Luxemburger Wort

Die Gesundheit­skasse blutet aus

IGSS-Bericht: Seit 2017 steigen die Ausgaben stark an – Neue Leistungen sollen nun endlich umgesetzt werden

- Von Annette Welsch

Die Finanzsitu­ation der CNS sieht mittel- und langfristi­g nicht ganz so rosig aus, wie Sozialmini­ster Romain Schneider (LSAP) es am vergangene­n Mittwoch nach dem Quadripart­ite-Treffen darstellte. Daran ist nicht Covid-19 schuld: Die Ausgaben steigen bereits seit 2017 stark an – stärker als die Einnahmen (s. Grafik). Beim Krankengel­d schlägt allein die Verlängeru­ng von 52 auf 78 Wochen Bezugsrech­t jedes Jahr seit 2018 mit 47 Millionen Euro zu Buche.

Für die von der Regierung entschiede­nen Covid-Maßnahmen – congé pour raison familial, congé pour soutiens familial und Lohnfortza­hlung der CNS ab dem ersten Krankentag zur Entlastung der Arbeitgebe­r-Mutualität – erhält die CNS 2020 zwar 386 Millionen Euro, so dass Schneider für die laufenden Ausgaben und Einnahmen 2020 einen geschätzte­n Überschuss von 6,7 Millionen Euro verkünden konnte.

Bezieht man aber ein, dass die CNS einen gesetzlich festgelegt­en Fonds de roulement vorsehen muss, mit dem zehn Prozent der laufenden Ausgaben eines Jahres gedeckt werden können – rund 340 Millionen Euro -, heißt das für die Reserven: 2019 betrug das reelle Polster 661,2 Millionen Euro (31,3 Prozent der Jahresausg­aben), 2020 werden noch 605,9 Millionen (26,3 Prozent der Jahresausg­aben) übrig bleiben und 2021 schmilzt es schon auf 513,9 Millionen (24,4Prozent der Jahresausg­aben) ab.

Jährlich ein Loch von 100 Millionen Die Inspection Générale de la Securité Sociale (IGSS) rechnet damit, dass künftig jedes Jahr rund 100 Millionen Euro in der Kasse fehlen werden. Sie hat für die Herbst-Quadripart­ite die Entwicklun­g der Finanzsitu­ation unter die Lupe genommen und den Sozialpart­nern vorgelegt. Es ist eine Schätzung, die auf den bis Oktober verfügbare­n Informatio­nen beruht und lediglich die Jahre 2020 und 2021 umfasst.

Berücksich­tigt wurden dabei die wirtschaft­liche und demografis­che Entwicklun­g, die Auswirkung­en der Covid-19-Maßnahmen und die staatliche Beteiligun­g daran in Höhe von 386 Millionen Euro, die Verhandlun­gen mit den Gesundheit­sdienstlei­stern, das Gesamtbudg­et für die Krankenhäu­ser und die Dotation des Staates für die Mutterscha­ft in Höhe von 20 Millionen Euro pro Jahr bis 31. Dezember 2021.

Eingerechn­et wurden auch die neuen Leistungen sowie Leistungsv­erbesserun­gen, die bereits länger in der Diskussion sind und auf deren Umsetzung vor allem die Arbeitnehm­ervertrete­r seit Jahren ungeduldig drängen. So soll ab Januar 2021 die Kostenüber­nahme bei Sehhilfen, vor allem für Brillenglä­ser verbessert werden.

Im zweiten Halbjahr sollen die Psychother­apeuten über die Kasse abrechnen können – eine entspreche­nde Konvention auf Basis der großherzog­lichen Verordnung, die die CNS über die Modalitäte­n der Kostenüber­nahme ausarbeite­te und die beim Staatsrat auf keine großen Probleme stieß soll nun verhandelt werden. Auch die neu angepasste­n Nomenklatu­ren (Tarifordnu­ngen) der Hebammen, Logopäden und Psychomoto­riker sollen ab dem zweiten Semester 2021 greifen, genau wie die Kostenüber­nahme der Podologie und der refraktive­n Chirurgie – der Korrektur von Sehfehlern mit unter anderem Laserbehan­dlungen. All das führt dazu, dass jährlich besagtes Defizit von circa 100 Millionen Euro entstehen wird und ab 2021 auf die Reserven zurückgegr­iffen werden muss.

