„Wir könnten teilen“
Trotz Covid-19 sind die Deutschen nicht impfwütig
Jens Spahn ist optimistisch. Zumindest sagt der deutsche Bundesgesundheitsminister das. „Noch in diesem Jahr“sei auch in Europa die Zulassung eines Impfstoffs gegen Covid-19 möglich. „Und dann können wir mit den Impfungen sofort loslegen.“Er habe die Bundesländer gebeten, ihre Impfzentren bis Mitte Dezember einsatzbereit zu haben. Und er rechne damit, dass das klappt.
Seit dem 23. Oktober hat Deutschland eine „Nationale Impfstrategie“. Sie passt auf eine DINA4-Seite, verwendet bürokratische Begriffe wie „Verimpfung“oder „Mehrdosenbehältnisse“. Wenn man, was da in einer Art Säulendiagramm steht, übersetzt, hat Spahns Haus den Impfprozess in zwei Phasen aufgeteilt – und deren erste in zwei Unterphasen. So lange der Impfstoff noch sehr knapp ist, soll sehr gezielt geimpft werden, vorneweg die Gruppen, denen Covid-19 am gefährlichsten werden kann: Alte, akut und chronisch Erkrankte.
Gibt es mehr Vakzin, sind diejenigen dran, die sich um die Verletzlichsten kümmern und das öffentliche Leben aufrechterhalten: von Ärzten und Pflegepersonal über Polizei und die Experten für Wasser-, Energie-, Mobilitätsversorgung bis hin zu Lehrern und Erziehern. Und wird der Impfstoff „großflächig verfügbar“sein, ist die „erwachsene Allgemeinbevölkerung“dran.
So sie denn immunisiert werden will. Denn das hat die Bundesregierung in ihr TibetanischeGebetsmühle-Repertoire aufgenommen: Keine Impfpflicht. „Der Ausgangspunkt ist die Selbstbestimmung“, hat die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alina Buyx, betont; die Bundesregierung lässt sich in Sachen Zuteilung unter anderem von diesem Gremium
beraten. Die Verschwörungstheoretiker der Republik pfeifen darauf.
Mehr als 300 Millionen ImpfDosen hat sich Deutschland laut Spahn gesichert. Die jüngste Vereinbarung hat er gestern mit der Firma IDT Biologika im sachsenanhaltischen Dessau geschlossen. Dort rechnet man mit einer Zulassung Ende 2021 – etwa ein Jahr später als Biontech aus Mainz und sein US-Partner Pfizer. Mit den 300 Millionen ist Deutschland selbst bei der geplanten Zwei-StufenImpfung überversorgt. Spahn: „Wir könnten dann mit anderen Ländern teilen.“
Die Zweifel der Skeptiker
Ohnehin sieht es nicht so aus, als wollten die Deutschen sich um die Impfung prügeln. Verschiedene Umfragen in diesem Monat ergaben fast gleichlautend, dass sich etwa ein Drittel sicher immunisieren lassen will, ein weiteres wahrscheinlich – und eines ganz sicher nicht. Die Skeptiker plagen vor allem Sicherheitszweifel: Sie verweisen auf die Geschwindigkeit, in der die Vakzine entwickelt werden – und darauf, dass die mRNA-Seren überhaupt zum ersten Mal eingesetzt werden. Allerdings glauben 69 Prozent der Deutschen „voll und ganz“oder „eher“, dass die Impfstoffe sicher sind, ermittelte das Meinungsforschungsinstitut „Kantar“.
Die Impfbereitschaft ist dennoch über den Sommer leicht gesunken – wie „Kantar“herausfand; nicht nur in Deutschland, sondern auch Großbritannien, Frankreich, Italien und am meisten in den USA. Dafür lassen sich in Deutschland gerade so viele Menschen gegen Grippe impfen wie nie: Obwohl laut Bundesregierung fast doppelt so viele Dosen bereitstehen wie 2019 beansprucht wurden, wird das Vakzin in einigen Bundesländern knapp.