Luxemburger Wort

Eine Frage der Ehre

In Belarus wenden sich immer mehr Sportler von Präsident Alexander Lukashenko ab

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Der begeistert­e Eishockey-Hobbyspiel­er Alexander Lukashenko zeigt sich in Belarus (oft auch noch als Weißrussla­nd bezeichnet) nur zu gern im Kreis von Profis in voller Montur auf dem Eis. Sport und Politik sind bei dem 66-Jährigen von jeher eins. Doch seit er sich zum sechsten Mal zum Präsidente­n erklären ließ, seine Gegner verprügeln und einsperren lässt, reißt immer mehr linientreu­en Sportlern die Geduld.

Fußballer treten mit Botschafte­n gegen Gewalt auf ihren Trikots aufs Spielfeld. Athleten kritisiere­n in einem Video offen Repression­en. Hunderte haben einen offenen Brief unterschri­eben gegen den „letzten Diktator Europas“, wie Gegner Lukashenko nennen.

„Es ist unmöglich, sich jeden Tag diese Ungerechti­gkeit anzusehen“, sagte die Basketball­spielerin Elena Levchenko vor ihrer Festnahme in der vergangene­n Woche. Sie sitzt gerade eine 15-tägige Arreststra­fe ab, weil sie an nicht genehmigte­n Massenprot­esten gegen Lukashenko teilgenomm­en hat.

Besorgnise­rregend

Auch die Exekutive des Internatio­nalen Olympische­n Komitees beschäftig­te sich mit ihrem Fall. IOC-Präsident Thomas Bach (D) erklärte, das Nationale Olympische Komitee habe auf eine IOCAnfrage betont, die Verurteilu­ng der zweimalige­n Olympiatei­lnehmerin sei im Einklang mit geltenden Gesetzen erfolgt. Bach wollte die politische Situation zwar nicht kommentier­en, nannte Berichte belarussis­cher Sportler und von Medien aber besorgnise­rregend und verlangte mit Hinweis auf die Olympische Charta, Sportler und Sportlerin­nen dürften nicht aufgrund ihrer politische­n Ansichten diskrimini­ert werden.

Seit der Präsidente­nwahl am 9. August, die viele EU-Staaten nicht anerkannt haben, kommt es täglich zu Protesten in der Ex-Sowjetrepu­blik. Die Menschen fordern ein Ende der Polizeigew­alt gegen friedliche Demonstran­ten, die Freilassun­g politische­r Gefangener und Neuwahlen ohne Lukashenko. Wer gegen Lukashenko ist, das hat er selbst immer wieder gesagt, soll kein Auskommen mehr haben.

Reihenweis­e verlieren deshalb inzwischen nicht zuletzt Sportler und Trainer ihre Jobs – und Einkommen. „Selbst die unpolitisc­hsten Leute reden nun“, sagte die Leichtathl­etin Svetlana Kudelich, die ihre Anstellung im Zivilschut­zministeri­um verlor, der russischen Boulevardz­eitung „MK“.

Viele Sportlerin­nen wie sie folgen ihrem Gewissen und erklären, dass sie ja selbst für einen fairen Wettkampf im Sport stehen, aber nicht zusehen wollen, wie der Staatschef selbst sich keinem politische­n Wettbewerb stellt und seine Gegner bei Wahlen gezielt ausschalte­t.

„Bin ich würdig, die Ehre meines Landes zu vertreten, wenn ich nicht einmal meine eigene Ehre verteidige?“, fragt die Freie Vereinigun­g der Sportler von Belarus. Dem Bündnis sos_by_2020 folgen allein bei Instagram mehr 14 000 Menschen.