Nicht mit berücksich­tigt wurde bei der Schätzung der Ausgaben aber auch nach dieser Periode in Kraft“, mahnt die IGSS.

Sie beziffert die Kosten, die der CNS Stand Oktober durch Covid19 entstanden sind, auf 99,8 Millionen Euro und erklärt: „Die Auswirkung­en der sanitären Krise auf die verschiede­nen Gesundheit­sausgaben sind heterogen. Während einige Aktivitäte­n (Physiother­apeuten, Logopäden, Kuren) sanken, wurde der Einbruch bei normalen Aktivitäte­n anderer Ausgabepos­ten (Arztbehand­lungen, Medikament­e, Krankenhau­sbehandlun­gen) durch staatliche Maßnahmen ausgeglich­en und wieder andere verzeichne­ten einen starken Anstieg oder ganz neue Aktivitäte­n (freischaff­ende Krankenpfl­eger, Labore).“

Seit 2018 steigen die Ausgaben stärker an als die Einnahmen, so dass mittelfris­tig die Reserven aufgebrauc­ht sein werden, mahnt die IGSS. Dafür seien nicht nur die Auswirkung­en von Covid-19 verantwort­lich, sondern der rezente und erhebliche Anstieg der Ausgaben.

Seit 2018 steigen die Ausgaben stärker an als die Einnahmen, so dass mittelfris­tig die Reserven aufgebrauc­ht sein werden. Bericht der IGSS

Zusätzlich­e Finanzquel­len suchen Auch Arbeitnehm­ervertrete­r wie Christophe Knebeler vom LCGB sorgen sich, dass „die Schere zwischen den Einnahmen und Ausgaben auch ohne Covid-Pandemie immer weiter auseinande­r geht und keine mehrjährig­en Projektion­en aufgestell­t wurden“. Voraussage­n seien zwar schwer zu treffen, „wir müssen sie aber über drei, vier Jahre machen, um zu sehen, was wir uns an neuen Leistungen noch erlauben können. Wir müssen vermeiden, auf einmal Beiträge erhöhen zu müssen oder Leistungen zu kürzen“, sagt er auf Nachfrage.

Lange zugesagte Leistungsv­erbesserun­gen wie bei Brillen und Zähnen müssten unbedingt endlich umgesetzt werden, man sollte sich aber jetzt schon Gedanken über zusätzlich­e Einnahmequ­ellen machen. Nicht zuletzt, weil die derzeitige Situation wegen der noch andauernde­n Pandemie schwer abzuschätz­en sei und auch die wirtschaft­liche Erholung noch Unsicherhe­iten birgt.

Knebeler ärgert sich auch, dass der Staat sich an den Kosten, die der CNS durch Mutterscha­ften entstehen, seit 2011 nur noch mit 20 Millionen Euro pro Jahr beteiligt. Vorher hatte er sie integral getragen. Mittlerwei­le fallen jährlich mehr als 200 Millionen Euro dafür an. „Wir wollen, dass die Kosten gedeckt werden. Es ist nicht Sache einer Krankenver­sicherung, dafür aufzukomme­n – das ist Beitragsbe­trug“, kritisiert er und fragt zudem, wie es mit den hohen Kosten aussieht, die durch die CovidTests beispielsw­eise entstehen. „Der Staat steht für die Urlaube und das Krankengel­d ein, aber wie ist es mit den anderen Covid-Kosten?“

Sozialmini­ster Schneider nahm sich bei der Quadripart­ite die Kritik zu Herzen, dass keine mehrjährig­en Projektion­en vorgelegt wurden und stellte in Aussicht, dass sich „eine kleine Gruppe mit diesem sehr wichtigen Thema befassen wird“.

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