Mogelpackung
Der Staat beteiligt sich mit 386 Millionen Euro an den Kosten, die der Caisse nationale de Santé (CNS) durch die Covid-19-Krise entstanden sind und so macht die CNS einen geschätzten Überschuss von 6,7 Millionen Euro in diesem Jahr – in diesem Jahr einer nie dagewesenen Gesundheitskrise. Das klingt doch gut. Das klingt nach „mit einem blauen Auge davongekommen“. Nach gut gewirtschaftet. Denn wir haben ja auch noch die dicken Reserven von fast einer Milliarde Euro. Doch die Realität sieht anders aus.
Bei den Kosten ist vieles nicht eingerechnet, was Covidbedingt noch für das Haushaltsjahr 2020 auf die CNS zukommt. Wie steigende und teils auch bleibende Krankenhauskosten, weil das Pflegepersonal um fast zehn Prozent aufgestockt wurde, ohne dass ein über die Pandemie hinausgehender Bedarf nachgewiesen wurde. Oder die Unmenge an PCR-Tests, die die Labore durchführten. Die Realität zeigt auch, dass die 20 Millionen Euro, die der Staat jährlich für den Mutterschutz überweist, hinten und vorne nicht reichen und ab 2021 neu verhandelt werden müssen. 180 Millionen legt die CNS hier jedes Jahr drauf. Genau wie sie vom Staat 2020 nur 200 der 386 versprochenen Millionen Euro bekommt und der Rest über die nächsten drei Jahre ausbezahlt wird, obwohl die Gesamtsumme in diesem Jahr verbucht wird.
Der diesjährige Überschuss ist eine Luftbuchung, der Staat macht Schulden bei seiner eigenen Gesundheitskasse und profitiert von deren Reserven. Und apropos Reserven: Auch sie beruhen auf einer Mogelei. Denn 2011 kam es zu angeblich übergangsmäßigen Beitragserhöhungen, Leistungskürzungen und erhöhter Selbstbeteiligung, bis die Maßnahmen der Gesundheitsreform greifen, weil die CNS angeblich sonst ein Defizit schreibe, hieß es. Schlussendlich trat dies nicht ein, dafür konnten mit den zusätzlichen Einnahmen besagte Reserven aufgebaut werden.
Dieses Polster reicht noch für sechs Jahre, dann ist es weggeschmolzen. Denn die Realität zeigt auch, dass demnächst Zahltag ist und die CNS all die Maßnahmen zur Leistungsverbesserung, die sie seit Jahren versprochen hat und vor sich herschiebt umsetzen muss. Bessere Brillengläser, bessere Zahnversorgung, Psychotherapie, podologische und osteopathische Betreuung, chirurgische Augenkorrekturen – das alles ist kein Luxus, kein „nice to have“, sondern es sind bitter nötige Leistungen, die heute Standard sind für eine gute Gesundheitsversorgung. Leistungen, die dringend gebraucht werden, zumal wenn man eine präventive Gesundheitspolitik verfolgen will. Leistungen, die den Versicherten seit Jahren vorenthalten werden. Und die nun nur noch auf Kosten eines Defizits umgesetzt werden können.
Zehn Jahre ist die Gesundheitsreform her, mit der das System langfristig abgesichert werden sollte. Zehn verlorene Jahre für eine verbesserte Gesundheitsversorgung, zehn verlorene Jahre, um genug Pflegepersonal selber auszubilden, zehn verlorene Jahre, um sich mit dem Thema Ärztemangel auseinanderzusetzen, zehn verlorene Jahre, um die Grundversorgung so zu organisieren, dass man bei dringendem Bedarf nicht in überfüllten und überforderten Notaufnahmen landet. Nachhaltige Gesundheitspolitik sieht anders aus.
Versprochene Leistungen sind nur noch auf Kosten eines Defizits einführbar.
Kontakt: annette. welsch@wort.lu