Monolog statt Debatte
Beim ersten TV-Duell im US-Präsidentschaftswahlkampf überrollt Donald Trump sowohl Moderator als auch Herausforderer
Die „Proud Boys“dürften die Einzigen gewesen sein, die sich nach dem 90 Minuten langen Schlammfest als Gewinner fühlten. Mitglieder der gewaltbereiten Hassgruppe posteten auf der MessengerApp „Telegram“ihre Genugtuung über die Weigerung des US-Präsidenten, sich von rechtsextremen Gruppen zu distanzieren. „Proud Boys, haltet Euch zurück, steht bereit“, wiederholten Anhänger die Antwort Donald Trumps zu seinem Verhältnis zu der Organisation während der Debatte.
„Trump hat im Kern gesagt: Macht sie fertig“, bejubelt „Proud Boys“-Führer Joey Biggs die wenig verhüllte Rechtfertigung des Präsidenten von rechter Gewalt in Städten wie Portland oder Kenosha. „Einer muss etwas gegen die Antifa und die Linke tun“, zeigte Trump Verständnis für das Auftreten der bewaffneten Rechtsextremisten bei den anhaltenden Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus. „Das macht mich so glücklich“, meint Biggs, der Trumps Debattenbeitrag als „taktische Unterstützung“versteht.
Einer von vielen Tabu-Brüchen des Präsidenten in einer Debatte, die der Journalist Dan Balz mit seiner Erfahrung aus Jahrzehnten an Wahlkampfberichterstattung in der „Washington Post“als „schlimmste Präsidentschaftsdebatte seit Gedenken“bezeichnete.
Das Online-Portal „Buzzfeed“sprach von einer „großen amerikanischen Shitshow“.
Wie ein Bulldozer
Aus Sicht vieler Fernsehzuschauer geriet das einst als Höhepunkt des US-Wahlkampfs gefeierte Duell der Kandidaten zu einem deprimierenden Aufeinandertreffen dreier alter weißer Männer. Einen in den Umfragen abgeschlagenen Amtsinhaber, der mit dem Plan nach Cleveland kam, seinen demokratischen Herausforderer Joe Biden zu überrollen. Und mit Chris Wallace als Moderator, der es nicht schaffte, den Bully aus dem Weißen Haus in seine Schranken zu weisen.
Wie wenig Trump und Biden einander schätzen, machten sie auf der Bühne der Case Western Reserve University von Anfang an deutlich. Es gab keinen Small-Talk und nicht einmal ein gespieltes Lächeln. Coronabedingt standen sich die Kandidaten auf sicherem Abstand hinter ihren Rednerpulten gegenüber. Doch zwischen dem Präsidenten und dem ehemaligen Vizepräsidenten lagen mehr als die zwei Meter sozialer Abstand. Die Kandidaten trennten Welten.
Der Präsident redete viel, laut und über seinen Gegner hinweg. Das erwies sich in den ersten 15 Minuten als effektiv, weil er Biden einfach nicht zu Wort kommen ließ. An einer Stelle sah sich Wallace genötigt, Partei zu ergreifen.
Beide Seiten hätten vereinbart, sich die ersten beiden Minuten bei jedem Thema ausreden zu lassen. „Warum halten Sie sich nicht daran?“
Der ehemalige Vizepräsident bemühte sich seinerseits darum, die Fassung zu wahren. Das gelang Biden weitgehend, aber nicht immer. „Würden Sie mal die Klappe halten, Mann?“, sagte er an einer Stelle entnervt über den wenig staatsmännischen Poltergeist rechts neben ihm. An anderer Stelle ließ sich Biden dazu hinreißen, den Präsidenten „einen Clown“zu nennen.
Die Chaos-Strategie Trumps verhinderte effektiv einen substanziellen Dialog der beiden Kontrahenten um das mächtigste Amt der Welt. Es gab während der 90 Minuten kaum inhaltliche Auseinandersetzungen, dafür umso mehr Beleidigungen. Allen voran vom Amtsinhaber, der seinen größten einzelnen Fehler mit einem persönlichen Angriff beging.
Biden erwähnte den Militärdienst seines an einem Gehirntumor verstorbenen Sohnes Beau im Irak. Dieser sei, anders als Trump über Soldaten gesagt habe, „kein armer Schlucker oder Verlierer“, sondern ein Held. Scheinheilig fragte der Präsident zurück: „Hunter“? Um dann einen Frontalangriff auf den jüngeren Sohn Bidens zu starten, der bei der ukrainischen Gasfirma Burisma einen gut bezahlten Job hatte. „Alles Lügen“, konterte der ehemalige Vizepräsident, der seinen Sohn verteidigte und ihn dafür lobte, sein Suchtproblem in den Griff bekommen zu haben.
Während Trumps Strategie darin bestand, alle anderen auf der Bühne mundtot zu machen, versuchte Biden den Präsidenten zu ignorieren und sich mit direkten Appellen in die Kameras an die Wähler zu wenden. Effektiv sprach er über die leeren Stühle am Abendtisch, weil ein Familienmitglied zu den 200 000 Covid-Toten gehört, für die Trump verantwortlich sei. „Er hat gewartet und gewartet und gewartet. Er hat noch immer keinen Plan.“
Biden verglich die geringe Steuerlast Trumps von nur 750 USDollar an Einkommensteuern in den Jahren 2016 und 2017 mit der von Lehrern und Krankenschwestern. Er sprach auch zu denen, die ihren Job verloren haben in einer Amtszeit, die mit weniger Arbeitsplätzen zu Ende geht, als sie begonnen hatte. Und er richtete sich an die Millionen Amerikaner, die fürchten, ihre Versicherung zu verlieren, weil Trump Obamacare unterminiert. Sein Fazit bei Wahlen, die sich als Referendum über den Amtsinhaber abzeichnen? Das Land sei „kränker, ärmer, stärker geteilt und gewalttätiger“geworden. Direkt an Trump gerichtet, fügte Biden hinzu: „Sie sind der schlimmste Präsident, den Amerika je hatte.“
Zum Ende der Debatte gab der Präsident bei der Diskussion über die Integrität der Wahlen nach Ansicht des Kolumnisten Tom Friedman einen unübersehbaren Hinweis, warum er nur an die eigene Basis appelliert. „Er hat uns auf ungezählt vielen Wegen gesagt, dass er entweder wiedergewählt wird oder er die Wahlen delegitimieren will.“
Demokratie in Gefahr
Die Grundlage dafür schuf er in Cleveland mit haltlosen und vielfach widerlegten Behauptungen über massive Unregelmäßigkeiten bei den Briefwahlen. Das Ergebnis der Wahlen am 3. November „könnten wir für Monate nicht wissen“, weil die Wahlscheine überall landeten. Während Biden versicherte die Wahlergebnisse zu akzeptieren, gab Trump zu erkennen, dass er darauf setzt, die Briefwahl-Stimmen durch den Supreme Court auszumisten.
Friedman sieht angesichts dieser Drohungen „die Demokratie in schrecklicher Gefahr, in größerer Gefahr, als sie es seit dem Bürgerkrieg war“.
Würden Sie mal die Klappe halten, Mann? Joe Biden