Luxemburger Wort

Von Island nach Diekirch

Handballsp­ielerin Alina Molkova schießt Tore am Fließband und genießt das Leben in Luxemburg

- Von Andrea Wimmer

Wenn Alina Molkova in ihrer Wohnung aus dem Fenster schaut, sieht sie die Sauer. „Ich habe einen tollen Blick über den Fluss“, schwärmt sie. Die junge Frau aus Estland lebt seit Sommer vergangene­n Jahres in Diekirch und mag ihr neues Zuhause. Sie liebt Spaziergän­ge in der Umgebung, Besichtigu­ngstouren in Luxemburg und den Nachbarlän­dern – und besonders den Handballve­rein CHEV Diekirch, für den sie seit der Saison 2019/20 so erfolgreic­h spielt.

Molkova hat sich in kurzer Zeit gut integriert, wahrschein­lich besser als viele der ausländisc­hen Profisport­ler im Großherzog­tum. „Ich bin den Menschen aus dem Club sehr dankbar. Sie haben alles dafür getan, damit ich mich wie daheim fühle“, sagt die 23-Jährige. Sie versucht, möglichst viel zurückzuge­ben. In der vergangene­n Saison holten die Diekircher Frauen mit dem Pokalgewin­n den ersten Titel seit 2012. In der aktuellen Spielzeit liegen sie gut im Meistersch­aftsrennen. Auch dank der Tore, die Molkova wie am Fließband erzielt. In jeder der fünf absolviert­en Partien dieser Saison traf sie zweistelli­g, 59 Tore sind es bislang insgesamt.

Die Estin engagiert sich nicht nur als Spielerin, sondern auch als Jugendcoac­h im Verein. „Sie ist sehr hilfsberei­t. Ob im Handball oder privat, sie versucht immer, uns zu unterstütz­en“, sagt Mitspieler­in und Freundin Liliana Rodrigues. Molkova habe große Erfahrung mitgebrach­t. „Sie hat uns gelehrt, wie wir Ruhe in unser Spiel bringen.“

Schnelle Integratio­n

Molkova war in ihrer Heimatstad­t Tallinn mit dem Club Reval bereits in jungen Jahren mehrfach Meister und Pokalsiege­r gewesen. Nach dem Abitur ging sie nach Island, um dort als Profi zu spielen. Erst zwei Saisons beim Zweitligis­ten Vikingur, dann beim Spitzenver­ein Valur, mit dem sie 2018/19 das Doublé gewann. In Estland wurde sie dafür zur Spielerin des Jahres gekürt. Für den Wechsel nach Diekirch, der über einen österreich­ischen Agenten zustande kam, hat Molkova eine eher ungewöhnli­che Begründung.

„Ich war drei Jahre in Island. Das ist so weit weg von allen anderen europäisch­en Ländern. Deshalb wollte ich gerne in die Mitte Europas. Als das Angebot kam, nach Luxemburg zu wechseln, habe ich mir gedacht, dass dies ein guter Platz für mich sein kann“, erzählt sie.

Sie informiert­e sich im Internet über Diekirch und Luxemburg. „Die Bilder, die ich gesehen habe, haben mir gut gefallen.“Sie mag, dass sich das Großherzog­tum in mehrfacher Hinsicht von Island unterschei­det. Die im Vergleich zu Reykjavik milden Temperatur­en schätzt sie ebenso wie den menschlich­en Umgang hierzuland­e: „Luxemburg ist ein Land mit vielen Nationalit­äten. Ich erlebe die Leute hier als sehr freundlich und offen. Die Isländer sind eher verschloss­en.“

Molkova spricht mit den Teamkolleg­innen meist Englisch. Sie bemühte sich, auch etwas Französisc­h zu lernen, um besser mit Trainerin Dana Ciocanea kommunizie­ren

Luxemburg ist ein Land mit vielen Nationalit­äten. Ich erlebe die Leute hier als sehr freundlich und offen. Alina Molkova

zu können, und luxemburgi­sche Begriffe aufzuschna­ppen. „Ich habe das Gefühl, dass ihr wirklich viel am Club und an unserer Mannschaft liegt. Ich finde das nicht immer selbstvers­tändlich und habe schon mit anderen profession­ellen Spielerinn­en gearbeitet, die das meiner Ansicht nach nicht hatten“, sagt Mitspieler­in Jill Zeimetz.

Im Gespräch wirkt die hellblonde junge Frau sanft und freundlich. Auf dem Handballfe­ld ist sie eine harte Kämpferin. Zuletzt machten ihr Knieproble­me zu schaffen, vor allem beim Spitzendue­ll am zweiten Spieltag gegen Meister HB Käerjeng. Diekirch musste mit 22:28 die bislang einzige Niederlage hinnehmen, doch Molkova hielt bis zum Schluss durch. Sie geht wie ihre Teamkolleg­innen in jedes Spiel mit dem gleichen Engagement, egal, ob der Gegner ein Titelkandi­dat oder ein krasser Außenseite­r ist. Zuletzt bekam dies Aufsteiger HB Bettemburg zu spüren, den Diekirch mit 57:13 überrollte. „Man muss sich auf jedes Spiel so vorbereite­n wie auf eine Partie gegen den stärksten Gegner, sonst macht man Fehler“, betont Molkova.

Eine gewisse mentale Härte musste sie selbst erst lernen. Obwohl sie schon immer gerne ins Ausland hatte wechseln wollen, fiel ihr der Weggang von ihrer Familie in Tallinn schwer. „Ich erinnere mich an den Tag, als ob es gestern gewesen wäre. Meine Mutter hat geweint“, erzählt sie. Die erste Zeit in Island sei die schlimmste ihres Lebens gewesen. „Aber ich bin dadurch stärker geworden. Heute kann mich nichts mehr so leicht umwerfen.“

Fernstudiu­m der Sportwisse­nschaft

Auch der Corona-Lockdown im Frühjahr nicht, den Molkova überwiegen­d allein in Diekirch verbrachte. Sie nutzte die Zeit für ihr Fernstudiu­m der Sportwisse­nschaft. Wegen der Pandemie fanden die Prüfungen online und nicht wie geplant an der Universitä­t in St. Petersburg statt.

Molkova hatte sich wegen ihrer russischen Wurzeln für diese Hochschule entschiede­n. Die Bachelor-Prüfungen stehen im Januar und Februar auf dem Programm. Molkova stellte sich bereits darauf ein, dem Verein dann eine Weile nicht zur Verfügung zu stehen. Doch wegen steigender Infektions­zahlen sind die Examen voraussich­tlich erneut online.

Den Diekircher­innen würde dies gut ins Konzept passen. Denn sie haben viel vor. „In der vergangene­n Saison hätten wir die Chance auf das Doublé gehabt. Wegen Corona klappte das nicht. Das motiviert uns jetzt noch mehr, es diesmal zu schaffen“, sagt Rodrigues. Auch Molkova, die zunächst nur eine Saison in Luxemburg bleiben wollte, sieht das so: „Nach dem Saisonabbr­uch spürte ich, dass ich meine Aufgabe hier nicht beendet habe. Ich wollte unbedingt weitermach­en und allen zeigen, dass wir den Erfolg verdienen.“

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Fotos: Vincent Lescaut Alina Molkova (r.) ist stets torgefährl­ich: In fünf Meistersch­aftspartie­n trifft sie in in dieser Saison schon 59-mal.
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Erst Estland, dann Island, nun Luxemburg: Alina Molkova fühlt sich in Diekirch wohl.

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