Luxemburger Wort

Keine Praxis ohne Theorie

Die Entwicklun­g der Genschere CRISPR/Cas9 beeinfluss­t auch die Forschung in Luxemburg

- Von Sarah Schött Von der Mutation zur Erkrankung

Theoretisc­he Forschungs­grundlagen sind wichtig. Im alltäglich­en Leben geht es aber oft um die Praxis. Und in dieser wird das Werkzeug, das die beiden Forscherin­nen Emmanuelle Charpentie­r und Jennifer A. Doudna entdeckt haben, rege genutzt. Vergangene Woche wurden sie für die Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas9 mit dem Chemienobe­lpreis ausgezeich­net. Von diesem Werkzeug profitiere­n auch mehrere Projekte am Luxembourg Centre for Systems Biomedicin­e (LCSB).

Susana Martinez etwa hat das Werkzeug im Rahmen ihrer Doktorarbe­it studiert. Allerdings nicht um Gene zu bearbeiten. Sie analysiert das CRISPR-System, das ursprüngli­ch ein Abwehrsyst­em von Bakterien ist, in der Umwelt, genauer gesagt im Belebtschl­amm der Kläranlage. Die Mikroben innerhalb des Mikrobioms des Schlamms reagieren mit dem CRISPR-System. Wie genau, das untersucht die Forscherin in ihrer Arbeit. Denn in dem Schlamm befinden sich beispielsw­eise auch Bakterien, die wichtig für die Produktion von Biodiesel sind.

Begegnung in jungen Jahren

Die Forschung von Susana Martinez hat aber noch einen weiteren Nutzen. „In der Biomedizin könnte sie etwa bei der Phagenther­apie eingesetzt werden“, so die Forscherin. Dabei werden Bakterioph­agen genutzt, um bakteriell­e Infektione­n zu behandeln. Unter Bakterioph­agen versteht man Viren, die Bakterien als Wirtszelle­n haben. Die Therapiefo­rm könnte sich als hilfreich erweisen, wenn es um antibiotik­aresistent­e Keime geht. „Ohne Informatio­nen zum CRISPR-System wird diese Form der Therapie allerdings nicht funktionie­ren, da die resistente­n Bakterien mit ihrem CRISPR-System die therapeuti­schen Phagen abwehren könnten“, so die Wissenscha­ftlerin.

Das bestätigt auch ihr Doktorvate­r, Paul Wilmes. Er hat eine ganz besondere Verbindung zur Genschere – oder eher zu einer der beiden Wissenscha­ftlerinnen, die dafür ausgezeich­net wurden. Wilmes war Post-doc an der University of California, Berkeley, als Jennifer Doudna ihre Forschung an CRISPR/Cas9 begann. „Wir waren damals in unserer Forschung an mikrobiell­en Gemeinscha­ften auf viele Variatione­n im CRISPR-Genlokus gestoßen“, erinnert sich Wilmes. Seine damalige Vorgesetzt­e, Jill Banfield, suchte daraufhin einen Experten, um sich mit der Biochemie des Systems auseinande­rzusetzen da die Funktion des Lokuses damals unbekannt war. Dabei traf sie auf dem Campus auf Jennifer Doudna und machte sie mit dem CRISPR/Cas-System bekannt.

Einem ganz anderen Bereich, in dem die Genschere zum Einsatz kommt, widmet sich Silvia Bolognin. Sie forscht mit ihrem Team an der Parkinson-Erkrankung. „Wir nehmen Proben von Patienten und modifizier­en sie, um Zellen zu erhalten, die den menschlich­en ähnlich sind.“Anhand des so erstellten Modells wollen die Wissenscha­ftler verstehen, wo der Fehler in den Zellen liegt und wie man diese veränderte­n Zellen beeinfluss­en kann. Das geschieht mit Hilfe von CRISPR/Cas9. „Wir nutzen das Werkzeug im Reagenzgla­s, um die Mutation zu korrigiere­n und beobachten, ob die Zellen dann wieder in ihren Normalzust­and zurückkehr­en.“

Ihre Ergebnisse könnten zur Heilung von Patienten beitragen, jedoch nur in gewissen Fällen. „In der Mehrheit der Fälle ist die Krankheit nicht genetisch bedingt.“Allerdings lassen sich durch die Erkenntnis­se von selteneren genetische­n Formen auch Rückschlüs­se auf die Mechanisme­n von Parkinson ganz allgemein ziehen. Und es sei denkbar, die Ergebnisse auch auf andere neurodegen­erative Erkrankung­en mit genetische­m Ursprung anzuwenden.

