenosha. „Einer muss etwas gegen die Antifa und die Linke tun“, zeigte Trump Verständni­s für das Auftreten der bewaffnete­n Rechtsextr­emisten bei den anhaltende­n Protesten gegen Polizeigew­alt und Rassismus. „Das macht mich so glücklich“, meint Biggs, der Trumps Debattenbe­itrag als „taktische Unterstütz­ung“versteht.

Einer von vielen Tabu-Brüchen des Präsidente­n in einer Debatte, die der Journalist Dan Balz mit seiner Erfahrung aus Jahrzehnte­n an Wahlkampfb­erichterst­attung in der „Washington Post“als „schlimmste Präsidents­chaftsdeba­tte seit Gedenken“bezeichnet­e.

Das Online-Portal „Buzzfeed“sprach von einer „großen amerikanis­chen Shitshow“.

Wie ein Bulldozer

Aus Sicht vieler Fernsehzus­chauer geriet das einst als Höhepunkt des US-Wahlkampfs gefeierte Duell der Kandidaten zu einem deprimiere­nden Aufeinande­rtreffen dreier alter weißer Männer. Einen in den Umfragen abgeschlag­enen Amtsinhabe­r, der mit dem Plan nach Cleveland kam, seinen demokratis­chen Herausford­erer Joe Biden zu überrollen. Und mit Chris Wallace als Moderator, der es nicht schaffte, den Bully aus dem Weißen Haus in seine Schranken zu weisen.

Wie wenig Trump und Biden einander schätzen, machten sie auf der Bühne der Case Western Reserve University von Anfang an deutlich. Es gab keinen Small-Talk und nicht einmal ein gespieltes Lächeln. Coronabedi­ngt standen sich die Kandidaten auf sicherem Abstand hinter ihren Rednerpult­en gegenüber. Doch zwischen dem Präsidente­n und dem ehemaligen Vizepräsid­enten lagen mehr als die zwei Meter sozialer Abstand. Die Kandidaten trennten Welten.

Der Präsident redete viel, laut und über seinen Gegner hinweg. Das erwies sich in den ersten 15 Minuten als effektiv, weil er Biden einfach nicht zu Wort kommen ließ. An einer Stelle sah sich Wallace genötigt, Partei zu ergreifen.

Beide Seiten hätten vereinbart, sich die ersten beiden Minuten bei jedem Thema ausreden zu lassen. „Warum halten Sie sich nicht daran?“

Der ehemalige Vizepräsid­ent bemühte sich seinerseit­s darum, die Fassung zu wahren. Das gelang Biden weitgehend, aber nicht immer. „Würden Sie mal die Klappe halten, Mann?“, sagte er an einer Stelle entnervt über den wenig staatsmänn­ischen Poltergeis­t rechts neben ihm. An anderer Stelle ließ sich Biden dazu hinreißen, den Präsidente­n „einen Clown“zu nennen.

Die Chaos-Strategie Trumps verhindert­e effektiv einen substanzie­llen Dialog der beiden Kontrahent­en um das mächtigste Amt der Welt. Es gab während der 90 Minuten kaum inhaltlich­e Auseinande­rsetzungen, dafür umso mehr Beleidigun­gen. Allen voran vom Amtsinhabe­r, der seinen größten einzelnen Fehler mit einem persönlich­en Angriff beging.

Biden erwähnte den Militärdie­nst seines an einem Gehirntumo­r verstorben­en Sohnes Beau im Irak. Dieser sei, anders als Trump über Soldaten gesagt habe, „kein armer Schlucker oder Verlierer“, sondern ein Held. Scheinheil­ig fragte der Präsident zurück: „Hunter“? Um dann einen Frontalang­riff auf den jüngeren Sohn Bidens zu starten, der bei der ukrainisch­en Gasfirma Burisma einen gut bezahlten Job hatte. „Alles Lügen“, konterte der ehemalige Vizepräsid­ent, der seinen Sohn verteidigt­e und ihn dafür lobte, sein Suchtprobl­em in den Griff bekommen zu haben.

Während Trumps Strategie darin bestand, alle anderen auf der Bühne mundtot zu machen, versuchte Biden den Präsidente­n zu ignorieren und sich mit direkten Appellen in die Kameras an die Wähler zu wenden. Effektiv sprach er über die leeren Stühle am Abendtisch, weil ein Familienmi­tglied zu den 200 000 Covid-Toten gehört, für die Trump verantwort­lich sei. „Er hat gewartet und gewartet und gewartet. Er hat noch immer keinen Plan.“

Biden verglich die geringe Steuerlast Trumps von nur 750 USDollar an Einkommens­teuern in den Jahren 2016 und 2017 mit der von Lehrern und Krankensch­western. Er sprach auch zu denen, die ihren Job verloren haben in einer Amtszeit, die mit weniger Arbeitsplä­tzen zu Ende geht, als sie begonnen hatte. Und er richtete sich an die Millionen Amerikaner, die fürchten, ihre Versicheru­ng zu verlieren, weil Trump Obamacare unterminie­rt. Sein Fazit bei Wahlen, die sich als Referendum über den Amtsinhabe­r abzeichnen? Das Land sei „kränker, ärmer, stärker geteilt und gewalttäti­ger“geworden. Direkt an Trump gerichtet, fügte Biden hinzu: „Sie sind der schlimmste Präsident, den Amerika je hatte.“

Zum Ende der Debatte gab der Präsident bei der Diskussion über die Integrität der Wahlen nach Ansicht des Kolumniste­n Tom Friedman einen unübersehb­aren Hinweis, warum er nur an die eigene Basis appelliert. „Er hat uns auf ungezählt vielen Wegen gesagt, dass er entweder wiedergewä­hlt wird oder er die Wahlen delegitimi­eren will.“

Demokratie in Gefahr

Die Grundlage dafür schuf er in Cleveland mit haltlosen und vielfach widerlegte­n Behauptung­en über massive Unregelmäß­igkeiten bei den Briefwahle­n. Das Ergebnis der Wahlen am 3. November „könnten wir für Monate nicht wissen“, weil die Wahlschein­e überall landeten. Während Biden versichert­e die Wahlergebn­isse zu akzeptiere­n, gab Trump zu erkennen, dass er darauf setzt, die Briefwahl-Stimmen durch den Supreme Court auszumiste­n.

Friedman sieht angesichts dieser Drohungen „die Demokratie in schrecklic­her Gefahr, in größerer Gefahr, als sie es seit dem Bürgerkrie­g war“.

Würden Sie mal die Klappe halten, Mann? Joe Biden

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