Von Island nach Diekirch
Handballspielerin Alina Molkova schießt Tore am Fließband und genießt das Leben in Luxemburg
Wenn Alina Molkova in ihrer Wohnung aus dem Fenster schaut, sieht sie die Sauer. „Ich habe einen tollen Blick über den Fluss“, schwärmt sie. Die junge Frau aus Estland lebt seit Sommer vergangenen Jahres in Diekirch und mag ihr neues Zuhause. Sie liebt Spaziergänge in der Umgebung, Besichtigungstouren in Luxemburg und den Nachbarländern – und besonders den Handballverein CHEV Diekirch, für den sie seit der Saison 2019/20 so erfolgreich spielt.
Molkova hat sich in kurzer Zeit gut integriert, wahrscheinlich besser als viele der ausländischen Profisportler im Großherzogtum. „Ich bin den Menschen aus dem Club sehr dankbar. Sie haben alles dafür getan, damit ich mich wie daheim fühle“, sagt die 23-Jährige. Sie versucht, möglichst viel zurückzugeben. In der vergangenen Saison holten die Diekircher Frauen mit dem Pokalgewinn den ersten Titel seit 2012. In der aktuellen Spielzeit liegen sie gut im Meisterschaftsrennen. Auch dank der Tore, die Molkova wie am Fließband erzielt. In jeder der fünf absolvierten Partien dieser Saison traf sie zweistellig, 59 Tore sind es bislang insgesamt.
Die Estin engagiert sich nicht nur als Spielerin, sondern auch als Jugendcoach im Verein. „Sie ist sehr hilfsbereit. Ob im Handball oder privat, sie versucht immer, uns zu unterstützen“, sagt Mitspielerin und Freundin Liliana Rodrigues. Molkova habe große Erfahrung mitgebracht. „Sie hat uns gelehrt, wie wir Ruhe in unser Spiel bringen.“
Schnelle Integration
Molkova war in ihrer Heimatstadt Tallinn mit dem Club Reval bereits in jungen Jahren mehrfach Meister und Pokalsieger gewesen. Nach dem Abitur ging sie nach Island, um dort als Profi zu spielen. Erst zwei Saisons beim Zweitligisten Vikingur, dann beim Spitzenverein Valur, mit dem sie 2018/19 das Doublé gewann. In Estland wurde sie dafür zur Spielerin des Jahres gekürt. Für den Wechsel nach Diekirch, der über einen österreichischen Agenten zustande kam, hat Molkova eine eher ungewöhnliche Begründung.
„Ich war drei Jahre in Island. Das ist so weit weg von allen anderen europäischen Ländern. Deshalb wollte ich gerne in die Mitte Europas. Als das Angebot kam, nach Luxemburg zu wechseln, habe ich mir gedacht, dass dies ein guter Platz für mich sein kann“, erzählt sie.
Sie informierte sich im Internet über Diekirch und Luxemburg. „Die Bilder, die ich gesehen habe, haben mir gut gefallen.“Sie mag, dass sich das Großherzogtum in mehrfacher Hinsicht von Island unterscheidet. Die im Vergleich zu Reykjavik milden Temperaturen schätzt sie ebenso wie den menschlichen Umgang hierzulande: „Luxemburg ist ein Land mit vielen Nationalitäten. Ich erlebe die Leute hier als sehr freundlich und offen. Die Isländer sind eher verschlossen.“
Molkova spricht mit den Teamkolleginnen meist Englisch. Sie bemühte sich, auch etwas Französisch zu lernen, um besser mit Trainerin Dana Ciocanea kommunizieren
Luxemburg ist ein Land mit vielen Nationalitäten. Ich erlebe die Leute hier als sehr freundlich und offen. Alina Molkova
zu können, und luxemburgische Begriffe aufzuschnappen. „Ich habe das Gefühl, dass ihr wirklich viel am Club und an unserer Mannschaft liegt. Ich finde das nicht immer selbstverständlich und habe schon mit anderen professionellen Spielerinnen gearbeitet, die das meiner Ansicht nach nicht hatten“, sagt Mitspielerin Jill Zeimetz.
Im Gespräch wirkt die hellblonde junge Frau sanft und freundlich. Auf dem Handballfeld ist sie eine harte Kämpferin. Zuletzt machten ihr Knieprobleme zu schaffen, vor allem beim Spitzenduell am zweiten Spieltag gegen Meister HB Käerjeng. Diekirch musste mit 22:28 die bislang einzige Niederlage hinnehmen, doch Molkova hielt bis zum Schluss durch. Sie geht wie ihre Teamkolleginnen in jedes Spiel mit dem gleichen Engagement, egal, ob der Gegner ein Titelkandidat oder ein krasser Außenseiter ist. Zuletzt bekam dies Aufsteiger HB Bettemburg zu spüren, den Diekirch mit 57:13 überrollte. „Man muss sich auf jedes Spiel so vorbereiten wie auf eine Partie gegen den stärksten Gegner, sonst macht man Fehler“, betont Molkova.
Eine gewisse mentale Härte musste sie selbst erst lernen. Obwohl sie schon immer gerne ins Ausland hatte wechseln wollen, fiel ihr der Weggang von ihrer Familie in Tallinn schwer. „Ich erinnere mich an den Tag, als ob es gestern gewesen wäre. Meine Mutter hat geweint“, erzählt sie. Die erste Zeit in Island sei die schlimmste ihres Lebens gewesen. „Aber ich bin dadurch stärker geworden. Heute kann mich nichts mehr so leicht umwerfen.“
Fernstudium der Sportwissenschaft
Auch der Corona-Lockdown im Frühjahr nicht, den Molkova überwiegend allein in Diekirch verbrachte. Sie nutzte die Zeit für ihr Fernstudium der Sportwissenschaft. Wegen der Pandemie fanden die Prüfungen online und nicht wie geplant an der Universität in St. Petersburg statt.
Molkova hatte sich wegen ihrer russischen Wurzeln für diese Hochschule entschieden. Die Bachelor-Prüfungen stehen im Januar und Februar auf dem Programm. Molkova stellte sich bereits darauf ein, dem Verein dann eine Weile nicht zur Verfügung zu stehen. Doch wegen steigender Infektionszahlen sind die Examen voraussichtlich erneut online.
Den Diekircherinnen würde dies gut ins Konzept passen. Denn sie haben viel vor. „In der vergangenen Saison hätten wir die Chance auf das Doublé gehabt. Wegen Corona klappte das nicht. Das motiviert uns jetzt noch mehr, es diesmal zu schaffen“, sagt Rodrigues. Auch Molkova, die zunächst nur eine Saison in Luxemburg bleiben wollte, sieht das so: „Nach dem Saisonabbruch spürte ich, dass ich meine Aufgabe hier nicht beendet habe. Ich wollte unbedingt weitermachen und allen zeigen, dass wir den Erfolg verdienen.“