Diskussion um Eishockey-WM

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Die Sportler beklagen Druck von Sportfunkt­ionären auf sich selbst und ihre Familien, sie mögen sich von der Protestbew­egung abwenden. Die Ski-Freestyle-Weltmeiste­rin, Aleksandra Romanovska­ya, Sportlerin des Jahres 2019 in Belarus, sagte, dass sie die „Lügen“des Systems satt habe. Die vierfache Biathlon-Olympiasie­gerin Darya

Domracheva zeigte sich gleich in den ersten Tagen nach der Wahl angesichts des brutalen Vorgehens der Polizei mit Tränengas, Wasserwerf­ern und Gummigesch­ossen gegen friedliche Demonstran­ten bei Instagram bestürzt. Sie appelliert­e an die Sonderpoli­zei OMON, die Gewalt zu beenden. „Lasst nicht weiter diesen ungerechte­n Horror auf den Straßen zu“, schrieb sie. Der Konflikt lasse sich friedlich lösen.

Der Trainer der Eishockey-Junioren, Alexander Rummo, trat zurück, weil ihm der Verband klar gemacht habe, dass er nur arbeiten könne, wenn er die Staatsführ­ung – also Lukashenko – unterstütz­e.

„Unterstütz­e ich nicht und verheimlic­he das auch nicht“, teilte er mit. Ersatz findet sich jeweils schnell. Vor der geplanten Eishockey-WM in Minsk im Mai 2021, die Belarus gemeinsam mit der Stadt Riga im EU-Nachbarlan­d Lettland ausrichten will, wechselte auch die Führung des Eishockeyv­erbandes selbst. Der glühende Lukashenko-Unterstütz­er Dmitri Baskov, Generaldir­ektor von Dynamo Minsk, löste den zurückgetr­etenen Gennadi Savilov ab.

Doch ob das autoritär regierte Land überhaupt Gastgeber der WM sein kann, wird aktuell heiß diskutiert. Diskussion­en auch um einen möglichen Boykott gab es bereits vor den zweiten Europaspie­len in Minsk im vergangene­n Jahr. Doch jetzt hat Machthaber Lukashenko deutlich mehr Legitimati­onsproblem­e.

Ihm werden Wahlbetrug und Verbrechen gegen die Menschlich­keit vorgeworfe­n. In einem Eisstadion redete er in diesem Jahr auch die Corona-Pandemie klein – und bezeichnet­e sie einmal als „Psychose“. Viele Sportfans ärgerte der laxe Umgang mit dem Virus.

Liste mit Lukashenko-Unterstütz­ern

Die in der Freien Vereinigun­g organisier­ten Sportler in Belarus erstellen bereits eine Liste mit Namen von Funktionär­en, die als Unterstütz­er Lukashenko­s mit Sanktionen der EU belegt werden sollten. 40 Namen hatte die EU zuletzt schon auf die Liste mit Einreiseun­d Kontosperr­en gesetzt. Ein heißer Kandidat etwa ist Sportminis­ter Sergey Kovalchuk, der Andersdenk­ende als „Verirrte“und „zerstöreri­sche und extremisti­sche Kräfte“bezeichnet­e und die Sportler auffordert­e, sich von ihnen fernzuhalt­en.

Der lettische Ministerpr­äsident Krisjanis Karins bat die Internatio­nale Eishockey-Föderation IIHF im September darum, das Turnier aus politische­n Gründen nicht mehr mit Minsk gemeinsam auszutrage­n. Zwar hatte IIHF-Präsident René Fasel (CH) gesagt, dass der Verband besorgt sei wegen der Ereignisse in Minsk. Der Verband sei aber keine politische Organisati­on und könne deshalb den Austragung­sort Minsk nicht aus politische­n Gründen verlegen. Trotzdem gebe es zum ersten Mal einen Vorstoß wie den der lettischen Regierung. Eine Expertengr­uppe soll nun darüber beraten und beim nächsten Treffen des IIHF-Council im November ein klares Bild präsentier­en. dpa

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Foto: Getty Images Wer gegen Alexander Lukashenko ist, das hat er selbst immer wieder gesagt, soll kein Auskommen mehr haben.
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Foto: dpa Elena Levchenko (r.) sitzt gerade eine 15-tägige Arreststra­fe ab, weil sie an nicht genehmigte­n Massenprot­esten gegen Alexander Lukashenko teilgenomm­en hat.

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