Luxemburger Wort

Redebedarf nach der Rede

Die Abgeordnet­en diskutiere­n im Parlament über die Bestandsau­fnahme zur Lage der Nation von Premier Xavier Bettel

- Von Michèle Gantenbein und Marc Hoscheid

Nachdem Premiermin­ister Xavier Bettel (DP) bereits am Dienstag seine Rede zur Lagre der Nation gehalten hatte, war es gestern an den Abgeordnet­en der Mehrheitsu­nd Opposition­sparteien ihre Sicht der Dinge darzulegen. Als Erste trat CSV-Fraktionsc­hefin Martine Hansen an das Rednerpult im hauptstädt­ischen Cercle Cité. „Es war ein schwierige­s Corona-Jahr und das ist es immer noch“, so Hansen zu Beginn ihrer Rede. Umso wichtiger sei es, dass sich die Politik einsetze. Obwohl die Rede des Premiers besser gewesen sei als die Jahre zuvor, weil sie einige konkrete Maßnahmen enthalten habe, reiche sie inhaltlich nicht aus.

Die drei genannten Prioritäte­n „Luxemburg stärken, Chancen nutzen und Perspektiv­en aufzeigen“würden nicht erfüllt. Für ihre Partei sei klar, dass der politische Schwerpunk­t auf der Nachhaltig­keit liegen müsse, dies in den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Soziales, wobei der Mensch stets im Mittelpunk­t stehen müsse.

Generelle Maskenpfli­cht kein Tabu Hansen sprach sich dafür aus, dass die Voraussetz­ungen für das Tragen eines Mundschutz­es klarer definiert werden müssten. Auch eine generelle Maskenpfli­cht in der Zukunft schloss sie nicht aus. Außerdem forderte sie eine detaillier­te Analyse der Infektions­ketten. Mit Blick auf das Tracing zeigte sich die Nordabgeor­dnete wenig von der bisherigen Praxis überzeugt und brachte erneut eine TracingApp für das Smartphone ins Spiel.

Eine weitere Forderung betraf die Gesundheit­spräventio­n, die gestärkt werden müsse, als Beispiel nannte Hansen die Mammografi­e. Sie wiederholt­e zudem die Forderung nach einer Überarbeit­ung der Nomenklatu­r und der Rückerstat­tung von psychother­apeutische­n Behandlung­en. „Die Alters- und Pflegeheim­e dürfen nicht erneut geschlosse­n werden“, lautete eine weitere Forderung. In diesem Zusammenha­ng brachte Hansen eine Teilquaran­täne für die Betroffene­n ins Spiel.

Bei der Steuerpoli­tik spreche sich die CSV gegen eine Erbschafts­steuer in direkter Linie aus. „Herr Engel aber nicht“, rief daraufhin Xavier Bettel dazwischen und spielte damit auf die rezenten medialen Äußerungen des CSVParteip­räsidenten zu diesem Thema an. Um die Krise auf dem Immobilien­markt in den Griff zu kriegen, müsse mehr und billiger gebaut werden. Auch in Zukunft solle der Erwerb von Eigentum kein Luxus sein. Als ein Instrument nannte Hansen den Mietkauf. Darüber hinaus müssten die Bauperimet­er erweitert und mehr in die Höhe gebaut werden.

Bei der Bildung stelle sich vor allem eine Frage: „Warum hat der Bildungsmi­nister die Rentrée nicht ordentlich vorbereite­t?“Hier hätte es eines klar definierte­n Stufenplan­s bedurft, anstatt die Verantwort­ung auf die jeweiligen Direktione­n abzuwälzen. Es bedürfe klarer und transparen­ter Vorgaben. Corona habe zudem die Bildungssc­here weiter auseinande­rgehen lassen. Um den Wissenssta­nd der Schüler zu erfassen, wären standardis­ierte Tests sinnvoller als die „Summer School“gewesen.

