Redebedarf nach der Rede
Die Abgeordneten diskutieren im Parlament über die Bestandsaufnahme zur Lage der Nation von Premier Xavier Bettel
Nachdem Premierminister Xavier Bettel (DP) bereits am Dienstag seine Rede zur Lagre der Nation gehalten hatte, war es gestern an den Abgeordneten der Mehrheitsund Oppositionsparteien ihre Sicht der Dinge darzulegen. Als Erste trat CSV-Fraktionschefin Martine Hansen an das Rednerpult im hauptstädtischen Cercle Cité. „Es war ein schwieriges Corona-Jahr und das ist es immer noch“, so Hansen zu Beginn ihrer Rede. Umso wichtiger sei es, dass sich die Politik einsetze. Obwohl die Rede des Premiers besser gewesen sei als die Jahre zuvor, weil sie einige konkrete Maßnahmen enthalten habe, reiche sie inhaltlich nicht aus.
Die drei genannten Prioritäten „Luxemburg stärken, Chancen nutzen und Perspektiven aufzeigen“würden nicht erfüllt. Für ihre Partei sei klar, dass der politische Schwerpunkt auf der Nachhaltigkeit liegen müsse, dies in den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Soziales, wobei der Mensch stets im Mittelpunkt stehen müsse.
Generelle Maskenpflicht kein Tabu Hansen sprach sich dafür aus, dass die Voraussetzungen für das Tragen eines Mundschutzes klarer definiert werden müssten. Auch eine generelle Maskenpflicht in der Zukunft schloss sie nicht aus. Außerdem forderte sie eine detaillierte Analyse der Infektionsketten. Mit Blick auf das Tracing zeigte sich die Nordabgeordnete wenig von der bisherigen Praxis überzeugt und brachte erneut eine TracingApp für das Smartphone ins Spiel.
Eine weitere Forderung betraf die Gesundheitsprävention, die gestärkt werden müsse, als Beispiel nannte Hansen die Mammografie. Sie wiederholte zudem die Forderung nach einer Überarbeitung der Nomenklatur und der Rückerstattung von psychotherapeutischen Behandlungen. „Die Alters- und Pflegeheime dürfen nicht erneut geschlossen werden“, lautete eine weitere Forderung. In diesem Zusammenhang brachte Hansen eine Teilquarantäne für die Betroffenen ins Spiel.
Bei der Steuerpolitik spreche sich die CSV gegen eine Erbschaftssteuer in direkter Linie aus. „Herr Engel aber nicht“, rief daraufhin Xavier Bettel dazwischen und spielte damit auf die rezenten medialen Äußerungen des CSVParteipräsidenten zu diesem Thema an. Um die Krise auf dem Immobilienmarkt in den Griff zu kriegen, müsse mehr und billiger gebaut werden. Auch in Zukunft solle der Erwerb von Eigentum kein Luxus sein. Als ein Instrument nannte Hansen den Mietkauf. Darüber hinaus müssten die Bauperimeter erweitert und mehr in die Höhe gebaut werden.
Bei der Bildung stelle sich vor allem eine Frage: „Warum hat der Bildungsminister die Rentrée nicht ordentlich vorbereitet?“Hier hätte es eines klar definierten Stufenplans bedurft, anstatt die Verantwortung auf die jeweiligen Direktionen abzuwälzen. Es bedürfe klarer und transparenter Vorgaben. Corona habe zudem die Bildungsschere weiter auseinandergehen lassen. Um den Wissensstand der Schüler zu erfassen, wären standardisierte Tests sinnvoller als die „Summer School“gewesen.
Die roten Linien der DP
Luxemburg zähle zu den Musterschülern in Europa, was die Bekämpfung der sanitären und der wirtschaftlichen Krise betreffe, sagte der liberale Fraktionschef Gilles Baum. Die Regierung habe schnell reagiert, mit dem umfangreichsten Stabilisierungspaket in der gesamten EU. „Wir machen keine Schulden, um Schulden zu machen, sondern weil wir das Geld brauchen, um Schlimmeres zu verhindern“, sagte Baum. Mit einer Staatsverschuldung, die Ende 2020 voraussichtlich knapp unter 30 Prozent des BIP liegt, stehe Luxemburg im europäischen Vergleich sehr gut da, nicht zuletzt, weil es der Regierung nach 2013 gelungen sei, die Staatsfinanzen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Gilles Baum schloss Steuererhöhungen sowohl für Betriebe als auch für Privatpersonen aus. Das gilt auch für die rezent von CSVPräsident Frank Engel ins Gespräch gebrachte Vermögens- und
Erbschaftssteuer in direkter Linie. „Das sind die falschen Instrumente, um die Wirtschaft anzukurbeln“, so Baum. Um Aussagen bezüglich der geplanten Steuerreform zu machen, sei es noch zu früh, sagte Baum, „aber ich verheimliche Ihnen nicht, dass der Handlungsspielraum durch die Covid-Krise kleiner geworden ist“.
