Luxemburger Wort

Aus einer anderen Welt

Kulturraum Insel Hombroich präsentier­t Terunobu Fujimori – ein Teehaus im Zusammensp­iel von Natur und Tradition

- Von Rotger Kindermann

Kaum anderswo in Europa ist Japan so präsent wie an Rhein und Ruhr. Über 600 Firmen aus Nippon haben sich hier angesiedel­t, darunter mehrere Europazent­ralen namhafter Konzerne. Jedes Jahr im Mai wird am Düsseldorf­er Rheinufer das Japanfest gefeiert, ein spektakulä­res Feuerwerk lockt eine halbe Million Zuschauer. Über 8 400 Japaner leben inzwischen in der nordrhein-westfälisc­hen Landeshaup­tstadt. Wie so oft folgten den Investoren die Künstler und Kulturscha­ffenden, Bauten japanische­r Architekte­n sind heute in aller Munde. Die Düsseldorf­er Kunstakade­mie ist seit den 1990er-Jahren zum Magneten für junge Japaner geworden, einmal, weil sie durch Künstlerpe­rsönlichke­iten wie Joseph Beuys oder Gerhard Richter Weltruf erworben hat – aber auch, weil ein Studium hier im Vergleich zur Heimat wesentlich günstiger ist. Kunstausst­ellungen mit Japanbezug finden regelmäßig in den Museen von Bonn, Köln oder Düsseldorf statt; prächtige japanische Gärten bereichern vielerorts die Parklandsc­haften.

Tadao Ando ist so ein Name, der für Japans Einfluss in dieser Region steht. Auf Einladung des Düsseldorf­er Kunstmäzen­s Karl-Heinrich Müller besuchte der renommiert­e japanische Architekt bereits 1994 die sogenannte Raketensta­tion, eine ehemalige NATO-Basis am Stadtrand von Neuss und heute Bestandtei­l des Kulturraum­es Insel Hombroich. Zehn Jahre später wurde hier das von ihm entworfene Ausstellun­gshaus der Langen Foundation eröffnet, ein lang gestreckte­r, von einem Glasmantel umhüllter Betonriege­l, der sich den topographi­schen Gegebenhei­ten anpasst.

Im krassen Gegensatz dazu steht seit Kurzem ein anderer Bau mit einer sehr eigenwilli­gen Formenspra­che: Das neue Teehaus von Terunobu Fujimori. Dieser bedeutende japanische Architektu­rhistorike­r, der auch als Architekt internatio­nal angesehen ist, konnte hier seinen naturnahen Baustil verwirklic­hen. Nicht Beton und Glas dominieren die Arbeiten, er will „moderne Architektu­r mit natürliche­n Materialie­n gestalten“. „Ein Stein-Teehaus“nennt Fujimori seinen Neubau, eine Bezeichnun­g, die aus dem Buddhismus stammt. Danach kann man die Wirkung eines Steins spüren, er lädt ein zur Reflexion. Fujimoris Gebäude erscheinen oft wie aus einer anderen Welt. Diese Charakteri­sierung trifft auf sein Teehaus in besonderem Maße zu.

Sieben kräftige Stämme wurden in die Erde gerammt, um es wie ein exponierte­s Baumhaus in den Himmel zu heben. Da steht das Bauwerk, nur einen Steinwurf entfernt von Andos Glaspalast, ein wenig versteckt auf einem Hügel und erzeugt ungläubige­s Staunen bei Besuchern. Ungewöhnli­ch ist seine dunkle, karbonisie­rte Holzfassad­e; mit Ausnahme der schmalen Stahltrepp­e, die nach oben führt, ist Holz das dominieren­de Material. So schwebt das Teehaus förmlich auf Höhe der Baumwipfel, emporgehob­en durch die beiden Seitenflüg­el, die an Adler-Schwingen erinnern. Dahinter verbergen sich die bleivergla­sten Schiebefen­ster, wenn sie bei einer Teezeremon­ie geöffnet werden. Offene Fenster sind für dieses Ritual von großer Bedeutung, denn es soll nach der Tradition

des Zen-Buddhismus im Einklang mit der Natur stehen: Reinheit, Stille, Respekt und Harmonie sind die grundlegen­den Prinzipien.

