„Luxemburger sind Gewohnheitstiere“
Corona hat das Konsumverhalten verändert – Ein Zurück gibt es nicht: Einige Trends werden jetzt zu neuen Routinen
Erst Hamsterkäufe bei Klopapier und Mehl, dann der Trend zu lokalen und nachhaltigen Produkten. Die Corona-Krise hat das Konsumverhalten der letzten Monate geprägt. Manches war ein reines Krisen-Phänomen, andere Trends könnten uns noch lange begleiten.
„Die Gewohnheiten haben sich in der Krise geändert“, stellt auch Natalia Sampaio fest, wenn sie die Verkaufszahlen der Supermarktkette Cactus analysiert. Vor dem Lockdown ging am Morgen der Coffee-to-Go über die Theke. Mittags lag die Lasagne auf dem Kassenband. Mit dem Homeoffice hat sich aber das Essverhalten gewandelt: „Frühstück und Mittagessen zum Mitnehmen sind viel weniger gefragt“, sagt Sampaio. Stattdessen wird zu Hause frisch gekocht. „Gesunde, biologische und lokale Lebensmittel sind die Produktfamilie mit dem derzeit höchsten Wachstum“, sagt Sampaio.
Lippenstift-Krise
Im Einzelhandel hat sich der Konsum vor allem so verändert: Er ist zurückgegangen. Laut Confédération luxembourgeoise du commerce (CLC) ist der Umsatz bei Mode im Juli um 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Das liegt nach Ansicht der Einzelhändler vor allem daran, dass die Gesichtsmaske zum ständigen Begleiter geworden ist. „Die Hälfte der Kunden fühlt sich unwohl beim Anprobieren von Kleidung in Geschäften“, sagt Claude Bizjak von der CLC. „Aus diesem Grund ziehen es viele vor, sich auf das Wesentliche zu beschränken.“40 Prozent der Kunden fühlen sich unsicher, wenn sie in ein Einkaufszentrum gehen. Bei einzelnen Produkten ist die Nachfrage plötzlich ganz eingebrochen. Dazu gehört der Lippenstift. Den sieht man unter der Maske nicht mehr. Am Weltmarkt brach der Absatz um 49 Prozent ein, wie das Marktforschungsinstitut npd Group berichtet. Im „Indigo Make Up Studio“in Luxemburg-Stadt beobachtet Ivana Larusson den Trend hin zum Permanent Make-up – das verschmiert nicht, Maske hin oder her.
Trendforscher
Wer Maske trägt, braucht also keinen Lippenstift und wer zu Hause bleibt, braucht keinen Coffee-ToGo. So weit, so klar. Aber welche Veränderungen im Konsumverhalten könnten die Pandemie überdauern? Genau das fragen sich gerade Kunden des Umfrageinstituts TNS Ilres, wie Tommy Klein erklärt. Die Unternehmen wollen von den Forschern wissen, wie sie ihr Angebot vorausschauend verändern können. „Denn wer nur reagiert, verliert“, sagt Klein. „Es geht darum, die Trends vorherzusehen“. Viele davon gelten heute natürlich global. Der Forscher betont aber eine Besonderheit. „In Luxemburg sind wird Gewohnheitstiere“. Was laut dem Experten das Einkaufsverhalten im Land prägt, sind: der Preis, die Qualität und das Vertrauen. Daraus ergeben sich Kaufentscheidungen und schließlich Gewohnheiten. Corona
Jerry Klein von „Letzshop“.
Tommy Klein vom TNS Ilres.
hat diese infrage gestellt: „Wir hatten Hunger, aber die Restaurants waren zu, also mussten wir neue Gewohnheiten etablieren“, sagt Klein, „Wir in Luxemburg brauchen diese kleinen Schubser“. So wurde plötzlich öfter gekocht, mehr lokale Produkte gekauft, häufiger online bestellt oder das Fahrrad genommen. Die Frage, die sich am Umfrageinstitut ergibt, ist: „Bleiben wir bei diesen neuen Gewohnheiten?“Verlässliche Zahlen dazu erscheinen erst in den kommenden Monaten. Aber Tendenzen kann Klein schon absehen.
