Die Reportage
Er werde zwar sein Restaurant wieder öffnen, sagt Id, „sobald das wieder möglich ist“: Aber bis er erneut ein volles Haus haben werde, dürften seiner Meinung nach „noch einige Jahre vergehen.“Freuen würden sich derzeit nur die Fische im See, meint der Wirt: „Sie springen aus dem Wasser, als würden sie sich daran ergötzen, dass derzeit keine Netze auf sie warten.“
Covid-19 hat Israel fest im Griff. Deshalb zog die Regierung vor zwei Wochen die Notbremse und verfügte einen zweiten Lockdown innerhalb von sechs Monaten. Bisher ohne Erfolg: Letzte Woche war die Todesrate erstmals höher als in den USA: Umgerechnet auf eine Million Einwohner liegt sie in Amerika bei 2,2, in Israel bei 3,5. Täglich werden – bei einer Bevölkerung von neun Millionen – 9 000 Fälle registriert. Zusätzlich erschüttert die Wirtschaftskrise das Land. Jeder Vierte hat derzeit keine Arbeit, und je länger der zweite Lockdown dauert, umso mehr Menschen werden ihren Job verlieren.
Israel galt zunächst als Musterschüler
Bei der ersten Welle hatte Israel als Musterschüler gegolten, weil es die Infektionsraten und Todesfälle tief halten konnte. Wie dieser Absturz in die unterste Corona-Liga möglich war, wollen wir von Hagai Levine wissen, einem der führenden Epidemiologen Israels, der die Regierung beim Kampf gegen die Epidemie berät. Seine Erklärung, kurz zusammengefasst: Die Regierung habe mit einem Zickzackkurs und unlogischen Maßnahmen das Vertrauen der Bevölkerung verloren. Das schade der Solidarität, die für einen Erfolg an der Corona-Front unerlässlich sei.
Die Gesundheitspolitik wurde zudem von innenpolitischen Kalkülen dominiert. Schließlich habe das Kabinett jede langfristige Planung vermissen lassen, die für einen Sieg über Covid-19 nötig ist. Zum Versagen gehöre die Unfähigkeit, Ansteckungsketten zu ermitteln. „Die Regierung hat es versäumt, eine Exitstrategie auszuarbeiten und durchzusetzen“, sagt Levine.
Benayah Blum ist einer der rund 4 000 Tourguides in Israel, die seit März arbeitslos sind. Er war es gewohnt, permanent ausgebucht zu sein und seine Kunden durchs Heilige Land zu führen, das er ihnen historisch, gesellschaftlich und kulinarisch näherbringen wollte. Jetzt muss sich der 58-jährige neu erfinden.
Er hat sich soeben als Befrager beim Team gemeldet, das die Ansteckungsketten recherchieren soll. Dabei hilft ihm sein Geschick, mit fremden Menschen umzugehen, aber auch seine Kenntnisse der arabischen Kultur und Sprache. Da es unter Arabern besonders viele Infizierte gibt, ist der Zugang zu diesem Segment, das rund 20 Prozent der Bevölkerung ausmacht, im Kampf gegen Covid19 entscheidend.
Blum hat seit März einiges auf den Weg gebracht. Zunächst setzte er mit Berufskollegen durch, dass Tourguides von der Sozialversicherung Arbeitslosenentschädigung erhalten. Da Fremdenführer als „selbständig“gelten, war das nicht selbstverständlich. Mit Protestaktionen vor der Knesset erreichte er sein Ziel, auch in Diskussionen mit Parlamentariern, die sich für die Anliegen der Reiseleiter einsetzten. Jetzt bereitet er eine virtuelle Besichtigung des Landes vor, das er vor der Corona-Krise Touristen aus aller Welt gezeigt hatte. „Ich bin überzeugt“, sagt Blum, „dass auch nach der Krise ein Bedarf an virtuellen Reisen bestehen wird, obwohl natürlich viele Impressionen des Orients nicht über den Bildschirm kommen.“Zudem betrachtet er seine Trips am Bildschirm auch als Kundenpflege – für die Zeit nach der Krise.
Den Spitzenwert von 2019 mit vier Millionen Touristen werde Israel
Benayah Blum: Tourguide und arbeitslos
frühestens im Jahr 2023 wieder erreichen, schätzen Experten. Seit Mitte März, als das Eingangstor im Flughafen Ben Gurion geschlossen wurde, ist der Tourismus auf praktisch null eingebrochen. Zeitweise konnte er die Baisse mit inländischen Gästen etwas auffüllen. Vor dem Ausbruch der Krise hatte die Branche mit einem neuen Rekordjahr gerechnet: mit fünf Millionen Gästen aus dem Ausland. Der Tourismus beschäftigt insgesamt 200 000 Menschen, von denen mittlerweile die große Mehrheit arbeitslos ist.
Vorübergehen konnten sich Hotels und Restaurants mit inländischem Tourismus über Wasser halten, wie zum Beispiel Id Rimon. Doch der Lockdown schließt jetzt auch diese Einnahmequelle. Aus Wut über die erneute Schließung der Gaststätten zerschmetterten Wirte in größeren Städten in einer koordinierten Aktion Teller, um so gegen den Lockdown zu protestieren, der ihre ökonomische Existenz auf Jahre hinaus ruinieren könnte, wie sie befürchten.
Seinen Umsatz auf null gefahren hat auch Hussen Hojjazi, der im Norden Israels, in der Altstadt von Akko, einen Falafelimbiss hat. Seine Kunden waren zu 90 Prozent Touristen. „Meine Bude ist seit dem 12. März geschlossen“, sagt er, nachdem sonst ständig Hochbetrieb geherrscht hatte.
Auf Unruhen gefasst, aber nicht auf eine Pandemie
Er sei in den letzten Jahren auf alles gefasst gewesen, meint Hussein: „Auf Unruhen oder auf einen Krieg mit der Hisbollah, deren Stellungen im Libanon bloß 20 Kilometer von Akko entfernt sind – aber nicht auf das!“Als Folge des Lockdown nennt er nicht nur ökonomische Probleme: „Die absolute Leere in meiner Imbissstube ist ein Schlag für die Seele.“
Hussein bezieht zwar Arbeitslosenunterstützung – aber er würde es vorziehen, das Geld mit einer sinnvollen Tätigkeit zu verdienen. „Doch, wenn ich mich mit meinen 55 Jahren vorstelle, gibt man mir zu verstehen, dass ich zu alt bin“, sagt er. Zu schaffen macht ihm zudem die Unsicherheit – „niemand weiß ja, wann der Spuk vorbei sein wird.“
In ultra-orthodoxen Kreisen wütet das Virus überdurchschnittlich. Die sogenannten „Haredim“(Gottesfürchtige) machen zwar bloß zwölf Prozent der Bevölkerung aus – aber 40 Prozent der neuen Ansteckungen finden in ihrem Sektor statt.
Warum liegen die Fallzahlen bei den Ultra-orthodoxen deutlich über dem Landesdurchschnitt?
Die absolute Leere in meiner Imbissstube ist ein Schlag für die Seele. Imbissbetreiber Hussen Hojjazi