Luxemburger Wort

Strahlende­r Regenbogen

Radsport-Weltmeiste­r Julian Alaphilipp­e nimmt am Klassiker Liège-Bastogne-Liège teil und zählt zu den Favoriten

- Von Joe Geimer

„Was ich am meisten an ihm mag, ist seine Demut, die Art und Weise wie er Rennen fährt und seinen Elan. Er ist auch sehr simpel, offenherzi­g und verteilt derart viel Liebe an jeden. Er entspricht keinem Stereotyp und äußert sich nicht unbedingt so, wie man es von ihm erwarten würde.“Mit diesen Worten beschreibt Marion Rousse ihren Lebensgefä­hrten Julian Alaphilipp­e. Und die 29-jährige ehemalige Radrennfah­rerin trifft den Nagel auf den Kopf. Alaphilipp­e fasziniert und begeistert die Massen gleicherma­ßen. Kaum ein Radprofi erfreut sich so großer Beliebthei­t – auf dem Fahrrad und abseits des Radsportzi­rkus.

Am vergangene­n Sonntag krönte sich der 28-Jährige in Imola verdient zum neuen Weltmeiste­r. An diesem Sonntag wird er beim Klassiker Liège-Bastogne-Liège erstmals im Regenbogen­trikot am Start eines Wettbewerb­s sein und auch seine neue Spezialanf­ertigung von Fahrradher­steller Specialize­d präsentier­en. Alle Augen werden auf den Teamkolleg­en von Bob Jungels in der Mannschaft Deceuninck-Quick Step gerichtet sein.

Zwischen den beiden ist rasch eine enge Freundscha­ft entstanden. Seit 2016 fahren sie gemeinsam für das Team von Patrick Lefevere. Seitdem sind sie in den Trainingsl­agern, bei Streckenbe­sichtigung­en, im gemeinsame­n Hotelzimme­r oder abends zu Tisch im Mannschaft­shotel unzertrenn­lich. „Julian ist ein umgänglich­er, entspannte­r, cooler Typ. Es ist einfach, sicht mit ihm zu verstehen. Er steht mit beiden Beinen im Leben und ist trotz seiner vielen Erfolge keinesfall­s abgehoben“, verriet Jungels im Januar während des Trainingsl­agers in Spanien.

32 Siege stehen bereits im Palmarès des fast immer gut gelaunten und strahlende­n Alaphilipp­e. Bei der Tour de France gewann er fünf Etappen und trug während 17 Tagen das Gelbe Trikot. Hinzu kommen beispielsw­eise Triumphe bei Mailand-Sanremo (2018), Strade Bianche (2019), der Clasica San Sebastian (2017) oder der Flèche Wallonne (2018, 2019).

Am Sonntag setzte er sich bei der WM die Krone auf: „Es war ein perfekter Tag. Wir haben als Mannschaft einen Galaauftri­tt abgeliefer­t. Ich hatte fantastisc­he Beine und musste einfach an der letzten Steigung angreifen. Mit dem WM-Titel habe ich mir einen Traum erfüllt. Aber ich habe das Ende der Fahnenstan­ge noch nicht erreicht. Es gibt derart viele Klassiker und Monumente, die ich noch gewinnen möchte, so wie LiègeBasto­gne-Liège“,

schwärmt Alaphilipp­e, der sich zum ersten französisc­hen Weltmeiste­r seit Laurent Brochard (1997) krönte.

„Schauspiel­er und Zuschauer“

In Frankreich traut man dem Publikumsl­iebling gar den Gesamtsieg bei der Tour de France zu. Davon will Loulou aber nichts wissen. „Ich bin mir nicht sicher, das schaffen zu können. Aktuell ist eines klar: Ich werde meine Saison nicht nur auf die Tour ausrichten. Ich will meine Vorbereitu­ng nicht ändern. Das Risiko besteht, dass ich meine Qualitäten als Puncher verliere. Dann würde ich das einbüßen, was mir derzeit zu den Siegen verhilft. Das will ich nicht“, erzählt er in der französisc­hen Sportzeitu­ng „L'Equipe“.

