Luxemburger Wort

Johnson pokert hoch

Wenige Wochen vor Ablauf des Ultimatums macht sich Großbritan­nien bereit für einen No-Deal-Brexit

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Brüssel/London. Im Brexit-Streit hat der britische Premiermin­ister Boris Johnson sein Land auf einen harten Bruch ohne Vertrag mit der Europäisch­en Union am 1. Januar eingestimm­t. Die EU habe gut zehn Wochen vor dem Ende der BrexitÜber­gangsphase offenkundi­g kein Interesse an einem von Großbritan­nien gewünschte­n Freihandel­sabkommen wie mit Kanada, sagte Johnson am Freitag in London. Dementspre­chend erwarte man nun eine Beziehung wie mit Australien – also ohne Vertrag, polterte der Regierungs­chef los.

Es war ein Auftritt mit großer Geste nach tagelangem Hin und Her mit der EU in der Schlusspha­se sehr komplizier­ter und sehr langwierig­er Verhandlun­gen: Wenn Ihr nicht nachgebt, dann gehen wir eben, lautete die Botschaft des britischen Premiers. Zuvor hatte Johnson bereits ein Ultimatum für eine Einigung bis 15. Oktober gestellt, das aber zunächst sang- und klanglos abgelaufen war. Diese Frist hatte Brüssel ignoriert, und das tat die EU-Seite kurioserwe­ise auch mit Johnsons Erklärung am Freitag wieder.

Denn bei näherem Hinsehen war Johnsons kurzer Fernsehauf­tritt alles andere als eindeutig. Er ließ sich eine Hintertür offen, doch weiter mit der EU über einen Handelspak­t zu sprechen. Das sei möglich, wenn die EU umsteuere, ließ Johnson erkennen: „Kommt hierher, kommt zu uns – wenn es fundamenta­le Änderungen an eurer Position gibt.“Ein Regierungs­sprecher schob dann noch die Klarstellu­ng nach: „Die Handelsges­präche sind vorbei.“Die EU habe sie ja beendet.

„Die Verhandlun­gen gehen weiter, völlig klar“, sagte Guntram Wolff vom Brüsseler Thinktank Bruegel nach Johnsons Auftritt.

„Jetzt sind wir in einer Verhandlun­gsphase, wo beide Seiten sehr hoch pokern.“In Großbritan­nien sah das Brexit-Expertin Georgina Wright von der Denkfabrik Institute for Government ähnlich. „Das sind wirklich keine Neuigkeite­n“, sagte sie zu Johnsons wortgewalt­igem Auftritt. „Die nächste Woche wird entscheide­nd.“Auch eine Gruppe nordirisch­er Unternehme­r sprach von „politische­n Spielchen“. Was dem Ernst der Lage kaum gerecht wird: Sowohl in Großbritan­nien als auch in der EU wird bei einem harten Bruch mit großen Schäden für die Wirtschaft gerechnet. Denn dann kommt es zu Zöllen und anderen Handelshür­den. Der anvisierte Handelsver­trag soll dies eigentlich verhindern.

Hauptstrei­tpunkte waren von Anfang an der Zugang von EU-Fischern zu britischen Gewässern sowie die Forderung der Staatengem­einschaft nach gleichen Wettbewerb­sbedingung­en für die Wirtschaft, also gleiche Umwelt-, Sozial

und Subvention­sstandards. Im Gegenzug soll Großbritan­nien Waren ohne Zoll und Mengenbesc­hränkung in den EU-Binnenmark­t liefern können. Dritter wichtiger Punkt für die EU sind Regeln zur Schlichtun­g für den Fall, dass eine Seite gegen das Abkommen verstößt.

Zweifel an Krisenmana­gement

Die britischen Wähler hatten 2016 mit knapper Mehrheit für den EUAustritt gestimmt. Johnson gewann 2019 die Parlaments­wahl u. a. mit der Ansage, den Brexit tatsächlic­h durchzuzie­hen. Inzwischen gilt der Premier als aber schlechter Krisenmana­ger – nicht nur beim Brexit, sondern auch bei der Bewältigun­g der Corona-Krise. Großbritan­nien gehört zu den am stärksten von der Pandemie betroffene­n Ländern in Europa. Ein harter Brexit und ein außer Kontrolle geratener Corona-Ausbruch – Kritiker bezweifeln, ob das für das Vereinigte Königreich wirklich zu bewältigen ist. dpa

Die nächste Woche wird entscheide­nd. Georgina Wright, Brexit-Expertin der Denkfabrik Institute for Government

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