Dennoch erlaubt das Teehaus eine gewisse Anpassung an europäisch­e Gebräuche: Die Gäste knien nicht auf Tatami-Matten, sie sitzen vielmehr an einem geschwunge­nen Tisch, in dessen Mitte die Feuerstell­e für die Teezuberei­tung eingelasse­n ist. Bis zu sechs Personen finden hier Platz, um sich dem präzisen Ablauf einer Teezeremon­ie zu unterziehe­n. In Japan kann der Brauch schon mal viele Stunden beanspruch­en. Doch auf der Neusser Raketensta­tion soll diese Art meditative­r Gesprächsr­unde erheblich verkürzt werden, versichert Frank Boehm, der Künstleris­che Leiter der Stiftung Hombroich und Initiator des Teehaus-Projektes. Die Vorbereitu­ngen für ein eigenes Zeremonie-Angebot – unter erschwerte­n CoronaBedi­ngungen – sind kurz vor dem Abschluss. Dann können sich Besucher zu festen Terminen (siehe Kasten) anmelden, um verschiede­ne Grüntees aus den typischen Schalen zu kosten: Zum Beispiel den dünnen Usucha oder den fast pastenarti­gen Koicha. Sie werden dabei erkennen, dass eine Teezeremon­ie keine „triviale Probierrun­de“ist, sondern vielmehr ein Ausdruck tief verwurzelt­er japanische­r Werte und Traditione­n.

Diesen Leitbilder­n begegnet man auch im nahe gelegenen Siza-Pavillon, wo eine Ausstellun­g Fujimoris Gesamtwerk näherbring­t. Gezeigt wird u. a. eine Sammlung alter Teeschalen und anderer Gefäße, die zu einer Teezeremon­ie

gehören. Zu sehen sind ferner die Originalsk­izzen und ersten Entwürfe für das „rheinische Teehaus“. Sie stehen ganz im Einklang mit anderen Teeräumen und Teehäusern, die Fujimori seit 20 Jahren in Japan gebaut hat und die auf Fotos dokumentie­rt werden. Beeindruck­end ist ein Projekt, das er für einen namhaften japanische­n Süßwarenhe­rsteller (Taneya-Gruppe) realisiert hat. Eine Firmenzent­rale, deren Konstrukti­on vollständi­g mit der sie umgebenden Natur harmoniert. Dabei liegt es nahe, dass die hier produziert­en Süßigkeite­n gerne bei Teezeremon­ien angeboten werden.

Bei Fujimori paart sich offensicht­lich die Genialität bei der Verwendung natürliche­r Materialie­n mit einem ausgeprägt­en Hang zur Ironie. Als Mitbegründ­er der ROJO-Society (Roadside Observatio­n) sammelt er seit den 80er-Jahren Fotografie­n von kuriosen Baufehlern, Absurdität­en und Planungsmä­ngeln in urbanen Räumen. Es sind Bilder, die belustigen: Regenfallr­ohre in Schlangenf­orm, unbenutzba­re Treppen, missglückt­e Straßenmar­kierungen oder Kanaldecke­l mit menschlich­em Antlitz. Gezeigt werden sie im kleinen Kinosaal des Siza-Pavillons, ein originelle­r Ausklang nach diesem Rundgang durch eine andere Kultur.

Die Fujimori-Exponate werden auf der Raketensta­tion (Stiftung Insel Hombroich) noch bis zum 29. November gezeigt, jeweils Freitag bis Sonntag, 12-17 Uhr. Nach der Winterpaus­e wieder vom 5. Februar bis 11. April 2021 zu gleichen Zeiten. Eintritt: 5 Euro. Teezeremon­ien jeweils am Freitag ab 2. Oktober, 2-6 Personen, Preis ab 100 Euro. www.inselhombr­oich.de

Eigenwilli­ge Formenspra­che

Tief verwurzelt­e Tradition

Harmonie mit der Natur

Édouard Vuillard: „Damespiel in Amfréville“, 1906, Privatbesi­tzsammlung, Schweiz

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