Es bleibt lokal
Lokale Produkte zu kaufen, ist einer der Trends. Klein glaubt, dass er die Krise überdauert. Das „Made in Luxembourg“ist und bleibt beliebt. Beliebtheit bedeutet aber noch nicht, dass etwas den Markt umkrempelt. Das zeigt die Erfahrung am Institut mit einem anderen Label. Im April der Corona-Krise befragte das TNS Ilres Einwohner zum Konsum von Fairtrade-Produkten. Auch Fairtrade ist beliebt und 74 Prozent der Befragten gaben an, diese Produkte zu kaufen. Diskussionen über Lieferketten und Produktionsbedingungen hatten das Bewusstsein für nachhaltigen Konsum geschärft. Problembewusstsein und Kaufentscheidung sind aber zwei unterschiedliche Dinge. Denn während die große Mehrheit der Befragten (67 Prozent) Schokolade mit dem Fairtrade-Siegel assoziierte, macht fair gehandelte Schokolade nur einen Marktanteil von 4,5 Prozent in Luxemburg aus. Auf die Frage, warum nicht mehr Menschen zu fairen Produkten greifen, obwohl sie diese befürworten, antwortet Klein auch hier: „Die Macht der Gewohnheit.“Für lokale und biologische Produkte erwartet der Experte dennoch, dass sie auf einem leicht erhöhten Niveau bleiben. „Das ist keine Corona-Erscheinung. Der Trend kam schon in den letzten zwei Jahren auf.“
Seine Prognose für andere Erscheinungen der Krise: „Ich persönlich glaube, die Menschen behalten das bei, was ihnen besonders gut gefallen hat und auch, was einfach für sie war“, sagt Klein. Das führt zum großen Trend Nummer zwei: Online-Shopping. 80 Prozent der Internet-Nutzer in Luxemburg kaufen laut der Studie „Arbeiten 4.0“teilweise online ein. Neu ist das nicht. „Amazon gibt es ja schon seit 1995“, sagt Jerry Klein von der Online-Plattform „Letzshop“. „Aber der lokale Handel ist nicht nachgezogen“. 91 Prozent der Läden in Luxemburg hatten vor der Krise keinen Online-Shop. Wer also bestellte, bestellte im Ausland. Jetzt bietet „Letzshop“500 lokalen Anbietern einen digitalen Marktplatz. Die Macher sorgen außerdem dafür, dass die Produkte bei Suchanfragen mit Google möglichst weit oben angezeigt werden. Das hat auch einen positiven Nebeneffekt für den stationären Einzelhandel. Er wird ROPO-Effekt
genannt. Das steht für „Research online, purchase offline“– also „online suchen, offline kaufen“. Denn wer im Internet ein Produkt sucht, bekommt erst jetzt Luxemburger Artikel angezeigt. Nicht wenige finden dann den Weg in den Laden.
Auch „Letzshop“ist keine Corona-Geburt. Die Plattform hat soeben ihren zweiten Geburtstag gefeiert. Dennoch hat die Pandemie für Anschub gesorgt. Vor Ostern verzeichnete der Marktplatz 50 Mal mehr Bestellungen als sonst, aktuell sind es dreimal mehr. Online bleibt als Trend sicher erhalten. „Letzshop“will aber nicht einfach nur für Digitalisierung sorgen, sondern den Einzelhandel für die Anforderungen der Kunden von heute fit machen. Die wollen lokal und online einkaufen. „Aber einfach mit 'kaaft lokal' zu werben, wird in Zukunft nicht genügen“, sagt Klein. „Wir müssen die Händler davon überzeugen, Service anzubieten.“Das ist Trend Nummer drei. Luxinnovation bietet genau dafür das Programm „Fit for Service“an. Auch die Experten von Ernst&Young (EY) sehen hier die Zukunft. Seit April haben sie für ihren „Future Consumer Index“18 000 Menschen in 18 Ländern befragt, um neue Verbraucherprofile zu identifizieren. Das Ergebnis bestätigt die Spürnase der Luxemburger: Die Konsumenten kaufen bewusster. Sie bevorzugen Produkte, die regional, sozial und umweltverträglich sind. „Und sie kaufen das Erlebnis“, sagt Kevin d'Antonio von EY Luxembourg. Übersetzt für den Einzelhandel heißt das: Im Zweifel entscheidet der Service.
Trends, die bleiben: lokal, digital, serviceorientiert.