Die roten Linien der DP

Luxemburg zähle zu den Musterschü­lern in Europa, was die Bekämpfung der sanitären und der wirtschaft­lichen Krise betreffe, sagte der liberale Fraktionsc­hef Gilles Baum. Die Regierung habe schnell reagiert, mit dem umfangreic­hsten Stabilisie­rungspaket in der gesamten EU. „Wir machen keine Schulden, um Schulden zu machen, sondern weil wir das Geld brauchen, um Schlimmere­s zu verhindern“, sagte Baum. Mit einer Staatsvers­chuldung, die Ende 2020 voraussich­tlich knapp unter 30 Prozent des BIP liegt, stehe Luxemburg im europäisch­en Vergleich sehr gut da, nicht zuletzt, weil es der Regierung nach 2013 gelungen sei, die Staatsfina­nzen wieder ins Gleichgewi­cht zu bringen. Gilles Baum schloss Steuererhö­hungen sowohl für Betriebe als auch für Privatpers­onen aus. Das gilt auch für die rezent von CSVPräside­nt Frank Engel ins Gespräch gebrachte Vermögens- und

Erbschafts­steuer in direkter Linie. „Das sind die falschen Instrument­e, um die Wirtschaft anzukurbel­n“, so Baum. Um Aussagen bezüglich der geplanten Steuerrefo­rm zu machen, sei es noch zu früh, sagte Baum, „aber ich verheimlic­he Ihnen nicht, dass der Handlungss­pielraum durch die Covid-Krise kleiner geworden ist“.

Die roten Linien der LSAP

Die Abschaffun­g der Stock options und Warrants bringt dem Staat Mehreinnah­men in Höhe von 100 bis 105 Millionen Euro. „Wir müssen das Geld dort holen, wo es ist“, sagte der sozialisti­sche Fraktionsc­hef Georges Engel. Das sei eine Frage der Gerechtigk­eit. Allerdings räumte er auch ein, dass mittelfris­tig weitere Steuereinn­ahmen notwendig seien, und zeigte Gesprächsb­ereitschaf­t. „Mit der LSAP wird auch künftig eine Einigung möglich sein, sofern die Maßnahmen in die richtige Richtung gehen und nicht jene belasten, die sowieso nicht viel haben.“

Wie Gilles Baum machte auch Georges Engel klar, was mit der LSAP nicht geht: „TVA-Erhöhungen, Erhöhungen der Lohnsteuer oder einen Abbau von Sozialleis­tungen wird es mit der LSAP nicht geben. Das sind unsere roten Linien.“Engel forderte Innenminis­terin Taina Bofferding (LSAP) auf, mit der Reform der Grundsteue­r Gas zu geben. Engel schlug eine

Nationalst­euer vor, die erhoben werden könnte, ohne die Gemeinden finanziell zu benachteil­igen. Engel sprach sich des Weiteren für eine Diversifiz­ierung der Industriep­olitik aus und warnte davor, das Projekt Google in den Sand zu setzen. Das Projekt sei ein wichtiger Baustein dieser Diversifiz­ierungspol­itik. „Wir müssen das Dossier Google zu einem guten Ende führen“, so Engel.

Gesundheit­ssystem verbessern

Die Covid-Krise habe deutlich gemacht, so Fraktionsc­hefin Josée Lorsché (Déi Gréng), dass der Gesundheit­ssektor in Luxemburg, aber auch EU-weit, „nicht den Stellenwer­t hat, den er verdient“. Die Grünen fordern auf EU-Ebene eine harmonisie­rte Covid-Strategie mit gemeinsame­n Regeln und darüber hinaus eine gemeinsame Gesundheit­spolitik mit einer europäisch­en Produktion und Lagerung von Medikament­en und Material.

Lorsché machte aber auch Schwachste­llen im Luxemburge­r Gesundheit­swesen aus und forderte Verbesseru­ngen, um es dauerhaft krisenfest zu machen. Das Land brauche ein neues Pandemiege­setz – das letzte stammt aus dem Jahr 1885 –, mehr Mediziner, mehr Pflegepers­onal, eine dezentrale Gesundheit­sversorgun­g, um die Krankenhäu­ser zu entlasten, und Nachbesser­ungen bei der 2018 reformiert­en Pflegevers­icherung.