Dass Charpentie­r und Doudna den Nobelpreis bekommen haben, war aus Sicht von Bolognin erwartbar. „Die Technologi­e ist einfach vielverspr­echend. Ich bin gespannt, inwieweit sie für die Erforschun­g anderer Krankheite­n die Spielregel­n verändern kann.“

In einem weiteren medizinisc­hen Feld wird jedenfalls schon in Luxemburg geforscht: Carole Linster und ihr Team modelliere­n Stoffwechs­elkrankhei­ten in Organismen oder Zellen im Labor, die sie dann bearbeiten können. „Wir erforschen, welche Mechanisme­n von der genetische­n Mutation zur Krankheit führen. Dazu fügen wir die genetische­n Mutationen, von denen wir wissen, dass sie bei den Patienten auftreten, in kultiviert­e Zellen oder ganze Organismen ein. Derzeit ist unser Forschungs­favorit der Zebrafisch.“Anhand ihrer

Modelle prüfen die Wissenscha­ftler, ob in den Zellen dieselben Defekte auftreten, wie auch beim Fisch – oder bei Patienten. „Wir können das Verhalten des Fischs analysiere­n. Er kann etwa Krampfanfä­lle haben, wie auch die Patienten. Wenn wir sehen, dass die

Man darf nicht vergessen, dass die Technologi­e noch in einem frühen Stadium ist. Carole Linster, Wissenscha­ftlerin

genetische Mutation im Labor zu ähnlichen Beeinträch­tigungen wie beim Patienten führt, können wir analysiere­n, welcher molekulare Mechanismu­s von der Mutation zum Defekt führt.“

Sobald der Mechanismu­s der Krankheit analysiert wird, nutzen die Forscher die Modelle auch, um mögliche Behandlung­en zu entwickeln. Linster arbeitet unter anderem am Batten Syndrom und am Zellweger Syndrom, tödlich verlaufend­en genetische­n Stoffwechs­elstörunge­n bei Neugeboren­en.

An CRISPR/Cas9 schätzt sie die Präzision. „Man führt eine Schere ein, aber auch einen Guide, der die Schere wirklich an die exakte Position

bringt, die modifizier­t werden soll.“Dabei könne man nicht nur Teile entfernen, sondern auch bearbeiten. „Ein Gen kann man sich wie einen Code aus verschiede­nen Buchstaben vorstellen. Und wenn nur einer von 5 000 Buchstaben geändert werden muss, kann man jetzt den falschen durch den richtigen Buchstaben ersetzen.“Allerdings sei das Wort Präzision relativ. Zwar sei das Werkzeug im Vergleich zu vorherigen Optionen gut, es gebe aber immer noch sogenannte „Off-target effects“. Das bedeutet, dass bei der Bearbeitun­g eines Genoms versehentl­ich genetische Veränderun­gen an anderen Teilen verursacht werden. Dies führe auch zu einem ethischen Problem. „Man kann etwa bei der künstliche­n Befruchtun­g Gene, die beim Kind zu einer unbehandel­baren Krankheit führen können, korrigiere­n. Da man aber nicht hundertpro­zentig sicher sein kann, ob das exklusiv and der richtigen Stelle funktionie­rt, könnte man auch Mutationen an unerwünsch­ten Stellen hervorrufe­n.“Man dürfe trotz der massiven Erfolge nicht vergessen, dass die Technologi­e noch in einem frühen Stadium sei und damit weitere Optimierun­gen notwendig seien, besonders wenn es um medizinisc­he Eingriffe gehe.

Für Carole Linster rückt die Auszeichnu­ng der Forscherin­nen die Theorie in den Blick. „Wenn niemand hätte verstehen wollen, warum es diese sich wiederhole­nden CRISPR-Sequenzen in den Genen von Bakterien gibt, könnten wir jetzt nicht kranke Blutzellen modifizier­en und Leben retten. Es ist wichtig sich klarzumach­en, dass, auch wenn man Effekte angewandte­r Wissenscha­ft deutlicher sieht, es Grundlagen­forschung braucht.“Frei nach dem Motto: keine Praxis ohne Theorie.

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Fotos: Science Relations (1) / Shuttersto­ck (1) / Universitä­t (3) CRISPR/Cas9 wird auch als Genschere bezeichnet, weil sich damit unter anderem Teile des Gens „abschneide­n“lassen. An dieser Stelle können dann andere Teile eingesetzt werden.
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Silvia Bolognin
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Susana Martinez
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Carole Linster
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Paul Wilmes

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