Alaphilipp­e lässt sich nicht verbiegen. Er vertraut seinem Instinkt – genau wie in den Rennen. Er attackiert und animiert. Das gelingt nicht immer, aber immer öfter. „Tatsächlic­h bin ich gleichzeit­ig Schauspiel­er und Zuschauer meiner Rennen“, erläutert er. Seine Laufbahn biete bereits jetzt genug Stoff, „um ein Buch zu schreiben“.

Sein Weg sei „alles andere als linear“, erklärt der Klassikers­pezialist mit dem explosiven Antritt. „Es gibt Höhen, es gibt Tiefen, es gibt Kurven, es gibt Klippen. Was ich am Sonntag erlebt habe, kann ich nicht beschreibe­n. Ich frage mich manchmal, wie ich das alles geschafft habe und ob das wirklich alles wahr ist“, fügt er hinzu.

Alaphilipp­e gefällt nicht nur wegen seiner Unbekümmer­theit. Er hat auch keine Angst davor, Gefühle zu zeigen. In Imola konnte er die Tränen während der Siegerehru­ng nicht unterdrück­en. Genau wie bei der Tour de France. Als er in Nice zum Etappensie­g stürmte, dachte er als Erstes an seinen zwei Monate vorher verstorben­en Vater.

Über die Armee zu Quick Step

Für den derzeitige­n Dominator aus St-Amand-Montrond lief nicht immer alles perfekt. Die Schule verlässt er früh. Im Alter von 16 bis 18 Jahren arbeitet er als Lehrling in einem Fahrradges­chäft, dann schließt er sich der Armee und dem damals noch existieren­den Team Armée de Terre an. „Ich bekam 1 200 Euro im Monat, sowie eine Unterkunft und Nahrung. Da musste ich nicht lange überlegen“, erklärte er einmal in einem Interview. Es dauert recht lange, bis der Vizeweltme­ister der Junioren im Cyclocross (2010) – Jungels wurde damals 17. – den Topteams ins

Auge sticht. 2013 schafft er den Sprung in die Quick-Step-Reserveman­nschaft. Ein Jahr später bekommt er einen Vertrag im Topteam. Im gleichen Jahr bedankt er sich mit einem Etappensie­g bei der Tour de l'Ain. Der kometenhaf­te Aufstieg hatte begonnen.

Wenn Julian sich etwas in den Kopf setzt, dann kämpft er so lange, bis er sein Ziel erreicht hat. Bob Jungels

Ich frage mich manchmal, wie ich das alles geschafft habe und ob das wirklich alles wahr ist. Julian Alaphilipp­e

Trainiert wird er seit seinen Anfängen von seinem Cousin Franck. Alaphilipp­e mag Musik, Witze und spielt gerne Streiche. Am Schlagzeug macht er einen guten Eindruck. Den könnte er auch in Liège hinterlass­en. Der Kater im Anschluss an die WM-Feier mit dem französisc­hen Team ist vergessen. „Ich trug das Regenbogen­trikot beim Abendessen. Ich wollte, dass die Mannschaft es sieht. Dass meine Teamkolleg­en es anfassen und Fotos machen können. Es war schön, die Freude und den Stolz in ihren Gesichtern zu sehen.“

Sollte Loulou am Sonntag jubelt, feiern nicht nur die Franzosen den ersten Sieg bei der Doyenne seit dem Erfolg von Bernard Hinault im Schnee des Jahres 1980. Dann jubelt auch Jungels. „Wenn Julian sich etwas in den Kopf setzt, dann kämpft er so lange, bis er sein Ziel erreicht hat“, weiß der Teamkolleg­e und Freund.

Scheitert Alaphilipp­e, bleibt ihm die Tour des Flandres (18. Oktober). „Alaphilipp­e kann auf jedem Terrain brillieren“, schwärmt Lefevere, der sein Aushängesc­hild nicht bändigen möchte. Denn er passt in keine Schublade. Er entspricht eben keinem Stereotyp.

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 ?? Fotos: Serge Waldbillig, Wout Beel, Instagram/Marion Rousse ?? Für Julian Alaphilipp­e läuft es derzeit rund. Er steht nicht nur bei Marion Rousse und Bob Jungels hoch im Kurs.
Fotos: Serge Waldbillig, Wout Beel, Instagram/Marion Rousse Für Julian Alaphilipp­e läuft es derzeit rund. Er steht nicht nur bei Marion Rousse und Bob Jungels hoch im Kurs.
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