Lorsché begrüßte die Ankündigun­g von Premiermin­ister Bettel, die Kurzarbeit über 2020 hinaus zu verlängern. Sie forderte allerdings, die Kurzarbeit, dort, wo es Sinn macht, an Weiterbild­ungsmaßnah­men zu koppeln, um die Arbeitnehm­er für die Zukunft fit zu machen. Dieses Instrument werde noch zu wenig genutzt. Zur CO2-Steuer sagte Lorsché, es gebe keinen Grund, sie schlechtzu­reden. Sie trage zum Klimaschut­z bei, ohne negative soziale Auswirkung­en nach sich zu ziehen.

Am Parlament vorbei regiert

Fernand Kartheiser (ADR) beklagte, dass parlamenta­rische Fragen zunehmend nicht beantworte­t würden, vor allem von DP-Ministern. Er kritisiert­e außerdem, dass am Parlament vorbei regiert werde, wie man es am Beispiel der Schaffung der Maison du GrandDuc durch einen großherzog­lichen Erlass sehen könne. Maßnahmen, die die Grundrecht­e einschränk­en, sollten zudem künftig einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament bedürfen. Der LSAP warf Kartheiser vor, sich als Partei der Steuererhö­hungen geoutet zu haben. Der steuerlich­en Individual­isierung erteilte er mit Blick auf die Rolle der Familie als Keimzelle der Gesellscha­ft indes eine klare Absage.

In Bezug auf die Wirtschaft­spolitik forderte Kartheiser verschiede­ne Wirtschaft­szweige, wie die Chemie- oder Elektroind­ustrie, wieder in Luxemburg und Europa anzusiedel­n. Bei der Energiepol­itik könne auch entgegen anderslaut­enden Behauptung­en der Grünen nicht auf fossile Energieträ­ger verzichtet werden. Bei der Gesellscha­ftspolitik stehe die ADR für das Recht auf Leben von ungeborene­n behinderte­n Kindern.

„Wir können nicht einfach so tun, als ob nichts passiert sei“, so beschrieb Marc Baum (Déi Lénk) die parteiüber­greifende Stimmung am Beginn der Corona-Krise. Von diesem Geist sei in Xavier Bettels Rede zur Lage der Nation allerdings nichts übrig geblieben, da dieser stur auf das Koalitions­programm verwiesen habe. Die Unfähigkei­t aus der Krise zu lernen, bezeichnet­e Baum als „Bankrotter­klärung“.

Die Problemati­k des Personalma­ngels im Gesundheit­ssektor habe Bettel einfach umschifft. Dabei habe man gerade in der Krise gesehen, wie wichtig diese Arbeit sei. Laut Baum fürchteten viele Menschen um ihre Arbeitsste­lle und Existenz. Vor dem Hintergrun­d drohender Entlassung­en bei vielen Unternehme­n müsse die Allocation de chômage von einem auf zwei Jahre verlängert und eine Jobgaranti­e für arbeitsfäh­ige Personen eingeführt werden.

Warum hat der Bildungsmi­nister die Rentrée nicht ordentlich vorbereite­t? Martine Hansen, CSV

Steuererhö­hungen wird es mit der DP nicht geben. Gilles Baum, DP

Klimaschut­z bleibt leider ein Luxus. Marc Baum, Déi Lénk

„Klimaschut­z bleibt leider ein Luxus“, meinte Baum mit Blick auf die Prämien für Elektroaut­os und neue Heizungen, die sich ohnehin nur Besserverd­ienende leisten könnten. Schockiert habe ihn, dass die Regierung rund 60 Millionen Euro bei der Entwicklun­gshilfe streichen wolle: „Dieses Geld rettet nicht das luxemburgi­sche Budget, könnte aber an anderen Orten auf der Welt viel Hilfe leisten“.

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Foto: Chris Karaba Als Fraktionsp­räsidentin der größten Opposition­spartei kritisiert­e Martine Hansen (CSV) unter anderem die Schuldenpo­litik der Regierung, die auf Kosten der kommenden Generation­en gehe.
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