Die roten Linien der LSAP
Die Abschaffung der Stock options und Warrants bringt dem Staat Mehreinnahmen in Höhe von 100 bis 105 Millionen Euro. „Wir müssen das Geld dort holen, wo es ist“, sagte der sozialistische Fraktionschef Georges Engel. Das sei eine Frage der Gerechtigkeit. Allerdings räumte er auch ein, dass mittelfristig weitere Steuereinnahmen notwendig seien, und zeigte Gesprächsbereitschaft. „Mit der LSAP wird auch künftig eine Einigung möglich sein, sofern die Maßnahmen in die richtige Richtung gehen und nicht jene belasten, die sowieso nicht viel haben.“
Wie Gilles Baum machte auch Georges Engel klar, was mit der LSAP nicht geht: „TVA-Erhöhungen, Erhöhungen der Lohnsteuer oder einen Abbau von Sozialleistungen wird es mit der LSAP nicht geben. Das sind unsere roten Linien.“Engel forderte Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) auf, mit der Reform der Grundsteuer Gas zu geben. Engel schlug eine
Nationalsteuer vor, die erhoben werden könnte, ohne die Gemeinden finanziell zu benachteiligen. Engel sprach sich des Weiteren für eine Diversifizierung der Industriepolitik aus und warnte davor, das Projekt Google in den Sand zu setzen. Das Projekt sei ein wichtiger Baustein dieser Diversifizierungspolitik. „Wir müssen das Dossier Google zu einem guten Ende führen“, so Engel.
Gesundheitssystem verbessern
Die Covid-Krise habe deutlich gemacht, so Fraktionschefin Josée Lorsché (Déi Gréng), dass der Gesundheitssektor in Luxemburg, aber auch EU-weit, „nicht den Stellenwert hat, den er verdient“. Die Grünen fordern auf EU-Ebene eine harmonisierte Covid-Strategie mit gemeinsamen Regeln und darüber hinaus eine gemeinsame Gesundheitspolitik mit einer europäischen Produktion und Lagerung von Medikamenten und Material.
Lorsché machte aber auch Schwachstellen im Luxemburger Gesundheitswesen aus und forderte Verbesserungen, um es dauerhaft krisenfest zu machen. Das Land brauche ein neues Pandemiegesetz – das letzte stammt aus dem Jahr 1885 –, mehr Mediziner, mehr Pflegepersonal, eine dezentrale Gesundheitsversorgung, um die Krankenhäuser zu entlasten, und Nachbesserungen bei der 2018 reformierten Pflegeversicherung.
Lorsché begrüßte die Ankündigung von Premierminister Bettel, die Kurzarbeit über 2020 hinaus zu verlängern. Sie forderte allerdings, die Kurzarbeit, dort, wo es Sinn macht, an Weiterbildungsmaßnahmen zu koppeln, um die Arbeitnehmer für die Zukunft fit zu machen. Dieses Instrument werde noch zu wenig genutzt. Zur CO2-Steuer sagte Lorsché, es gebe keinen Grund, sie schlechtzureden. Sie trage zum Klimaschutz bei, ohne negative soziale Auswirkungen nach sich zu ziehen.
Am Parlament vorbei regiert
Fernand Kartheiser (ADR) beklagte, dass parlamentarische Fragen zunehmend nicht beantwortet würden, vor allem von DP-Ministern. Er kritisierte außerdem, dass am Parlament vorbei regiert werde, wie man es am Beispiel der Schaffung der Maison du GrandDuc durch einen großherzoglichen Erlass sehen könne. Maßnahmen, die die Grundrechte einschränken, sollten zudem künftig einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament bedürfen. Der LSAP warf Kartheiser vor, sich als Partei der Steuererhöhungen geoutet zu haben. Der steuerlichen Individualisierung erteilte er mit Blick auf die Rolle der Familie als Keimzelle der Gesellschaft indes eine klare Absage.
In Bezug auf die Wirtschaftspolitik forderte Kartheiser verschiedene Wirtschaftszweige, wie die Chemie- oder Elektroindustrie, wieder in Luxemburg und Europa anzusiedeln. Bei der Energiepolitik könne auch entgegen anderslautenden Behauptungen der Grünen nicht auf fossile Energieträger verzichtet werden. Bei der Gesellschaftspolitik stehe die ADR für das Recht auf Leben von ungeborenen behinderten Kindern.
„Wir können nicht einfach so tun, als ob nichts passiert sei“, so beschrieb Marc Baum (Déi Lénk) die parteiübergreifende Stimmung am Beginn der Corona-Krise. Von diesem Geist sei in Xavier Bettels Rede zur Lage der Nation allerdings nichts übrig geblieben, da dieser stur auf das Koalitionsprogramm verwiesen habe. Die Unfähigkeit aus der Krise zu lernen, bezeichnete Baum als „Bankrotterklärung“.
Die Problematik des Personalmangels im Gesundheitssektor habe Bettel einfach umschifft. Dabei habe man gerade in der Krise gesehen, wie wichtig diese Arbeit sei. Laut Baum fürchteten viele Menschen um ihre Arbeitsstelle und Existenz. Vor dem Hintergrund drohender Entlassungen bei vielen Unternehmen müsse die Allocation de chômage von einem auf zwei Jahre verlängert und eine Jobgarantie für arbeitsfähige Personen eingeführt werden.
Warum hat der Bildungsminister die Rentrée nicht ordentlich vorbereitet? Martine Hansen, CSV
Steuererhöhungen wird es mit der DP nicht geben. Gilles Baum, DP
Klimaschutz bleibt leider ein Luxus. Marc Baum, Déi Lénk
„Klimaschutz bleibt leider ein Luxus“, meinte Baum mit Blick auf die Prämien für Elektroautos und neue Heizungen, die sich ohnehin nur Besserverdienende leisten könnten. Schockiert habe ihn, dass die Regierung rund 60 Millionen Euro bei der Entwicklungshilfe streichen wolle: „Dieses Geld rettet nicht das luxemburgische Budget, könnte aber an anderen Orten auf der Welt viel Hilfe leisten“.